Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Alles was Lerntechniken und Lernstrategien betrifft, insbesondere aber nicht ausschließlich gehören hier auch die Anwendungen von Mnemotechnik herein.
Wie kann ich am besten für Prüfungen lernen, wie merke ich mir Namen, wie lerne ich Zahlen oder Formeln etc.

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Ulrich Voigt
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Pinyin: dao = Wade-Giles: tao - Wieso macht ihn Giles?
Wenn man d und t, die ja phonetisch zusammengehören, mit einem einzigen Symbol bezeichnen und dennoch irgendwie unterscheiden will, so hat man kaum eine bessere Option als das t, t`von Wade-Giles. Im Zhuyin hätte man analog ㄊ, ㄊ`nehmen können.
Klaus Horsten hat geschrieben:Nach dem Unterschied zwischen Pinyin d und t im Chinesischen gefragt, würdest Du sagen, "stimmhaft/stimmlos", ich "nicht-aspiriert/aspiriert". Oder ich habe Dich falsch verstanden. Und nach der Bedeutung bei Wade-Giles von ' gefragt, würde ich sagen, es bedeutet "aspiriert". Das ist alles.
Ob ich sage "stimmhaft-stimmlos" oder "aspiriert-unaspiriert" macht keinen Unterschied, denn solche Bezeichnungen haben keine mnemotechnische Relevanz und keinen praktischen Nutzen. Ich möchte nur keinen Unterschied machen zwischen deutschem und chinesischem d und t.
Klaus Horsten hat geschrieben:Vielleicht ist deshalb [für die mnemotechnische Behandlung] eine Klärung der Unterschiede nicht unerheblich.
Richtig. Über die für mnemotechnische Zwecke passende Wahl bzw. Gestaltung einer Lautschrift sollten wir nachdenken.
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Ulrich Voigt
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Re: Fanqie (Lerntechnik)

Beitrag von Ulrich Voigt »

Fanqie ist Vergangenheit, lange vergangene Vergangenheit. Der koreanische Doktorant aus dem Jahr 2009 betrachtete Fanqie mit Befremden und ohne Verständnis. Chinesische Studenten, die ich hier in Hamburg kenne und dazu befragte, wissen nicht, wovon überhaupt die Rede ist. Einen Satz wie 甫微切 aus dem Kangxi Wörterbuch verstehen sie nicht und müssen ihn sich von mir umständlich erklären lassen.
Andererseits war Fanqie über viele viele Jahrhunderte die hauptsächliche Methode der Chinesen, die Lautungen der Schriftzeichen festzustellen. In jenen Jahrhunderten waren die meisten Chinesen eher Analphabeten, die kleine Schicht der Gebildeten aber kannte vermutlich sehr viel mehr Schriftzeichen als heute: Von zehn im Kangxi aufgeführten Schriftzeichen werden heute nur noch zwei in den Wörterbüchern aufgeführt. Weniger als eines wird noch in den Schulen gelehrt.
Man muss daher vermuten, dass Fanqie eine recht effektive Methode ist, die Lautungen der Schriftzeichen zu erlernen. Und in der Tat: Fanqie zwingt den Lernenden dazu, sich bei jedem Laut eine Kombination von Lauten vorzustellen, die an Schriftzeichen gebunden sind, die er kennen muss und die er den Regeln entsprechend ändern kann. Der Lernende unterliegt also ununterbrochen diesem wohltuenden Zwang, Schriftzeichen und ihre Lautungen zu wiederholen, miteinander in Beziehung zu setzen und selbst herauszufinden, und natürlich kann man dieses System, dem Stand der Schüler entsprechend, zu großer Virtuosität ausbauen.
Zuletzt geändert von Ulrich Voigt am Mo 28. Apr 2014, 14:03, insgesamt 1-mal geändert.
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Ulrich Voigt
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Re: Fanqie (Mnemotechnik)

Beitrag von Ulrich Voigt »

Auf der anderen Seite gibt es Matteo Ricci und den Versuch, Fanqie mnemotechnisch zu untermauern. Obwohl nun Fanqie von niemandem mehr benutzt wird, bleibt dieser Ansatz Riccis aktuell, denn er liefert passable Schlüsselbilder für die Laute.
Ich hatte oben das Schriftzeichen rang (greifen, stehlen) nebst dem menschenköpfigen Schaf (人羊切) vorgestellt.
Es gibt noch mehr Schriftzeichen dieser Lautung, etwa rang (Ackerland, Erdkrume, Erdboden, Land, Gebiet, Gegend, die Erde, zehn Milliarden; fruchtbar, fett) oder rang (Fruchtfleisch, Fruchtgehäuse, Zellstoff, Knorpel, Mark, Kern, Inneres, Inhalt) oder rang ( lärmen, schimpfen, zanken, herausplatzen mit, schreien), u.a.m.
Man kann diese Schriftzeichen bequem alle auf dasselbe Lauttier beziehen: Unser Menschen-Schaf ist manchmal, wenn es nämlich sein Maul () aufmacht, recht laut; es schreit und lärmt und zankt. Es kümmert sich im übrigen hauptsächlich um die Erde (), vielmehr um Ackerland und Erdkrume, am liebsten würde es die ganze Erde mit all seinen zehn Milliarden Gegenden fruchtbar und fett machen. Und warum? Wegen der Gurken (), aus deren Fruchtfleisch, will sagen aus deren Mark und Kern, kurz, aus deren Innerem, deren Inhalt, es Zellstoff herstellt.
Das gemeinsame Phonetikum dieser Schriftzeichen ist xiang (unterstützen, helfen; handeln, vollbringen).
Für die Lautung xiang wiederum hätte Matteo Ricci etwa xi (Rhinozeros), (Python, Boa) nebst 襄蟒切, also die Boa mit dem Kopf eines Rhinozeros genommen: Es handelt sich um eine recht tatkräftige Boa, die ihre Freunde unterstützt und ihnen hilft, wo sie nur kann, und die dabei vieles tut und macht und vollbringt.
Nun gehören sämtliche Schriftzeichen der Lautung rang zu diesem Phonetikum . Die Aussage: „Alle diese menschenköpfigen Schafe sind Kinder der Rhinozeros-Boa“ macht dann diese Tatsache anschaulich und leicht merkbar.
Im Gegensatz zum chinesischen Umgang mit der Fanqie-Methode, die spielerisch und virtuos ist, hat dieser „westliche“ Ansatz die Tendenz, die Lautbilder festzuhalten und vielleicht nur den phonetischen Serien entsprechend (so, wie ich es gerade angedeutet habe) zu differenzieren.
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Ulrich Voigt
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Re: Fanqie (Mnemotechnik)

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Die Leitunterscheidung in der Mnemotechnik ist "merkbar/nicht-merkbar". In der Wissenschaft ist es, folgt man dem Systemtheoretiker Niklas Luhmann, "wahr/unwahr". Für die Mnemotechnik hat dieser Unterschied keine Bedeutung. Das bedeutet, auch wenn eine Vorlage falsch ist, kann sie für die Mnemotechnik brauchbar sein. Und das mag teilweise erklären, weshalb Menschen, die wissenschaftlich eingestellt sind, Schwierigkeiten mit der Mnemotechnik haben.
Soweit die Theorie! In Esels Welt wird daher die Gleichgültigkeit der Mnemotechnik gegenüber der Unterscheidung wahr / falsch immer wieder hervorgehoben und geradezu gepflegt. Andererseits wird aber vor dem Missbrauch von Mnemotechnik gewarnt, der dort stattfindet, wo willkürliche Assoziation an die Stelle von Verständnis tritt. Die grundsätzliche Kritik an der Mnemotechnik, wie sie von Descartes, Kant und Hegel geäußert wurde und die als solche auf schwerwiegenden Denkfehlern beruht, hat sehr wohl Berechtigung, wenn es um diesen Missbrauch unserer Kunst geht (Esels Welt, 56 ff.).
In der Praxis sollte sich also der Gegensatz zwischen Mnemotechnik und Verständnis in eine Partnerschaft verwandeln. In meinem Buch Das Jahr im Kopf habe ich gezeigt, wie das geht.
„Kalender“: Gregorianischer Kalender / julianischer Kalender / jüdischer Kalender; Wochentage, Osterdaten, Pessachdaten, Monddaten, lauter Dinge, die sehr viel mit Verständnis zu tun haben! Sogar geht es darum, dieses Verständnis möglichst weit zu führen. Mehr als 80 % meiner Arbeit an dem Buch richteten sich auf die Vertiefung des Verständnisses, nämlich auf die Überführung der vorliegenden Mathematik in eine mental beherrschbare Mathematik. Am Ende habe ich daraus ein selbständiges Buch gemacht, ein Buch, das auf jede Mnemotechnik verzichtet (How to compute key Calendar Dates – Christian and Jewish – by Mental Calculation).
Wo nun ist hier Platz für Mnemotechnik? An zwei Stellen. Erstens geht es darum, einen schnelleren Zugriff auf bereits Verstandenes herzustellen. Beispiel: Die sog. Grenzzahl, die als Differenz zum 21. März angibt, wo sich der jeweilige Ostervollmond befindet. Man kann die Grenzzahl eines beliebigen Jahres durchaus im Kopf berechnen, wozu es bereits mittelalterliche Überlegungen gibt und auf dem yahoo Forum für mental calculation ein längerer Gedankenaustausch mit Robert Fountain stattfand. Aber keine Kopfrechnung erreicht die Geschwindigkeit einer schlauen Mischung aus Mnemotechnik und Kopfrechnen! Zweitens geht es um die Zahlen, die man nicht im Kopf berechnen kann, weil ihre Begründung zu kompliziert ist. Beispiel: Diejenige Jahre, in denen die Abweichung der im Sinne der gregorianischen Reform korrigierten Grenzzahlen von den astronomischen Vollmondszahlen größer ist als 1.

Das Ergebnis ist ein maximales Verständnis der Kalenderdinge zusammen mit einer maximalen Handreichung für mentale Beherrschung.

Wenn ich dies nun auf das Erlernen der chinesischen Zeichen anwende, so suche ich also auch hier Kooperation zwischen Mnemotechnik und Verstehen.

Das Verstehen ist das Erste und es sollte maximal sein. Und schon steht man allein auf weiter Flur! Die Chinesen selbst nämlich erlernen „ihre“ Schriftzeichen weitgehend ohne Verständnis. Sie setzen auf Fleiß und Disziplin und lernen Strichfolgen; die Formen prägen sich dabei per Gewohnheit ein. Bittet man also irgendeinen Chinesen, die Form eines Schriftzeichens zu erklären, so bekommt man in aller Regel keine Antwort. Die „vereinfachten“ Zeichen zumal, die in der Volksrepublik in den 50-ger Jahren eingeführt wurden, nehmen dem Geist der Zeit entsprechend wenig Rücksicht auf historische Gegebenheiten, sie helfen also auch nicht zum besseren Verständnis. Man muss sie einfach als zusätzliche Bürde mitnehmen. Wenn man sich auf sie beschränkt, so ist jede Möglichkeit für Verständnis verbaut. In gewisser Weise war das ja wohl auch die Absicht der Schriftreformer, den Zugang der Chinesen zu ihrer vor-kommunistischen Vergangenheit zu erschweren.
Das Gebot ist aber, bei jedem Zeichen seine Entwicklung zu kennen und möglichst weit zu verstehen. Hat man dies erreicht, so ist das Erlernen schon recht einfach und es zeigt sich schnell, wo Mnemotechnik Platz hat und wo sie nur zu abwegigen Vorstellungen führen würde.
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