Und wieder ein Anfänger ...

Alles was Lerntechniken und Lernstrategien betrifft, insbesondere aber nicht ausschließlich gehören hier auch die Anwendungen von Mnemotechnik herein.
Wie kann ich am besten für Prüfungen lernen, wie merke ich mir Namen, wie lerne ich Zahlen oder Formeln etc.

Moderatoren: Hannes, Boris

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Libuda
Foren-Neuling
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Registriert: Do 21. Nov 2013, 16:57

Und wieder ein Anfänger ...

Beitrag von Libuda »

Hallo zusammen,

lese seit einiger Zeit in diesem Forum mit und wollte mich an dieser Stelle für die vielen interessanten Beiträge bedanken. Einiges was man in Bücher zum Thema Mnemotechnik findet hat doch einen gewissen "Marketingcharakter". Man gewinnt den Eindruck, dass alles super einfach ist und jeder in zwei Wochen Gedächtnisweltmeister werden kann. Viele Detailprobleme der Praxis werden nicht thematisiert. Zu diesen Themen findet man hier tolle Anregungen.

Kurz zu mir: Mein Zugang zum Thema Mnemotechniken erscheint mir rückwirkend betrachtet fast schon naiv. Habe als Schüler ein Buch in die Hand bekommen in dem die Geschichtentechnik beschrieben wurde. Diese hat mir über die Jahre gute Dienste geleistet. In Unkenntnis anderer Techniken habe ich sie für das Non-Plus-Ultra gehalten. Allerdings kam es mir schon immer komisch vor, dass ich bspw. zum memorieren von Skripten extrem lange Geschichten erfinden musste. Als ich dann auf die Loci-Methode und das Major-System gestoßen bin, hatte dies einen richtigen Hallo-Wach-Effekt.

Wenn man als berufstätiger Vater versucht sich weiterzubilden, stößt man häufig auf das Problem der fehlenden Zeit. Vor diesem Hintergrund kann ich es nicht mehr akzeptieren, mühsam Erlerntes zu vergessen. So bin ich also nach einer gewissen Pause wieder beim Thema Mnemotechnik gelandet. Ich würde mir in diesem Feld gerne ein solides Fundament aneignen; nicht zuletzt, um es an meine Tochter weiterzugeben. Es ist mehr als fahrlässig, dass Mnemotechniken nicht in der Schule gelehrt werden. Selbst einfache Erkenntnisse hinsichtlich notwendiger Wiederholungen von Stoff bleiben unberücksichtigt. Millionen Schüler, ich eingeschlossen, verließen und verlassen die Schule in der Gewissheit, einen Großteil des Gelernten schon bald nicht mehr parat zu haben.

Zugegebenermaßen haben ich die Loci-Technik und das Major-System zwar in Grundzügen verstanden aber noch immer ein paar weiße Flecken. Wäre toll, wenn ich zu einigen Punkten ein paar Anregungen erhalten könnte:

Texte lernen:
Versuche mich daran, Texte wortwörtlich auswendig zu lernen. Sicherlich ist dies nicht immer sinnvoll. Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass dies in einigen Situationen (mathematische Definitionen, Gesetze, Zitate) notwendig oder zumindest hilfreich ist. Übe derzeit mit folgender Methode:

Schritt 0: Mit dem Text vertraut machen
Schritt 1: Identifiziere einige wenige Schlagwörter, die eine grobe Idee von dem Inhalt vermitteln.
Schritt 2: Lege diese Schlagwörter auf einem oder mehreren Loci-Punkten ab.
Schritt 3: Reduziere den Text auf die Anfangsbuchstaben der enthaltenen Wörter.
Schritt 4: Bilde aus jeweils drei aufeinander folgenden Buchstaben einen visualisierbaren Satz nach dem Muster Subjekt-Prädikat-Objekt
Schritt 5: Lege jeweils einen Satz auf einem Loci-Punkt ab
Schritt 6: Wiederholung nach: einer Stunde, einem Tag, einer Woche, einem Monat, drei Monaten, sechs Monaten

Mich würde interessieren, wie Ihr dieses Vorgehen bewertet. Möglich, dass ich hier zu kompliziert unterwegs bin. Letztlich macht man aus einem Text nur einen neuen, gleich langen, vielleicht besser visualisierbaren Text. Zudem stellt sich die Frage, wie gut die Anfangsbuchstaben als Gedächtnisimpuls sind.

Meine bisherigen Erfahrungen sind, dass man sich mit der Methode die Texte gut initial einprägen kann. Problematisch wird es, wenn man Passagen gut beherrscht, beim mentalen Aufsagen - ohne Rückgriff auf das Loci-Fangnetz - durch den Text galoppiert und dann plötzlich ins Stocken gerät. In diesen Fällen ist es meistens schwer zu wissen, in welcher der Mini-Geschichten/Routenpunkte man sich befindet. Außerdem tue ich mich schwer, wenn ein Satz aus dem Text innerhalb einer Story endet oder beginnt. Blöderweise ist unsere Sprache nicht ordnungsgemäß in Dreiblöcke unterteilt worden. Längere Wiederholungsintervalle habe ich auch noch nicht hinter mir.

Major-System:
Was ich toll finde, ist das man sich mit dem Major-System Informationen mit einer Ordnungsstruktur lernen und abrufen kann. Während ich bei der Loci-Methode das Gefühl habe, dass die Inhalte mit der Zeit ins "natürliche" Gedächtnis einsickern und die Listen wieder verwendbar sind, habe ich diesen Erfahrung beim Major-System nicht gemacht. Habe bspw. die 25 größten deutschen Unternehmen mit dem MS gelernt. Nun sind die ersten 25 Major-Stellen belegt. Habe die Liste mehrfach wiederholt. Über die Bildverknüpfung könnte ich ableiten, dass RWE auf Platz 14 ist. Diese Information "RWE ->14" scheint aber nicht ins normale Gedächtnis überzugehen. Ist das normal? Liegt es daran, dass mir die Erfahrung fehlt?

Loci:
Bin mit der Organisation und dem Übergang von Loci-basierter Erinnerung in natürliche Erinnerung überfordert. Angenommen ich hätte zwanzig Routen mit jeweils hundert Punkten und würde jeden Tag eine Route mit neuem Wissen befüllen. Dann wären nach zwanzig Tagen alle Routen belegt. Gebt Ihr die Routen erst dann wieder frei, wenn alle Wiederholungen (wie bei Schritt 6 oben) abgeschlossen sind? Dann wäre in meinem Beispiel ziemlich lange Sendepause. Vertraut Ihr ab einer bestimmten Wiederholung voll Eurem natürlichen Gedächtnis? Falls ja, was ist, wenn etwas nach drei Monaten etwas vergessen wurde? Muss man dann diese Fakten ohne Loci memorieren? Die Routenbelegung ist in diesem Fall vergessen oder überschrieben. Benötigt man eine Route auf der man sich merkt, was wo gespeichert wurde?

Sehe ich es richtig, dass bei einem Gedächtnispalast keine Überschreibungen mehr vorgenommen werden? Man setzt einen Inhalt an eine Ort und wiederholt die Belegung dieses Ortes. Auf das natürliche Gedächtnis vertraut man gar nicht.

Sorry, Beitrag ist vielleicht etwas lang geworden.
FrASo
Stammgast
Beiträge: 59
Registriert: Do 03. Jan 2013, 18:24

Re: Und wieder ein Anfänger ...

Beitrag von FrASo »

Willkommen im Forum!

Da ich wenig Zeit habe die Kurzversion, falls es nicht verständlich ist, bitte nachfragen.

1-Routen können mehrfach beschrieben werden, was man aber erst etwas üben sollte.
2-Mnemotechnik ersetzt nicht die notwendigen Wiederholungen. Hierüber weis man schon eine ganze Menge, z.B. die richtigen Zeitpunkte für die Wiederholung, siehe z.B. Gunther Karsten, Erfolgsgedächtnis.
3-Generell zur Wiederholung und zur Vorbereitung des Lernstoffes ist der Klassiker Sebastian Leitner, So lernt man lernen. Einiges ist natürlich veraltet, aber z.B. der Tipp Gedichte Vers für Vers zu lernen, hat mir sehr weiter geholfen.
4-Es gibt mittlerweile Übungsbücher für Kinder. Ein solches habe ich vor einem Jahr in einer Buchhandlung in der Hand gehalten. Mangels Verwendungszweck habe ich mir den Titel leider nicht gemerkt.
Libuda
Foren-Neuling
Beiträge: 3
Registriert: Do 21. Nov 2013, 16:57

Re: Und wieder ein Anfänger ...

Beitrag von Libuda »

Vielen Dank für Dein Feedback.

zu 1.)

Interessant. Kann ich mir als Laie spontan nicht vorstellen. Wie funktioniert das und was muss man genau trainieren?

zu 2.)

Habe ich gelesen. Sind nahezu die Intervalle, die ich oben genannt habe. Hier ist Disziplin und Organisation gefragt.

zu 3.)

Werde ich mir mal besorgen.

Kannst Du mir vielleicht noch ein Feedback zu der Text-Lernmethode geben, die ich vorgestellt habe.
FrASo
Stammgast
Beiträge: 59
Registriert: Do 03. Jan 2013, 18:24

Re: Und wieder ein Anfänger ...

Beitrag von FrASo »

zu 1: Nehmen wir an, die Route beinhaltet die Statue eines Redners. Statt Worten spritzt aus seinem Mund Milch, die zum Einkaufszettel gehört. In der zur Geste erhobenen Hand liegt ein Apfel (der, da der Stiel nach oben zeigt, zwölf Uhr mittags bedeutet) und in der Apfel ist gespickt mit Paragraphen. Also: 12 Uhr Gerichtstermin. (Ja gut, nicht sonderlich originell, aber es soll ja nur ein Beispiel sein.) Aber: Besser ist es Milch und Apfel getrennt zu visualisieren, also die Bereiche Einkaufszettel und Terminplaner nicht miteinander zu verknüpfen. Verknüpftes lässt sich zwar besser merken, aber auch schlechter vergessen. Versuch das einfach mal an einer kurzen Route. Trainiert wird es durch Anwendung. Allerdings sollte man unbedingt beachten, wie oft man eine Route gleichzeitig belegen kann, ohne dass man durcheinander kommt.

zu 2: Genau.

zur Textlernmethode: Ich gliedere Texte eher in kurze, gut merkbare Abschnitte (wie die Verse eines Gedichts). Um den Anschluss zu finden, muss nicht unbedingt eine Route benutzt werden, man kann auch vom Ende eines Abschnitts auf ein Symbol "verlinken", welches auf den nächsten Abschnitt verweist und so eine Kette herstellen. Als Beispiel Gryphius, Tränen des Vaterlands von 1636, 1. Strophe:

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret! (Ein Heer verschiedenster Völker zieht frech plündernd durch das Land.)
Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun. (Trompetensignal, die Schwerter schlagen zu, Kanonen donnern.)
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun. (Karthaun-Kapaun -Vorrat; Bei der Jagd heißt Blut auch Schweiß)
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat auf gezehret.

Das Beispiel stammt zum Teil aus einem Deutschbuch, zum Teil ist es meine eigene Merkhilfe. (Habe extra in einem alten Schulheft nachgesehen. Unsere Deutschlehrerin legte Wert auf die Vermittlung von Mnemotechnik. Als ich vor einem Jahr wieder damit anfing, konnte ich bequem alte Hausaufgaben wiederholen.) Natürlich kann auch Blut aus der Posaune auf ein mit Buttercreme verschmutztes Schwert tropfen, was besser zu merken ist, wenn man die Hornblower-Romane gelesen hat. (Der Held der Romane schneidet mit seinem Degen die Hochzeitstorte an und stellt sich vor, was seine Schwiegermutter wohl zu dem üblichen Gebrauch des guten Stücks sagen würde, als er ihn genauso säubert wie nach dem Kampf.)

Abstrahierend muss man sagen, dass man sich eigene Assoziationen bildet. Legt man einen zusammenhängenden Text auf einer Route ab, muss man immer zum Routenpunkt zurückspringen, was dem Vortrag abträglich ist.
Einen komplexen Text kann man dabei auch noch mit Hinweisen zur Interpretation verknüpfen. Das ist dann aber wieder eine ganz eigene Dichtkunst.

Je mehr man das Wissen verknüpft, je einfacher behält man es. Wie Ulrich Voigt in Esels Welt beschreibt, kann es von Vorteil sein, sich vorzustellen, was seine Eselsbrücken sonst so machen: Der Parkwächter säubert regelmäßig die Rednerstatue vom Dreck des Taubenbaums. Manchmal hilft ihm der Penner von der Parkbank, wenn er nicht gerade in der Ausnüchterungszelle sitzt. Dies ist natürlich besonders hilfreich, wenn man sich einen Gedächtnispalast zulegen will: Auch die bedeutungstragenden Symbole müssen sich nur dann an der richtigen Stelle aufhalten, wenn man dort nachsieht. Im Gedächtnispalast will man ja nichts mehr löschen. So kann der Penner seinen Durst an der Milch aus der Statue löschen, wenn man denn den Einkaufszettel noch in ein paar Jahrzehnten kennen will. Der Palast muss kein Palast sein. Er ist eigentlich eine Verknüpfung von Routen.

Die Mnemotechnik nutzt und unterstützt die Funktionsweise des natürlichen Gedächtnisses. Es ist also kein Gegensatz. Das ist auch ein Grund Leitner zu lesen. Er erklärt das damalige Wissen darüber allgemeinverständlich und erfindet in dem genannten Buch die Lernkartei. Wenn auch die Lernkartei für die Mnemotechnik uninteressant ist, da diese möglichst ohne Hilfsmittel auskommen will, zeigt sich die Bedeutung der Assoziation. Ein bisschen Recherche bei Wikipedia gibt einem auch eine Vorstellung, wo und wie Leitner veraltet ist. Meiner Ansicht nach ist eine Kombination aus Lernkartei und Mnemotechnik am effektivsten. Dabei ist die Mnemotechnik allerdings wesentlich unterhaltsamer.
Libuda
Foren-Neuling
Beiträge: 3
Registriert: Do 21. Nov 2013, 16:57

Re: Und wieder ein Anfänger ...

Beitrag von Libuda »

Super!!! Vielen Dank für Dein Feedback. Wirklich sehr interessant.
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