Was versteht man unter mnemotechnischem Lernen?

Alles was Lerntechniken und Lernstrategien betrifft, insbesondere aber nicht ausschließlich gehören hier auch die Anwendungen von Mnemotechnik herein.
Wie kann ich am besten für Prüfungen lernen, wie merke ich mir Namen, wie lerne ich Zahlen oder Formeln etc.

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daywalker
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Was versteht man unter mnemotechnischem Lernen?

Beitrag von daywalker »

Nicht jeder weiß es auf anhieb, doch es ist denkbar einfach. Unter mnemotechnischen Lernen versteht man Lernen unter Einsatz der Mnemotechnik. Besonders auf das langfristige Behalten wird hier wert gelegt. Lernstoff aus der Schule oder dem Studium fällt zum Beispiel in diese Kategorie. Es wird versucht die zu lernen Information mnemotechnisch zu verarbeiten. Zum Beispiel unter Einsatz folgender Mentalfaktoren:
Visualisation
Transformation
Assoziation
Fantasie
Emotion
Logik
Lokalisation

Wenn Sie an dieser Stelle nicht genau wissen wie sie diese richtig einsetzen schauen Sie unter http://www.memoryxl.de/gedaechtnistrain ... toren.html
nach.

Nun ein Beispiel:
Will ich mir beispielsweise im Fach Chemie merken was Reduktion und Oxidation ist stelle ich mir dazu folgendes bildhaft vor:
Ich sehe auf einer Wiese eine Blume blühen und eine Biene, die sich im Anflug befindet. Die Blume gibt Pollen (Elektronen) ab (Oxidation) und die Biene nimmt Pollen auf (Reduktion). Will man sich nun zusätzlich merken was Reduktionsmittel und Oxidationmittel ist, stellt man sich vor, dass die Biene beleidigt ist, weil sie so viele Pollen (Elektronen) aufnehmen muss und oxidiert aus Frust deshalb die Blume (Bildhaft stellt man sich vor das nun ein Ochse auf der Wiese steht und auf diesem die Blume). Die Blume ist sich ihrer Größe bewusst sie streckt sich, denn sie ist nun mit nicht mehr vielen Elektronen belastet und reduziert die Biene, um sie noch kleiner zu machen.

Das alles stellt man sich mit den oben genannten Mentalfakoren bildhaft vor wiederholt es ein paar mal. Dadruch erreicht man eine hohe Verarbeitungstiefe. Man sollte von nun an besser darüber Bescheid wissen, was, was ist.

Dieser Vorschlag ist keinesfalls perfekt. Er gibt aber auf jedenfall einen Einblick in das mnemotechnische Lernverfahren.
Zuletzt geändert von daywalker am Sa 24. Apr 2004, 19:18, insgesamt 2-mal geändert.
Lawrence
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Beitrag von Lawrence »

Sorry, wenn ich jetzt Schlau daher Rede, aber es gibt keine neutral geladenen Ionen.

Entweder das Atom hat zuviele Elektronen in der Hülle oder zu wenige. Daraus ergibt sich die Ionenladung. Ein ausgeglichenes Atom wird nicht neutral geladen genannt!

ciao Larry
daywalker
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Beitrag von daywalker »

sorry habe mich da vertan
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Ulrich Voigt
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Re: Was versteht man unter mnemotechnischem Lernen?

Beitrag von Ulrich Voigt »

MacroX hat geschrieben:Unter mnemotechnischen Lernen versteht man Lernen unter Einsatz der Mnemotechnik.
Dem kann ich zustimmen. Man muß aber doch dabei aufpassen, wenn man solche Sprechregelungen übernimmt. Das mnemotechnische Lernen ist nur zum Teil ein mnemotechnisches Lernen in dem Sinne, daß es anders strukturiert wäre als das normale Lernen. Wenn ich nämlich eine Eselsbrücke lerne, so handelt es sich um ganz normales Lernen. Zwar kann ich mir eine Eselsbrücke bauen, um meine Eselsbrücke zu lernen, aber das ändert nicht, daß ich am Ende ganz normal lernen muß. Das ist es, was ich in ESELS WELT S. 65-66 etwas scherzhaft damit beschrieben habe, daß wir Esel doch immer mit zwei Beinen Mensch bleiben müssen.
Modellhaft zugespitzt besteht mnemotechnisches Lernen aus zwei Phasen: (a) dem Erlernen der Eselsbrücke, (b) dem Erlernen eines Inhalts mit Hilfe dieser Eselsbrücke.
Dazu noch einmal ESELS WELT: "Die Esel versuchen dagegen, noch ein oder zwei weitere Beine auf die Erde zu stellen." Das war natürlich positiv gemeint. Die Fundamentalkritiker (wie neuerdings recht vehement Stefan Rieger z.B. in Berns/Neuber, Seelenmaschinen (2000): "Wahnsinn des Merkens") nehmen gerade dies zum Anlaß, Mnemotechnik abzulehnen, denn man sieht ja deutlich, daß das mnemotechnische Lernen in der Tat eine kompliziertere Struktur hat als das normale Lernen.
Mir bringt es immer wieder Spaß, mich über diesen Standpunkt meiner Kritiker lustig zu machen. Sie vertreten den vortechnischen Standpunkt der Urzeit, nein, der frühen Urzeit, oder vielmehr der Zeit vor der frühen Ur-Urzeit, denn der Mensch war immer schon homo faber.

U.V.
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Ulrich Voigt
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Re: Was versteht man unter mnemotechnischem Lernen?

Beitrag von Ulrich Voigt »

MacroX hat geschrieben:Nicht jeder weiß es auf anhieb, doch es ist denkbar einfach.
Theoretisch mag das stimmen. Praktisch gesehen aber ist es überhaupt nicht einfach, sondern denkbar schwierig. Dies ist sogar einer jener Punkte, an dem sich Geister scheiden. Mit dem, was sich heutzutage (damit meine ich : ab dem 19. Jahrhundert zunehmend) als mnemotechnisches Lernangebot zeigt, ist es in aller Regel ausgesprochen trivial, oberflächlich, langweilig und ziemlich nutzlos. Wortlisten, Phantasietatsachen, Zufallszahlen usw., wo brauche ich das denn? Eine Illusion, anzunehmen, die dort im künstlichen Labor entwickelten Methoden würden auf das ernsthafte Lernen so ohne weiteres passen.
Meine Botschaft ist anders: Von der Realität ausgehen, sie gedanklich durchdringen, sie mnemonisch gestalten, sie sodann einer mnemotechnischen Behandlung zuführen. Aber das erfordert ernsthafte Arbeit, für die leider herzlich wenig Interesse zu beobachten ist.
Träume ich? Nein, ich kenne nur leider die Mnemotechnik des 17. Jahrhunderts. Wenn z.B. Johannes Buno über die Mnemotechnik der Lateinischen Sprache oder der Bibel schrieb, dann war selbstverständliche Voraussetzung, daß er als Latinist und Theologe professionell dastand. Wenn Ulrich Voigt über die Mnemotechnik der Kalendertatsachen schreibt, darf man voraussetzen, daß er diese Tatsachen nicht nur von ferne kennt; er hat nämlich nicht vor, hinter das im 17. Jahrhundert bereits erreichte Niveau zurückzufallen.
Jetzt aber denken manche "Mnemotechniker", sie könnten, ohne von einer Sache viel zu verstehen, doch uns sagen, wo`s lang geht. Das macht mir Kopfweh.

Um nun meine Kopfweh auch noch gleich zu analysieren:
Einmal geht es natürlich um eine Art Verflachung im Wissensdurst. Dann aber beruht die Sache doch auf einer Eigentümlichkeit der Mnemotechnik selbst. Mnemotechnik ermöglicht es ja, Inhalte zu lernen ohne sie zu verstehen. Das ist sogar ein wesentliches Merkmal mnemotechnischen Lernens. Wenn man sich aber nur hierauf stützt und verläßt, dann liegt man am Ende flach. Im Hintergrund nämlich muß das Verstehen da sein. Wenn es auch nicht stimmt, daß Verstehen zum Lernen genüge, so ist es doch dort, wo es überhaupt möglich ist, niemals nebensächlich. ESELS WELT S.39: "Es ist offenbar, daß mnemotechnische Arbeit doch auch zu tun hat mit Verständnis für den Erinnerungsinhalt A ".
Wenn aber Mnemotechniker ihren Kopf dadurch aus der Schlinge ziehen, daß sie sich halt auf solche Dinge beschränken, bei denen das Verstehen keine oder keine spürbare Rolle spielt, dann würde ich mir wünschen, daß sie entsprechend bescheiden auftreten.

U.V.
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isegrim
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Beitrag von isegrim »

Wir befinden uns hier im Unter-Forum Was versteht man unter mnemotechnischem Lernen?. Das Lernen mit Mnemotechnik ist keine triviale Angelegenheit: Wenn ich es unternehme, mit Hilfe der Mnemotechnik Latein oder die chinesischen Schriftzeichen zu lerne, so benötige ich als Eingangsvoraussetzung ein gutes Grundverständnis der Gedächtniskunst.

Aus dieser Sicht müsste man meiner Meinung nach Begriffe wie Grundstufe und Oberstufe in der Mnemotechnik einführen. Der Leser, der Mnemotechnik bisher überhaupt nicht kennt und in der Buchhandlung ein Buch wie Das Jahr im Kopf zur Hand nimmt, wird in der Regel das ungeheure Potential gar nicht erkennen, was darin steckt. Wahrscheinlich wird er es als reichlich esoterisch zur Seite legen.

Wenn ich Mnemotechnik lernen (bzw. lehren) will, muss ich mit der Grundstufe, also sozusagen dem kleinen Einmaleins, anfangen. In der allerersten Unterrichtsstunde wäre das dann etwa eine Liste mit 10 Wortpaaren, die es zu assoziieren gilt. Dabei würden dann auch erstmal die mnemotechnischen Grundprinzipien vermittelt.

Das bedeutet: Augen schließen, mentale Bilder konstruieren, Verknüpfungen herstellen.

In den nächsten Lektionen kommen dann Verknüpfungsketten, mit 10, 15, 20 und mehr Kettengliedern. Dann kommen Routen (Loci-System), dann sind abstrakte Worte zu memorieren, usw.

Es muss also ein Fundament der Mnemotechnik gelegt werden. Das mag für den Profi, der in Gedächtnispalästen lebt oder den Ostersonntag von 1815 im julianischen Kalender in Sekunden bestimmen kann, trivial erscheinen. Aber jeder muss klein anfangen. Man darf das kleine Einmaleins der Mnemotechnik nicht als bekannt voraussetzen. Die Grundprinzipien müssen verstanden und eingeübt sein!

Wer diese Grundelemente beherrscht kann sich daran machen, etwa Französich in der Weise zu lernen, dass er die Deklinationen, die Konjugationen und alle anderen grammatischen Phänomene mnemotechnisch kodiert. Das reine Vokabelpauken, eine Teilkomponente des Sprachenlernens, geht ja schon mit der auch für Anfänger zugänglichen Schlüsselwortmethode schon ganz gut.

Fazit: Es gibt eine mnemotechnische Grundstufe. Die muss ich lernen und verinnerlichen; die Beherrschung bringt übrigens im täglichen Leben schon eine ganze Menge.

Wenn ich das kann, mache ich mich an die mnemotechnische Oberstufe, also elaborierte Mnemotechnik wie in Das Jahr im Kopf.

Eine ähnliche Unterscheidung gibt es übrigens auch in der Stenographie. In der deutschen Einheitskurzschrift wird unterschieden zwischen:

1. Verkehrsschrift
2. Schnellschrift

(letztere wird noch differenziert nach 2.1 Eilschrift und 2.2 Redeschrift)

Überflüssig zu sagen, dass man nicht gleich als Parlamentsstenograph einsteigen kann, sondern erstmal mal die Grundstufe (die Verkehrsschrift) gelernt und verinnerlicht haben muss.

So eine Unterscheidung wäre in der Mnemotechnik auch hilfreich.

isegrim
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

isegrim hat geschrieben:Aus dieser Sicht müsste man meiner Meinung nach Begriffe wie Grundstufe und Oberstufe in der Mnemotechnik einführen.
Vollkommen richtig! Das ist ja mit allen Tätigkeiten und Fertigkeiten so, - falls sie überhaupt einen Wert haben.
Mir war dies auch vollkommen klar, wie ich meine beiden letzten leicht polemischen Beiträge schrieb. Ich will ja gar nicht darauf hinaus, Elementartechnik etwa zu verachten oder einfache Anwendungen abzulehnen. Ich finde nur, daß es auf der anderen Seite des Ufers auch ganz energisch weitergehen muß.
8)
U.V.
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Vollkommen richtig!
Oder doch nicht? Der Unterschied zwischen elementarer und fortgeschrittener Technik müßte doch eigentlich die Technik selbst betreffen, unabhängig von ihrem Inhalt.
Dementsprechend habe ich sowohl in ESELS WELT (1) wie auch in DAS JAHR IM KOPF (2) versucht, "höhere Mnemotechnik" zu definieren, allerdings unterschiedlich.
(1) Höhere Mnemotechnik = Mnemotechnik auf der Grundlage von Geschichten.
S. 151: "Ich sehe in dem Bestreben, Geschichten zu konstruieren oder doch Bruchstücke von Geschichten, Ausschnitte von Träumen, kurze Abläufe, Szenen, Augenblicke usw., die dann als Eselsbrücken funktionieren, die höhere Mnemotechnik, die damit eine Angelegenheit der Moderne ist. Die antike Technik war eine statische Bildertechnik mit nur ganz dürftigen Ansätzen zur Dynamik. Insogern hatte die Antike doch die wahren Möglichkeiten der Mnemotechnik noch nicht erfaßt." - Das nenne ich einmal "ziemlich weit ausgeholt".
(2) Höhere Mnemotechnik = Multiple-Choice-Technik.
S. 262: "Mnemotechnik für Fortgeschrittene", "die simultane Benutzung von zwei gleichartigen 100-Garderoben". - Das ist nun wieder "ziemlich eng zugeschnitten".

Ich habe also meine Position (1) verändert. Sie erschien mir plötzlich zu wenig technisch. Sie gibt wohl den Rahmen, macht es aber zu einfach. Vielleicht war ich aber auch nur zu sehr hingerissen von meinen eigenen mnemotechnischen Konstruktionen, so kam mir die Vision, daß höhere Mnemotechnik polyphon sei.

U.V.
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Vollkommen richtig!
Die interessante Unterscheidung verläuft eigentlich nicht zwischen "anfänglich" und "fortgeschritten" bzw. "elementar" und "elaboriert", sondern zwischen "virtuell" und "real".

Beim Klavier z.B. geht es um Musik. Fingerübungen sind Mittel zum Zweck. Sie sind wichtig, sogar norwendig, aber bedeutungsarm. Wenn man sie verselbständigt, um als Fingerakrobat oder Fingersportler aufzutreten, hat man die Musik verlassen. Oder vielmehr, man hat eine neue Musik geschaffen, eine virtuelle Zweckmusik, die dazu da ist, die Fingergeschicklichkeit und Fingerkraft zur Geltung zu bringen. Ob man jahrelang bloß Fingerübungen machen soll, um sich dann als Pianist irgendwann der Musik zuzuwenden, glaube ich eher nicht. Die Technik, die von realer Musik abverlangt wird, ist doch immer eine andere als die der bloßen Übungen. Nein, von Anfang an geht beides zusammen, die Hauptsache aber ist die Musik. Nicht nur die kleinen einfachen Liedchen, die man gleich zu Anfang schon zu gestalten lernt, sondern auch und gerade die große Musik, die man nämlich von Anfang an hört und auf die man zugeht.

Oder Bergsteigen. Nur immer an der Kletterwand zu üben und dann hinauf auf die Eiger-Nordwand? Das müßte aber eine Kletterwand sein, die es in sich hat und die von Leuten hergestellt ist, die selbst nicht nur die Eiger-Nordwand kennen. Wie aber, wenn die Fabrikanten von künstlichen Kletterwänden selbst noch nie ihr Studio verlassen hätten? Oder nur mal so in den Schwarzwald? Ist es nicht auch hier so klar wie Kloßbrühe, daß beides zusammengeht, daß aber der Kontakt zu den realen Bergen die Grundlage aller Bergsteigekunst von Anfang an sein muß? Muß man nicht befürchten, daß die Kletterschüler, die aus einer dieser virtuellen Kletterschulen kommen, beim Anblick eines realen Berges hilflos umkehren oder schrecklich ums Leben kommen?

Mein eigener Weg zur Mnemotechnik verlief überhaupt nicht über Elementartechnik und einfache Übungen zu Wortlisten, Einkaufszetteln und Zufallszahlen, sondern begann unmittelbar mit dem Objekt "Das Chinesische Zeichenlexikon". Ich hatte eben das Pech (=Glück), einem Meister zu begegnen, der mit diesem Thema befaßt war und mich an der Hand führte. Ich war also von Anfang an in der frischen Luft des Hochgebirges. Daher stammt ja auch meine ungebrochene Begeisterung für diese wunderbare Gedächtniskunst. Erst Jahre später begegnete mir Harry Loraynes Super-power Memory usw., das war dann sehr spannend, aber auch sehr leicht und seicht. Schon sehr nützlich, aber weder als Vorstufe, noch als Trainingsgrundlage.

U.V.
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isegrim
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Beitrag von isegrim »

Ulrich Voigt hat geschrieben:[...]

Mein eigener Weg zur Mnemotechnik verlief überhaupt nicht über Elementartechnik und einfache Übungen zu Wortlisten, Einkaufszetteln und Zufallszahlen, sondern begann unmittelbar mit dem Objekt "Das Chinesische Zeichenlexikon". Ich hatte eben das Pech (=Glück), einem Meister zu begegnen, der mit diesem Thema befaßt war und mich an der Hand führte. Ich war also von Anfang an in der frischen Luft des Hochgebirges. Daher stammt ja auch meine ungebrochene Begeisterung für diese wunderbare Gedächtniskunst. Erst Jahre später begegnete mir Harry Loraynes Super-power Memory usw., das war dann sehr spannend, aber auch sehr leicht und seicht. Schon sehr nützlich, aber weder als Vorstufe, noch als Trainingsgrundlage.

U.V.
Das ist dann möglicherweise ein ungewöhnlicher Zugang zur Mnemotechnik. Bei mir hat es leider erst im zweiten Versuch geklappt:

Anfang der Neunziger Jahre kaufte ich Kopftraining von Tony Buzan. Dieses Buch befasst sich nicht nur mit Mnemotechnik. Es hat sicherlich auch an mir gelegen, weil ich das Buch nur oberflächlich gelesen habe. Jedenfalls habe ich das Grundprinzip der Mnemotechnik (Visualisierung) nicht verstanden. Ich las da etwas von Reim-Zahl-System und dachte mir: Wie um Himmels Willen soll mir das denn etwas bringen? Das sind doch alberne Kindereien!

Einige Jahre später las ich dann Das perfekte Gedächtnis von Roland Geisselhart. Geisselhart widmet dem elementaren Einstieg in die Mnemotechnik großen Raum, und genau das hat mir geholfen. Ich hatte dann sozusagen die Erleuchtung, es hat "Klick" gemacht. Diesen Effekt muss man aber beim Leser erst erreichen. Ich würde das auch nicht als trivial oder seicht bezeichnen. Nicht nur, dass dadurch erst die Grundlagen für elaborierte Mnemotechnik gelegt werden, die elementare Mnemotechnik bringt auch im täglichen Leben, also jenseits der Gedächtnismeisterschaften und Gedächtnispaläste erhebliche Vorteile mit sich.

Hätte ich den Einstieg über das Buch von Geisselhart nicht gefunden, wäre ich an Esels Welt vermutlich achtlos vorbeigegangen.

Geisselhart, das nur am Rande, ist Lorayne in hohem Maße verpflichtet, das merkt man an der Darstellung bis in Einzelheiten.

isegrim
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Beitrag von isegrim »

Die elementare Mnemotechnik ist wie gesagt an sich schon sehr nützlich: Wenn ich das Memorieren von Zufallszahlen beherrsche, kann ich mir auch Telefonnummer, PIN-Nummern, Passwörter usw. merken. Es ist also nicht von der realen Welt abgekoppelt. Die kommerziellen Gedächtnistrainer sind gerade im Feld der Seminare für Mitarbeiter von Unternehmen tätig. Die würden solche Kurse sicher nicht belegen, wenn es nicht einen greifbaren Mehrwert hätte.

Wenn ich das Bild von der Bergsteigerei nochmal aufgreifen darf: Der Sportkletterer von der Kletterwand ist so ohne weiteres natürlich nicht für das Hochgebirge gerüstet. Er hat aber eine exzellente Grundlage gelegt. Im Fernsehen habe ich einen Bericht gesehen, in dem hat Reinhold Messner den Spitzensportkletterern exzellente technische Fähigkeiten bescheinigt. Das heißt, Dinge wie Muskelkraft und Bewegungskoordination werden isoliert intensiver trainiert, als das unter realen Bedingungen möglich wäre.

Im Hochgebirge müssen dann natürlich noch Vertrautheit mit der Ausrüstung, meteorologische Kenntnisse usw. hinzukommen.

Und jetzt der Bezug zur Mnemotechnik: Wer ein Kartenspiel mit 52 Karten in einer Minute memorieren kann (=Sportklettern), kann damit noch nicht die lateinische Grammatik beherrschen. Er hat aber gute Voraussetzungen, wenn er es -mit mnemotechnischen Methoden- wollte. Denn er beherrscht das sichere Generieren und Abspeichern von mentalen Bildern. Darauf kommt es auch in der elaborierten Mnemotechnik (=Klettern im Hochgebirge) auch an.

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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

isegrim hat geschrieben:das Grundprinzip der Mnemotechnik (Visualisierung)
Ich bestreite, daß Visualisierung das Grundprinzip der Mnemotechnik ist. Dazu gab es im 19. Jahrhundert eine ausgedehnte Diskussion, hinter die man bitte nicht zurückfallen sollte (zusammengefaßt und analysiert in ESELS WELT S. 24-29 als Grundlage für alle weiteren Überlegungen. Stichwort: "Maßstäbe").
Wer Mnemotechnik an Visualisierung bindet, reduziert sie auf die antike imago (bzw. loci) Technik und leugnet damit den gesamten Fortschritt, den die Mnemonik seit Aretin erzielt hat.
In ESELS WELT (S. 30) habe ich diese Art von Geschichtslosigkeit (= Ahnungslosigkeit, denn um mehr handelt es sich ja gar nicht) als eines der traurigen Merkmale zeitgenössischer Mnemotechnik bezeichnet. Obwohl ich nämlich im Grunde meines Herzens ein friedlicher Mensch bin, überkommt mich doch manchmal ein gerechter Zorn. :shock:

Als Grundprinzip der Mnemotechnik betrachte ich: Die willkürliche Zweckassoziation (ESELS WELT S. 108-109). :idea:

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Beitrag von isegrim »

Da bin ich, mit Verlaub, anderer Meinung. Vielleicht liegt aber auch nur ein Missverständnis vor.

Meine Ausgangsfrage ist: Was kennzeichnet für einen Außenstehenden, einen Nicht-Mnemotechniker, das Wesen der Mnemotechnik, wenn man es auf den Punkt bringt: Das ist nuneinmal die Visualisierung, d. h. das Generieren von mentalen Bildern, die zu memorierendes Material repräsentieren. Dieser Vorgang ist etwas besonderes, vielleicht fällt es einem routinierten Mnemotechniker schwer, sich das zu vergegenwärtigen.

Sicherlich erschöpft sich die Mnemotechnik nicht im Generieren von Bilder, es wurden jede Menge Verfeinerungen erdacht, etwa das Konstruieren von Geschichten oder das Einbeziehen von anderen Sinneseindrücken (Geruch, Tastsinn, Gehör usw.).

Ferner geht es um Methoden, um über das sequentielle Abspeichern hinaus auch einen indizierten Zugriff zu ermöglichen ("wie lautet bei Pi die 238. Stelle hinter dem Komma?") und anderes mehr, in der Ausbaustufe sogar die mnemotechnische Kodierung von komplexen Wissensmaterien.

Aber das tägliche Brot des Mnemotechnikers, dabei bleibe ich, ist das Generieren von Bildern. Das ist die Basis, ohne die gar nichts geht.

Ich habe die Autoren des 19. Jahrhunderts, die in Esels Welt eingehend behandelt werden, selbst im Original nicht gelesen. Aber ich denke, dass das Grundprinzip der Visualisierung, also ein Arbeiten mit der rechten Hirnhälfte, wie man heute sagen würde, immer zumindest stillschweigend vorausgesetzt wird.

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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

isegrim hat geschrieben:Was kennzeichnet für einen Außenstehenden, einen Nicht-Mnemotechniker, das Wesen der Mnemotechnik, wenn man es auf den Punkt bringt?
Diese Frage gibt meines Erachtens keinen Sinn, da sie ziemlich beliebige Antworten zuläßt.

U.V.
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Beitrag von Ulrich Voigt »

isegrim hat geschrieben:Aber das tägliche Brot des Mnemotechnikers, dabei bleibe ich, ist das Generieren von Bildern. Das ist die Basis, ohne die gar nichts geht.
Das bestreite ich.

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Beitrag von Ulrich Voigt »

isegrim hat geschrieben:Im Hochgebirge müssen dann natürlich noch Vertrautheit mit der Ausrüstung, meteorologische Kenntnisse usw. hinzukommen.
Vielleicht kann man ja (obwohl es mir verkehrt erscheint) in der Bergsteigerei so vorgehen. Immerhin werden die Kletterwände usw. von Leuten erdacht, die die wirklichen Berge gut kennen. Wie aber, wenn die Kletterwände von Leuten hergestellt wären, die selbst noch nie richtig im Gebirge waren und auch gar kein Interesse am wirklichen Bergsteigen hätten? Die Kletterwände würden sich verselbständigen. Nun wäre das ja nicht weiter tragisch, denn der sportliche Wettbewerb an Kletterwänden ist doch toll!. Nun aber zurück in die Berge. Was tun diese (von mir ausgedachten) Kletterkünstler, wenn sie dann vor dem Matterhorn stehen? Sie bauen dort ihre Kletterwand auf, lehnen sie an das Matterhorn an, klettern hinauf und hinunter und sagen: "Seht Ihr, das Matterhorn ist für uns gar kein Problem."
Warum ich Harry Lorayne als seicht empfunden habe, ist eben dies, daß er über das Lernen von Vokabeln schreibt, als ob das die leichteste Übung der Welt sei; schaut man aber genauer hin, dann geht es ihm nur darum, mal eben ein paar Wörter zu lernen (und wieder zu vergessen). Tja, Deutsch gelernt in 30 Minuten. Paris kennengelernt in 40 Minuten. Mein Schlüsselerlebnis war dann Jonathan Hancock, der damalige Gedächtnisweltmeister, der im Stile Loraynes (nur intensiver , kundiger, wie mir scheinen wollte) übers Vokabellernen schrieb. Aber nein, Deutsch kann er nicht lesen. Autsch.
Wenn man mit Fadenmethode oder Keywortmethode an eine Sprache herangeht, um ihr Vokabular zu erlernen, sieht man bald, daß die Sache so einfach gar nicht ist. Umgekehrt sollte es sein: Man sollte sich in der Sprache (allgemein: in der Sache) gut auskennen und dann eine Mnemotechnik entwerfen.

U.V.
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Beitrag von gandalfthewhite »

Auch wenn das jetzt nicht direkt zum Thema gehört: mich erstaunt immer wieder, dass sogenannte Mnemotechniker glauben eine Sprache über Keywortmethode lernen zu können. Dabei gehen sie von grundlegenden Fehlannahmen aus:

1. Man muss nur die ersten 100 (Bei Buzan in "Master your mind"), 300, oder xxx Wörter einer Sprache kennen um sie zu können.

2. Die (bewusste oder unbewusste) Kenntnis von grammatikalischen Strukturen ist irrelevant oder nebensächlich.

3. Es ist egal, wie man die Wörter ausspricht - hauptsache man wird irgendwie verstanden.

Mit diesen Grundannahmen ist richtiges Sprachenlernen natürlich unmöglich, es reicht ja allenthalben für ein paar Floskeln ala "Hallo", "wie geht's" etc. Außerdem ist einem eine tiefere Kenntniss der Sprache verwehrt. Auch wird man auf wenig Gegenliebe bei den Einheimischen stoßen, wenn man sich nicht um die richtige Aussprache scherrt.

Aber das war jetzt nicht zum Thema...

Gruß,

Gandalf
daywalker
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Beitrag von daywalker »

Aber das war jetzt nicht zum Thema...
Trotzdem ein sehr guter und vor allem richtiger Beitrag. Die Probleme sind einfach vorhanden und man kann sie nicht übergehen. Ich bin noch Schüler und lerne deshalb noch fleißig. Ich selbst habe Englisch als Leistungskurs und kann nur sagen, dass ich mit der Schlüsselwort-Methode bislang wenig Erfolg hatte. Ich habe es jetzt auch dran gegeben Vokabeln damit zu lernen. Mir persönlich geht es auch nicht um ein paar 100 Vokabeln, sondern um Zehntausende, die ich auch alle korrekt aussprechen und schreiben kann.
Wenn man mit Fadenmethode oder Keywortmethode an eine Sprache herangeht, um ihr Vokabular zu erlernen, sieht man bald, daß die Sache so einfach gar nicht ist.
Da gebe ich Ihnen Recht!
Umgekehrt sollte es sein: Man sollte sich in der Sprache (allgemein: in der Sache) gut auskennen und dann eine Mnemotechnik entwerfen.
Ich würde gerne mal ein konkretes Beispiel dazu hören. Eine Mnemotechnik extra entwickeln kostet nämlich viel Zeit.

Wir sollten endlich mal konkreter und vor allem praktischer an die Sache herangehen. Ich denke das Ziel ist bei allen gleich: Die Mnemotechnik weiterentwickeln, um sie auch für komplexere Lernvorgänge tauglich zu machen.

Wenn wir das nicht machen sitzen wir in 100 Jahren noch hier.
Zuletzt geändert von daywalker am Do 29. Apr 2004, 18:54, insgesamt 1-mal geändert.
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Njord
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Beitrag von Njord »

Ich gebe dir völlig Recht Macrox. Das Problem bei vielen Autoren von Gedächtnisbüchern ist die fehlende Mnemotechnik(-en) für das Behalten von Komplexen Lernstoff. Auch in vielen anderen Fächern ins besondere Biologie, das mein Leistungskursfach ist, muss man sich sehr viele Detailreiche Themen, wie Photosynthese, Gärung, Atmung, ..., einprägen. Das ist mir bisher nur möglich durch Tony Buzans Mindmap Methode die ein wahres Wunderwerk ist. Doch ohne diese Aufzeichunungs Methodik ist es sehr schwierig die Vorgänge der Photosynthese Bspw. zu memoreiren und was noch wichtiger ist, richtig zu verstehen. Es muss noch sehr viel getan werden um wirklich effektive Mnemomethoden für komplexen Lernstof zu entwickeln. Doch solche Entwicklung ist dringend notwendig da sonst die Mnemotechnik und somit auch der Gedächtnissport in Verruf und schlimmer noch, in Vergessenheit gerät.


MfG Njord
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isegrim
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Beitrag von isegrim »

@ Ulrich Voigt

Zum Thema Visualisierung als Grundprinzip der Mnemotechnik: Ich bin mir nicht sicher, ob wir da nur aneinander vorbeireden, oder ob sich da grundsätzliche Unterschiede auftun. Ich könnte vielleicht noch präzisieren:

Das Grundprinzip der Mnemotechnik ist: Visualisierung und Assoziation.

Anschließend an die Umschreibung aus Esels Welt: willkürliche Zweckassoziation wäre ich auch bereit zu sagen:

Visualisierung und willkürliche Zweckassoziation. Aber das Element Visualisierung ist für mich unabdingbar. Aber vielleicht stellen wir das erstmal zurück....

Und jetzt zum Thema Mnemotechnik für's Lernen von Sprachen und anderen komplexen Wissensgebieten. Da gibt es, fürchte ich, schlechte Nachrichten zu vermelden: Eine umfassende Lösung gibt es derzeit nicht! Wie Ulrich Voigt völlig zutreffend schreibt, kann so etwas nur von jemandem kommen der:

a) die Sache selbst beherrscht und
b) ein pfiffiger Mnemotechniker ist.

Mir ist nicht bekannt, dass solche fortgeschrittenen mnemotechnischen Rundumpakete zur Zeit existieren. Eine Ausnahme ist vielleicht so ein Spezialgebiet wie die Kalenderrechnung (Das Jahr im Kopf). Aber wenn es etwa um eine mnemotechnische Grammatik der lateinischen oder französischen Sprache geht: Fehlanzeige!

Wie ich aus Esels Welt weiß gab es in der Geschichte durchaus Ansätze hierzu (ich denke vor allem an Johannes Buno für die lateinische Sprache), aber ich wage zu bezweifeln, ob ein Schüler im 21. Jahrhundert so etwas noch mit Gewinn lesen könnte.

Ich denke, hier ist jeder selbst gefragt, mit den bekannten mnemotechnischen Grundprinzipien das beste aus der Situation zu machen. Und ich sehe keinen Grund für Pessimismus. Beispiel Sprachenlernen: Wenn es auch ad hoc keine anderes mnemotechnisches Hilfmittel gibt bzw. gäbe als die "primitive" Schlüsselwortmethode: Das ist doch besser als gar nichts! Mir ist der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach: Ich lerne lieber ein paar wenige Sätze und Vokabeln auf Französich und kann mich in Paris durchschlagen, als dass ich darauf warte, dass ich sämtliche Konjugationen sämtlicher unregelmäßigen Verben auswendig gelernt habe, sei es mnemotechnisch oder sonstwie.

Aber wie gesagt: Es gibt hier noch viel zu tun. Also Leute, werdet aktiv und erfindet etwas!

isegrim
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