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Hierein gehört alles was die Geschichte und Methoden der Mnemotechnik betrifft. Z.B. Was ist die Geschichtenmethode? Was sind Routen? Des Weiteren geht es auch um die historische Betrachtung und Analyse der Mnemotechnik.


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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Vera Birkenbihl und andere empfehlen, nach dem Prinzip "Stadt-Land-Fluss" mit alphabetisch geordneten Wörterlisten zu arbeiten und halten das scheinbar sogar für besser und fortschrittlicher als das Major-System.
Birkenbiehl (Das innere Archiv, 2. Aufl., 2005) gibt nach Überschriften alphabetisch geordnet 75 solche Listen an. Für die Buchstaben X und Y hat sie sehr häufig keine Wörter parat, manchmal auch nicht für C, J, U, W.

Wenngleich die Meinung, ABC-Listen seien dem Major-System überlegen, ziemlich blauäugig ist, so heißt das ja nicht, dass solche Listen nicht auch ihren Wert hätten.

Ich halte es aber aus dem obigen Grund für fragwürdig, an dem ABC sklavisch festzuhalten. Vielmehr würde ich empfehlen, es auf ein 20-Buchstaben-ABC herunterzuschrauben.
Das hat zwei Vorteile: Erstens findet man zu jedem Buchstaben genügend viele Wörter, zweitens lässt sich die Nummer der Buchstaben leichter merken; man hat also nicht nur eine Buchstaben-Garderobe, sondern eine numerierte Buchstabengarferobe.

Der älteste Ansatz in dieser Richtung, den ich kenne, stammt aus dem jahr 1503 und wurde in der nachfolgenden Literatur öfters beachtet, namentlich von Döbel (1707).

Die Reduzierung erfolgt durch C=K=Q, I=J=Y, V=U=W. Das Gedächtnis-ABC lautet also A B C D E F G H I L M N O P R S T V X Z

Ich habe das in Esels Welt, (2001), S. 103 f., 168, 187 f., beschrieben. Dort wird auch eine Methode angegeben, sich die Nummern der Buchstaben zu merken.

Gegenüber dem von Birkenbihl und anderen heutzutage benutzten simplen Stadt-Land-Fluss System scheint mir dieses alte Verfahren deutlich vorteilhaft.

Döbel hielt an dem ungünstigen Buchstaben X fest, was ich nicht tun würde. Vielmehr würde ich C=K=Q=X setzen und am U festhalten, also
A B C D E F G H I L M N O P R S T U V Z empfehlen.

Gleichviel: Die Idee war dann, diese Buchstaben nach dem Prinzip -a -e -i -o -u zu erweitern, so dass also eine berechenbare 100-Garderobe entsteht.

Jedes Wort verwandelt sich damit in eine Zahl zwischen 1 und 100.

Z.B. Aa = 1 Adam Allah / Ae = 2 Alete Adele / Ai = 3 Abitur Achill / Ao = 4 Adolf a-Moll / Au = 5 Aluminium Akku
Z.B. Na = 56 Napoleon Napalm / Ne = 57 = Neger Negligée / Ni = 58 Niger Niebühl / No = 59 = Note Nora / Nu = 60 = Null Nubien

Jetzt fehlt nur noch, dass irgendein Schlaumeier solch ein System als geniale Neuerfindung clever vermarktet.
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Hugin und Munin
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Re: Buchstaben

Beitrag von Hugin und Munin »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Ne = 57 = Neger Negligée
Hilfe! Polizei! Verfassungsschutz! Trommelkreise!

Sonst bleibt mir wohl nur zu sagen, dass das Problem der "Neuheiten" und die Nichtbeachtung der Scheinklumpenmethode darin begründet sein könnten, dass es sich um einen Bereich handelt mit dem vorallem Geld gemacht wird und jener gewinnt, welcher sich am besten verkaufen kann.

Esels Welt ist nun kein Buch für die Masse. Falls Die Scheinklumpenmethode anders aufträte und eben jene Themen aufgreift, welche in den anderen Einführungen zur Mnemotechnik behandelt werden, dann würde diese Methode vielleicht bald dadurch geehrt werden, dass andere sie schamlos kopieren: pseudo chunk method TM etc.
Klaus Horsten
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Re: Buchstaben

Beitrag von Klaus Horsten »

Ulrich Voigt hat geschrieben:nach dem Prinzip "Stadt-Land-Fluss" mit alphabetisch geordneten Wörterlisten
Auch zum Beispiel in:
Robert Fludd: Utriusque Cosmi Historia, Tomus II. [1619]
Documenta Mnemonica, Band 2, Das enzyklopädische Gedächtnis der Frühen Neuzeit
Enzyklopädie- und Lexikonartikel zur Mnemonik
Hg. Berns, Jörg Jochen, and Neuber, Wolfgang
Berlin, New York (DE GRUYTER) 1998 oder 2011
Seite 79–132

S. 105: Überschrift: "Einige Alphabete, die für das Merken von Wörtern, Sätzen, Reden und Gegenständen ... notwendig sind." Original: de alphabetis quibusdam necessariis ad vocabulorum, sententiarum, oratorium ... in memoria retentionem ...

"In beiden Künsten ... werden fünf alphabetische Ordnungen benötigt, deren erste die der Männer, deren zweite die der Frauen, deren dritte die der Säugetiere, deren vierte die der Vögel und deren fünfte die der Fisch sein wird." Und dann wird genau drauf eingegangen.

Die Ausgabe ist zweisprachig, links Latein, rechts Deutsch.
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Beitrag von Klaus Horsten »

In Fludd finden sich übrigens auch die Vorläufer zur Mindmap: z.B. Seite 120 (in dem genannten Werk).
Klaus Horsten
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Re: Buchstaben

Beitrag von Klaus Horsten »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Dort wird auch eine Methode angegeben, sich die Nummern der Buchstaben zu merken.
Wozu?
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Ulrich Voigt
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Re: Buchstaben

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Wozu?
Reine Routine: Eine ordentliche Garderobe ist bei mir halt nummeriert.
Klaus Horsten
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Re: Buchstaben

Beitrag von Klaus Horsten »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Vielmehr würde ich empfehlen, es auf ein 20-Buchstaben-ABC herunterzuschrauben.
Eine sehr gute Idee! - Solche scheinbar kleinen Modifikationen sind es, worin der Fortschritt der Mnemotechnik besteht. Ein Goldkörnchen auf dem anderen gibt irgendwann einmal einen Haufen Gold.
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Ulrich Voigt
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Re: Buchstaben

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Fortschritt
Der Fortschritt stammt aus dem Jahr 1503. Mich wundert nur, dass die modernen Buchstaben-Ritter diese Möglichkeit nicht zumindest diskutieren.
Sie erörtern auch nicht die Möglichkeit, ihre ABC-Listen zu numerieren. Fragen der Form "Was ist das Objekt Nr. x?" können sie daher mit ihren Listen nicht elegant beantworten.
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Ulrich Voigt
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Re: Buchstaben

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Robert Fludd: Utriusque Cosmi Historia, Tomus II. [1619]
Ich hatte mir zu S. 105 nur notiert: "Buchstaben: Götter / Göttinnen / Tiere / Namen"

Kannst Du mir sagen, wieviele Buchstaben Fludd benutzt?
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Beitrag von Klaus Horsten »

Leider schwanken die Zahlen.

Bekannte Personen: 19
Gestalten aus der Geschichte: 21 (2 davon haben Begleiter)
Bekannte Frauen: 19
Historische Frauen: 19
Tiere: 19
Vögel: 19

19 scheint am häufigsten zu sein (das ist im Latein).
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:19
Danke! Das ist hilfreich.
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Re: Buchstaben

Beitrag von Klaus Horsten »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Fortschritt -> 1503
Dann zeigt der Vektor des Fortschritts in die Vergangenheit.
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Ulrich Voigt
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Re: Buchstaben

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Dann zeigt der Vektor des Fortschritts in die Vergangenheit.
Die Idee des 20-Buchstaben Alphabets nebst -a -e -i -o -u Erweiterung stammt von Gregor Reisch 1503, selbstverständlich zusammen mit Anwendungen. 1707 bastelte Döbel daraus seine Gedächtnisstuben. 2001 zeigte Ulrich Voigt, wie man sich numerisch in dem dazugehörigen 100-System orientieren kann. Die Dinge gehen also einen ganz normalen Gang.
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Re: Buchstaben

Beitrag von Klaus Horsten »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Stammt von Gregor Reisch 1503
Aus seiner "Margarita Philosophica"? Wenn ja, welches Kapitel?
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Ulrich Voigt
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Re: Buchstaben

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben: welches Kapitel?
Gregor Reisch, "Margarita Philosophica" (1503) in: Berns / Neuber, Das enzyklopäd. Gedächtnis, etc., Tübingen 1998, S. 2.
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Beitrag von Klaus Horsten »

Danke!

Hier gibt es das Original (pdf download oben rechts)

http://daten.digitale-sammlungen.de/000 ... 46&seite=1

Wenn das nicht funktioniert hier:

http://www.digitale-sammlungen.de/index ... %2C+Gregor

Und nun weiß ich nicht, wo die Stelle sein könnte.
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Und nun weiß ich nicht, wo die Stelle sein könnte.
Buch iii (Rhetorik) Kap. 23 (De memoria) auf S. 2, als Exemplum memoriae localis.

Danke für den link!
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Beitrag von Klaus Horsten »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Buch iii (Rhetorik) Kap. 23 (De memoria) auf S. 2, als Exemplum memoriae localis
Danke! Jetzt habe ich es gefunden. Es ist, wer das pdf heruntergeladen hat, auf Seite 158. Hier sieht, auch wer kein Latein kann, wie Gregor Reisch eine 100er Garderobe aus dem Abc macht.

Damit überwindet Reisch die Begrenzung einer Abc-Garderobe, die spätestens mit dem 26. Buchstaben zuende ist; man sich also nur 26 Dinge merken kann, dann gezwungen ist, eine neue zu verwenden.

Die memoria ist hier Teil der Rhetorik. Das heißt: die Mnemotechnik ist selbstverständlicher Teil der Bildung. Später einmal wird die Rhetorik unwichtig werden - und damit die memoria-Lehre.
Hansolka
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Beitrag von Hansolka »

Der älteste Ansatz in dieser Richtung, den ich kenne, stammt aus dem jahr 1503 und wurde in der nachfolgenden Literatur öfters beachtet, namentlich von Döbel (1707).

Die Reduzierung erfolgt durch C=K=Q, I=J=Y, V=U=W. Das Gedächtnis-ABC lautet also A B C D E F G H I L M N O P R S T V X Z
Kothe schreibt sie in seinem Katechismus der Mnemotechnik Conrad Celtes/Celtis (1459-1508) zu, der 20 Konsonanten mit jeweils 5 Vokalen kombiniert habe. Er erhielt so pro Vokal 20 Merkworte.
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Hansolka hat geschrieben:Conrad Celtes/Celtis (1459-1508)
Danke! Das ist mal eine Hilfe! Die Darstellung bei Reisch macht in der Tat nicht den Eindruck, als präsentiere er eine eigene Erfindung.
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