Quellenarbeit in der Mnemotechnik

Hierein gehört alles was die Geschichte und Methoden der Mnemotechnik betrifft. Z.B. Was ist die Geschichtenmethode? Was sind Routen? Des Weiteren geht es auch um die historische Betrachtung und Analyse der Mnemotechnik.


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Tiffi
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Beitrag von Tiffi »

Ich glaube, dass noch viel in den Klöstern liegt, bei den Franziskanern, Benediktinern, Jesuiten, was noch nicht geborgen ist; da muss man auch Latein können.
Interessanter Ansatz !

Btw:
Ich bin Leuten wie Ulrich Voigt ganz dankbar, daß sie in Vorleistung getreten sind und sich mit den Originalen auseinander gesetzt haben.
Ich habe dazu weder die Zeit noch, ehrlich gesagt, die Lust dazu.
Gleichwohl interessiert es mich aber.
Und Latein kann ich im Übrigen auch nicht.
Diese krakeligen (Hand-) Schriften zu entziffern empfinde ich bereits als anstrengend.
Von daher greife ich lieber zu einer Zusammenfassung, die jemand anderes in mühevoller Kleinarbeit angefertigt hat und zahle sehr gerne die paar Euros.
Wer mir nicht glaubt, der sollte sich mal einen Nachmittag Zeit nehmen und sich so ein paar alte Bücher angucken und versuchen, diese zu lesen. :wink:

MfG

Tiffi
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µBx
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Beitrag von µBx »

Hm, ich persönlich denke das es vielleicht etwas besser ist garnicht mehr so sehr in die Vergangenheit zuschauen sondern evtl, wie in Mnemonology erwähnt, anzufangen die eigenen Gedächtnistechniken und somit neue zu entwickeln welche den Anforderungen unserer Zeit noch mehr gerecht werden als die alten Techniken. Wobei das natürlich eine Aufgabe für "Spezialisten" ist also Leute die sich sowohl mit den Theorien hinter den Gedächtnistechniken beschäftigen als auch praktische Erfahrung haben.

Jedenfalls ist es ein wirklich tolles Buch und vorallem Kapitel 8 (?) fand ich sehr interessant wo erklärt wurde wie und ob man Gedächtnistechniken für Demenz-/Alzheimerpatienten nutzen kann.
Grenzen existieren nur in unserem Kopf.
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Ulrich Voigt
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Re: James B. Worthen and R. Reed Hunt, Mnemonology.

Beitrag von Ulrich Voigt »

Ulrich Voigt hat geschrieben: Der hohe Anspruch der Autoren, die Mnemotechnik hinsichtlich ihrer Methoden vollständig zu übersehen und zu verstehen [...], kann so nicht erfüllt werden. Z.B. ist ihnen die Klumpenmethode nicht bekannt. "Story mnemonics" nennen sie daher das, was ich als Fadenmethode bezeichne [...]. Aus meiner Sicht sind Worthen / Hunt daher teilweise antiquiert.
Auf S. 106 kommen Worthen/Hunt zu der Vermutung, dass Mnemotechnik grundsätzlich schlecht geeigneit sei, langfristiges Merken zu ermöglichen.
Das Urteil ist in Harmonie mit dem Gedächtnissport, bei dem es immer um kurzfristiges Erinnern und schnellstmögliches Vergessen geht.

Allerdings kennen Worthen/Hunt kein einziges Beispiel einer über die Fadengeschichten hinausgehenden Konstruktionen mnemotechnischer Geschichten, wie man sie z.B. in DAS JAHR IM KOPF über 100 Seiten ausgebreitet findet. Die gesamte Effizienzforschung mnemotechnischer Methoden ("mnemonology"), die von Worthen/Hunt ausgewertet wurde, ist daher für den Kern meiner Mnemotechnik irrelevant.
Zuletzt geändert von Ulrich Voigt am Di 01. Nov 2011, 9:30, insgesamt 1-mal geändert.
Pat
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Beitrag von Pat »

Auf S. 106 kommen Wothen/Hunt zu der Vermutung, dass Mnemotechnik grundsätzlich schlecht geeigneit sei, langfristiges Merken zu ermöglichen.
Das Urteil ist in Harmonie mit dem Gedächtnissport, bei dem es immer um kurzfristiges Erinnern und schnellstmögliches Vergessen geht.
Habe gestern noch mit dem Gedächtnissport gesprochen und er weist
hier jegliche "Harmonie" weit von sich.
Klaus Horsten
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Beitrag von Klaus Horsten »

µBx hat geschrieben:etwas besser ist garnicht mehr so sehr in die Vergangenheit zuschauen sondern evtl, wie in Mnemonology erwähnt, anzufangen die eigenen Gedächtnistechniken und somit neue zu entwickeln welche den Anforderungen unserer Zeit noch mehr gerecht werden als die alten Techniken
Das muss nicht Latein sein.

Zu Aimé Paris gibt es nicht einmal einen Wiki-Eintrag im Deutschen. Nicht einmal im Französischen Wiki (oder Englischen) wird, neben einer kurzen Erwähnung, seine Mnemotechnik behandelt.

Wir verwenden seinen Zahlencode, wer sich für Kalender-Mnemonik interessiert, hat vielleicht seine Kalender-Methode studiert.

Allein der zweite Band seiner "Principes ... de la Mnemotechnie", der mir vorliegt, umfasst 750 Seiten.

Wer nun glaubt, eine kurze Erwähnung in einem Geschichtsbuch wie Esels Welt, könnte die eigene Rezeption ersetzen, irrt. Wie baut Paris zum Beispiel die 100 Häuser in Paris auf? Ich meine, ganz konkret, bis in die Zimmer hinein?

Wir lesen keine lateinischen Schriften, kaum französische, und die amerikanischen Forscher wahrscheinlich keine oder kaum deutsche. C'est la vie.

(Ok, das geht jetzt nun etwas ins off des topics. Sorry.)
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Ulrich Voigt
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Re: James B. Worthen and R. Reed Hunt, Mnemonology.

Beitrag von Ulrich Voigt »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Aus meiner Sicht sind Worthen / Hunt daher teilweise antiquiert.
Worthen/Hunt sind ernstzunehmende Wissenschaftler, die sorgfältig und weiträumig geforscht und gesammelt haben. Wenn sie den Anspruch erheben, alle relevanten mnemotechnischen Methoden geprüft zu haben, so ist das nicht leicht dahin gesagt. Dass sie sich auf englischsprachige Literatur beschränken, bedeutet nicht unbedingt eine Einschränkung. Worthen/Hunt gehen davon aus, dass mnemotechnische Methoden von Belang, ganz gleich, wo sie vielleicht entwickelt wurden, in der angelsächsischen Welt bemerkt und getestet werden, eine Annahme, die nicht unplausibel ist.

Ich nehme Worthen/Hunt meinerseits als Maßstab und stelle fest, dass weder die Klumpenmethode, geschweige die Scheinklumpenmethode und damit auch nicht die eigentliche Geschichtenmethode bekannte mnemotechnische Verfahren darstellen.
Ich komme also nicht darum herum, schlicht und ergreifend festzustellen, dass ich der Mnemotechnik meiner Zeit voraus bin.
Wie weit ich meiner Zeit voraus bin?
Erstens habe ich diese Methoden, die in der Praxis (nicht unserer Zeit, auch nicht im 19. Jahrhundert, sondern im 17. Jahrhundert) zwar schon teilweise auftauchten, aber nicht als besondere Methoden bewusst wurden, mit Namen versehen und definiert. Insofern habe ich diese Methoden überhaupt erst etabliert.
Zweitens habe ich umfangreiche Anwendungen veröffentlicht, nämlich 98 + 2 Seiten mnemotechnischer Geschichten in DAS JAHR IM KOPF und in ESELS WELT. Ich habe also sozusagen einen Vorsprung von 100 Seiten.
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Pat hat geschrieben:Habe gestern noch mit dem Gedächtnissport gesprochen und er weist hier jegliche "Harmonie" weit von sich.
Hat er dazu denn noch etwas Inhaltliches gesagt?
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben: Zu Aimé Paris [:] wer sich für Kalender-Mnemonik interessiert, hat vielleicht seine Kalender-Methode studiert.
Ich frage mich, von wem hier wohl die Rede sein mag.

Beschränken wir "Kalender-Mnemonik" einmal auf den (julianischen oder gregorianischen) Wochentag und das (julianische oder gregorianische) Osterdatum.

Zum Wochentag kenne ich aus dem 20. Jahrhundert eine ganze Reihe von Arbeiten (z.B. Lorayne, Buzan, Höntsch). Alle beschränken sich auf den gregorian. Kalender. Keine nimmt Bezug auf irgendeine Literatur. Ausnahme: DAS JAHR IM KOPF.

Zum Osterdatum kenne ich überhaupt nur vier Veröffentlichungen, Castilho/Castilho (1835), F. J. Demangeon (1845), Aimé Paris (1866), Ulrich Voigt (2003). Auch hier: Keine der ersten drei Arbeiten nennt irgendwelche Vorgänger.
Wer nun glaubt, eine kurze Erwähnung in einem Geschichtsbuch wie Esels Welt, könnte die eigene Rezeption ersetzen, irrt.
Das ist richtig. Allerdings ist ESELS WELT nicht einfach ein Geschichtsbuch. Und Aimé Paris wird dort nicht nur kurz erwähnt, sondern nach Erwägung seines Gesamtwerks - das ich nämlich durchgearbeitet hatte - gewürdigt.
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Boris
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Beitrag von Boris »

Auf S. 106 kommen Wothen/Hunt zu der Vermutung, dass Mnemotechnik grundsätzlich schlecht geeigneit sei, langfristiges Merken zu ermöglichen.
Das sehe ich anders. Sie gehen an dieser Stelle auf unterschiedliche Dimensionen der Mnemotechnik ein. Sie nennen Studien die unterschiedliche Ergebnisse dazu liefern, wie langfristig diese nutzen und kritisieren, dass die meisten "langfristigen Studien" einen Monat Wartezeitraum nicht überschreiten. Daher sagen sie, dass dazu mehr geforscht werden muss, weil es sonst die oben genannte Vermutung geben könnte, die sie sich meiner Meinung nach aber nicht zu Eigen machen. Ansonsten würde ihr Fazitkapitel auch nicht passen.

Auch der Vergleich zum Gedächtnissport ist unpassend, da im Gedächtnissport eine sofortige Wiedergabe verlang wird, dadurch aber keine Aussagen zur Langfristigkeit gemacht werden können. Da es hier um Studien geht mit Abfrage Wochen nach dem Lernen, ist die zeitliche Skala dennoch eine andere.
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Boris hat geschrieben:Das sehe ich anders.
Worthen/Hunt gehen, wenn ich richtig sehe, nur in einem einzigen Absatz auf die Frage nach der Langzeit-Effizienz ein, nämlich S. 105/106. Sie sagen zunächst, dass einige Forschungsergebnisse darauf hindeuten, dass Mnemotechnik auch für längerfristiges Behalten geeignet sei, jedoch gäbe es hier auch gegenteilige Ergebnisse und im übrigen bedeute "langfristig" nur so etwa 1 Monat. Grundsätzlich sei es so, dass die Leichtigkeit, mit der Informationen gespeichert werden, oftmals auf Kosten der Langfristigkeit ginge. Und dann stellen sie die (als Frage formulierte) Vermutung auf, dass das ein grundsätzliches Charakteristikum von Mnemotechnik sei. Abschließend fordern sie Untersuchungen, die nicht nur über 1 Monat, sondern mindestens über 1 Jahr gehen.
Das Fazitkapitel ist durch diese Vermutung der Autoren nicht in Frage gestellt, denn es geht auf das Thema ja gar nicht mehr ein.
Auch der Vergleich zum Gedächtnissport ist unpassend, da im Gedächtnissport eine sofortige Wiedergabe verlangt wird, dadurch aber keine Aussagen zur Langfristigkeit gemacht werden können.
O.k., dem kann man schwer widersprechen; die Sache wäre also völlig ungewiss. Man nur sagen, dass eine langfristige Verankerung weder angestrebt, noch auch erwünscht ist.
Zuletzt geändert von Ulrich Voigt am Do 27. Okt 2011, 22:24, insgesamt 2-mal geändert.
Tiffi
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Beitrag von Tiffi »

µBx hat geschrieben:Hm, ich persönlich denke das es vielleicht etwas besser ist garnicht mehr so sehr in die Vergangenheit zuschauen sondern evtl, wie in Mnemonology erwähnt, anzufangen die eigenen Gedächtnistechniken und somit neue zu entwickeln welche den Anforderungen unserer Zeit noch mehr gerecht werden als die alten Techniken.
Selbst darüber ließe sich streiten !
Jedenfalls interessiert mich persönlich die Mnemonik als Kulturgut.
Demzufolge habe ich mir das Buch von Frances A. Yates gekauft.
Allerdings in der deutschen Übersetzung. Weil mein Englisch zu schlecht ist und ich keine Zeit mit langwierigem Nachblättern in Wörterbüchern vertrödeln will.
Das Buch ist streckenweise schwer zu lesen und auch teilweise stinklangweilig ! Andere Kapitel waren wieder spannend. In der Gesamtschau hat mir da mir das Buch "Esels Welt" erheblich besser gefallen.
Wenn's davon ein update geben sollte, ist das doch prima.
Eines hätte dann Herr Voigt schonmal verkauft.
Ich würde mir ein Sachbuch wünschen, daß Mnemonik als Kulturgut von den Anfängen bis heute ausführlich darstellt.
Wenn das dann noch verständlich und unterhaltsam geschrieben wäre...

MfG

Tiffi
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

µBx hat geschrieben:Hm, ich persönlich denke das es vielleicht etwas besser ist garnicht mehr so sehr in die Vergangenheit zuschauen sondern evtl, wie in Mnemonology erwähnt, anzufangen die eigenen Gedächtnistechniken und somit neue zu entwickeln welche den Anforderungen unserer Zeit noch mehr gerecht werden als die alten Techniken.
Ich stimme dem dann zu, wenn es darum geht, im Rahmen bekannter Methoden zu bleiben. Ich stimme also auch mit dem - in der Tat hochklassigen - Buch Mnemonology überein, denn hier liegen die Methoden klar auf dem Tisch. Auf dieser Grundlage soll nun der Leser selbst experimentieren. Was könnte man dagegen einwenden? Gar nichts!

In dem Moment aber, in dem der Anspruch entsteht, das Arsenal der Methoden zu erweitern, ändert sich das Bild. Das ist in jeder Technik oder Wissenschaft so: Nur durch den vergleichenden Rückblick lässt sich feststellen, ob etwa neu ist oder nicht.
Leider Gottes unterbleibt dieser Rückblick aber in der mnemotechnischen Literatur des 20. / 21. Jahrhundert fast immer und fast immer vollständig. Das Ergebnis ist eine Inflation von angeblichen Neuerfindungen, die in Wirklichkeit uralt sind. Beispiele erübrigen sich!
Diese aus meiner Sicht traurige Sachlage führt dann weiterhin dazu, dass man überhaupt nicht mehr an den Fortschritt in der Gedächtniskunst glauben mag. Man verliert sehr leicht das Unterscheidungsvermögen zwischen "altbewährt" und "brandneu", und natürlich spekulieren viele Autoren eben darauf, dass ihre Leser ohnehin keinerlei Ahnung haben und ihnen alles glauben werden; zumal sie oftmals darin selber keine Ahnung haben.
Zuletzt geändert von Ulrich Voigt am Do 27. Okt 2011, 14:54, insgesamt 1-mal geändert.
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Tiffi hat geschrieben:Ich würde mir ein Sachbuch wünschen, das Mnemonik als Kulturgut von den Anfängen bis heute ausführlich darstellt.
Yates und ihre Nachfolger in der wissenschaftlichen Geschichtsforschung versuchen das ja! Das Problem ist nur, dass sie durch die Bank von der Technik zu wenig verstehen. Sie lassen sich auf ernsthafte Experimente nicht ein und haben daher Defizite im Sachurteil. Ein sicheres Gefühl für die Solidität und Tragweite einer Methode erlangt man aber nur dadurch, dass man lange und intensiv genug innerhalb der Technik gelebt hat.
Frances Yates insbesondere, die ja die Galionsfigur einer Forschung ist, war sich nicht einmal sicher, ob Mnemotechnik überhaupt funktioniert. "Sie interessierte sich Schiffe, aber nur für untergegangene", sagte mal jemand. Tatsächlich vermochte Yates überhaupt nicht zu unterscheiden zwischen Schiffen, die als Wrack auf dem Meeresboden liegen und Schiffen, die wunderbar seetüchtig sind und ohne weiteres auf große Reise geschickt werden können. In der Folge verwechselten Historiker immer wieder - ich möchte auch hier sagen: durch die Bank - Fortschritt und Rückschritt in der Geschichte der Mnemotechnik.
Das habe ich in Esels Welt geschrieben und sehe es immer noch so. Ein renommierter Vertreter universitärer Mnemotechnik-Forschung (dessen Namen ich aus Höflichkeit nicht nennen will) schrieb mir damals (2001): "Wenn Sie sich so über uns lustig machen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn wir (!) Sie nicht kennen wollen." Ich habe mich dann auch nicht wirklich darüber gewundert, dass keine einzige Zeitung bereit war, Esels Welt (geschweige denn Das Jahr im Kopf) zu rezensieren. Ich habe mich aber geärgert und kann mich nur mit dem Gedanken trösten, dass ich wenigstens niemandem hinterher oder gar hinten rein gekrochen bin.
Nun bin ich aber selbst ein wissenschaftlicher Historiker. Mir sind die erheblichen Schwierigkeiten, historisches Material aufzuarbeiten, nur zu bewusst. Nur deshalb, weil ich sah, in welcher Konfusion sich all die mir bekannten mnemotechnischen Autoren des 20. Jahrhunderts befanden, wenn es um so etwas wie historische Einordnung geht, habe ich mich damals entschlossen, das Buch Esels Welt, das eigentlich nur eine mnemotechnische Abhandlung hätte sein sollen, mit historischer Forschung zu verbinden. Meines Wissens bin ich der erste Mnemotechniker seit Aretin (1810), der einen solchen Spagat versucht hat. Während aber Aretin die historische Abhandlung und das systematische Lehrwerk streng trennte, habe ich im Gegenteil versucht, beides zu vernetzen.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich rede von historischer Forschung, die selbstverständlich von den Quellen ausgeht und die Sekundärliteratur berücksichtigt, ich rede nicht von einer Einbeziehung historischer Hintergründe, wie sie jedermann mit Google recherchieren und dann irgendwie "gestalten" kann.
Tiffi
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Beitrag von Tiffi »

Ulrich Voigt hat geschrieben: Um nicht missverstanden zu werden: Ich rede von historischer Forschung, die selbstverständlich von den Quellen ausgeht und die Sekundärliteratur berücksichtigt, ich rede nicht von einer Einbeziehung historischer Hintergründe, wie sie jedermann mit Google recherchieren und dann irgendwie "gestalten" kann.
OT:
Hut ab !
Darf ich mal fragen, wie man so etwas im Alltag organsiert bekommt ?
Soweit ich weiß, sind Sie im Hauptberuf doch Lehrer.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihr Arbeitgeber sehr erbaut darüber ist, Sie für längere Zeit frei zu stellen. Sagen wir mal für 1 Jahr.
Wobei 1 Jahr sicherlich exorbitant zu niedrig gegriffen sein dürfte.
Da müßte an die Eins hinten dran vlt. noch eine Null ?

MfG

Tiffi
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µBx
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Beitrag von µBx »

In dem Moment aber, in dem der Anspruch entsteht, das Arsenal der Methoden zu erweitern, ändert sich das Bild. Das ist in jeder Technik oder Wissenschaft so: Nur durch den vergleichenden Rückblick lässt sich feststellen, ob etwa neu ist oder nicht.
Leider Gottes unterbleibt dieser Rückblick aber in der mnemotechnischen Literatur des 20. / 21. Jahrhundert fast immer und fast immer vollständig. Das Ergebnis ist eine Inflation von angeblichen Neuerfindungen, die in Wirklichkeit uralt sind
Herr Voigt ist es nicht so dass die effektivsten Methoden überlebt haben? Andere Techniken werden nicht ohne Grund nicht mehr verwendet oder sehe ich das falsch? Jedenfalls bin ich bisher immer davon ausgegangen da es für mich eine logische Schlussfolgerung ist. Klar sollte niemand eine alte, bereits vorhandene Technik für seine eigene ausgeben aber ich denke das es sinnvoll ist sich an bereits vorhandenen Techniken zu orientieren und sie abzuwandeln um etwas neues zu kreieren oder (falls man das schaffen sollte) ganz neue Techniken entwickeln. Somit stellt sich für mich die Frage ab welchem Zeitpunkt ich behaupten darf dass eine Technik meine Technik ist, muss es etwas absolut neues, noch nie dagewesenes sein?

Ich halte diesen Wetteifer eine Technik unbedingt für seine eigene ausgeben zu müssen eh lächerlich und äußerst kontraproduktiv für die Welt der Mnemotechniken (außer wenn jemand versucht diese Technik zu vermarkten). Von mir aus kann ein Historiker gerne kontrollieren ob es eine Technik bereits in der Vergangenheit gegeben hat allerdings denke ich dass es für die heutige Zeit der Mnemotechniker wichtiger sein sollte eine Batterie an neuen Techniken zu entwerfen um per trial&error am Ende einige neue, effektivere (oder einfach vielfältigere), Techniken zu haben.
Da die Entwicklung von Techniken ein Prozess ist wird man sicherlich am Anfang erstmal die üblichen Techniken abändern und viele Übereinstimmungen (z.B. zu 90%) zu den alten Techniken haben und genau bei diesem Schritt halte ich es für gefährlich wenn jemand behauptet dass die "neuere" Technik von dieser Person absolut nichts neues beinhaltet und 1:1 in der Vergangenheit aufgetaucht ist denn wenn man den Entwickler bei diesem Schritt bereits stoppt dann wird tatsächlich keine neue Methode mehr entstehen. Sollte nun jemand versuchen mit dem Argument aufzukommen der Entwickler sollte die Technik erst präsentieren/posten wenn sie stark genug abgeändert ist dann muss ich dagegen halten das man die Effektivität so einer Technik eher schlecht alleine überprüfen kann wenn man eine "öffentliche" Technik (also für alle nutzbar) entwickeln möchte. Alles in allem geht es mir also um mehr Toleranz für diesen Teil des Prozesses
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Tiffi hat geschrieben:Hut ab !
Ich wollte nicht angeben, sondern nur eine Sachlage klären.
Tiffi hat geschrieben:Darf ich mal fragen, wie man so etwas im Alltag organsiert bekommt ?
Na ja, das ist eigentlich eine persönliche Frage. Ich arbeite eben grundsätzlich schnell und konzentriert, und Ferien im üblichen Sinne habe ich einfach nie gemacht, sondern habe mich dann auf mein Projekt "Mnemotechnik" konzentriert. Einige Ferien habe ich sozusagen in Bibliotheken zugebracht, namentlich in München und in Paris. Wenn ich doch einmal verreisen musste, so habe ich meine Arbeit mitgenommen.
Außerhalb der Ferien war neben der Schule wenig Platz, sehr wenig. Man bewegt sich dann wie eine Schnecke. Jedoch kommen auch Schnecken voran, denn die Gedanken bleiben immer noch bei der Sache.
Praktische Gedächtnisübungen lassen sich mit jedem Beruf verbinden, denn auch das angestrengteste Berufsleben enthält Pausen. Der Lehrerberuf gibt ganz gute Anregungen für Gedächtnisübungen. Und Ideen entwickeln sich manchmal im Schlaf.
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Beitrag von Ulrich Voigt »

µBx hat geschrieben:ist es nicht so dass die effektivsten Methoden überlebt haben?
Das sollte so sein, ist aber nicht sicher. Beispiel: "Geschichtenmethode auf der Grundlage von Klumpen". Sie ist im 19. Jahrhundert untergegangen. Ich habe versucht, sie neu - und sogar in verbesserter Form! - auf den Tisch zu bringen. Das, was man heute überall als Geschichtenmethode bezeichnet, ist die Fadenmethode, in der Begriffe oder Bilder in einer bestimmten Reihenfolge eine Art Handlung tragen.
Somit stellt sich für mich die Frage ab welchem Zeitpunkt ich behaupten darf dass eine Technik meine Technik ist, muss es etwas absolut neues, noch nie dagewesenes sein?
Natürlich nicht! Vom Gefühl her würde ich sagen: Immer dann, wenn ein klares Bedürfnis nach einem neuen Begriff entsteht, sollte man Modifizierungen bekannter Methoden als neue Technik vorstellen. Ich habe z.B. die Klumpenmethode (die zwar heutzutage, wie man bei Worthen/Hunt sehen kann, weitgehend unbekannt ist, jedoch im 17. Jahrhundert öfters eingesetzt wurde, die ich also nicht als Neuerfindung begreife) modifiziert zur Scheinklumpenmethode. Der neue Begriff war zwingend notwendig, anders hätte ich mich gar nicht mitteilen können. Und hier habe ich in der Literatur kein einziges Beispiel finden können, wo jemand diese Methode zum Einsatz gebracht hätte.
Manchmal ist es auch sinnvoll, neue Bezeichnungen für gut bekannte Methoden einzuführen, wie z.B. Routentechnik (Gunther Karsten) für die Art von Loci-Technik, bei der man die Örter der Reihe nach durchwandert. Was würde man aber sagen, wenn Gunther Karsten behauptet hätte, damit eine Technik erfunden zu haben?
halte ich es für gefährlich wenn jemand behauptet dass die "neuere" Technik von dieser Person absolut nichts neues beinhaltet und 1:1 in der Vergangenheit aufgetaucht ist denn wenn man den Entwickler bei diesem Schritt bereits stoppt dann wird tatsächlich keine neue Methode mehr entstehen. [...] Alles in allem geht es mir also um mehr Toleranz für diesen Teil des Prozesses
Wie kann es denn sein, dass ein Entwickler durch so einen Hinweis gestoppt würde? Kann er sich nicht wehren, indem er auf den Unterschied zwischen seiner Erfindung und dem historischen Beispiel hinweist?
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DocTiger
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Beitrag von DocTiger »

Es ist ja nicht so sehr das Problem, diese Techniken zu erfinden, vielmehr ist es ein Problem sie beizubringen und zu verbreiten. Zum Beispiel wurde der Satz von Pythagoras mehrfach auf der ganzen Welt entdeckt, in Südamerika und China zum Beispiel.

Auch John Nash (Ja er lebt nocht...) zum Beispiel hat am Anfang seines Studiums in Princeton Einstein und von Neumann genervt mit seinen Theorien und Ideen die schon jemand anders entdeckt hatte.

Was ich damit sagen will ist, dass die Diskussion darüber wer wann was entdeckt oder erfunden hat zwar nicht völlig uninteressant aber doch recht nebensächlich ist.
Lerntechnik Praxis: http://bit.ly/8ONmbS
Tiffi
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Beitrag von Tiffi »

Zu Aimé Paris gibt es nicht einmal einen Wiki-Eintrag im Deutschen. Nicht einmal im Französischen Wiki (oder Englischen) wird, neben einer kurzen Erwähnung, seine Mnemotechnik behandelt......

Allein der zweite Band seiner "Principes ... de la Mnemotechnie", der mir vorliegt, umfasst 750 Seiten.
Das war mir auch aufgefallen.
Ist jemandem bekannt, ob es für sein zweites Band eine deutsche Übersetzung gibt ?
Mein Französisch und noch schlechter als mein Englisch und das ist schon unterirdisch !

MfG

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Tiffi hat geschrieben:Aimé Paris [...]"Principes ... de la Mnemotechnie"
Ist jemandem bekannt, ob es für sein zweites Band eine deutsche Übersetzung gibt ?
Gibt es nicht, auch nicht ins Englische. In Deutschland sind nur wenige seiner Arbeiten in Bibliotheken vorhanden. Ich bin daher, ihn näher kennen zu lernen, nach Paris gefahren (zwei Wochen Herbstferien 1996).
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