Der Ignoranz-Quotient: Wer exakter ignoriert ist im Vorteil

Alles was Lerntechniken und Lernstrategien betrifft, insbesondere aber nicht ausschließlich gehören hier auch die Anwendungen von Mnemotechnik herein.
Wie kann ich am besten für Prüfungen lernen, wie merke ich mir Namen, wie lerne ich Zahlen oder Formeln etc.

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Klaus Horsten
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Der Ignoranz-Quotient: Wer exakter ignoriert ist im Vorteil

Beitrag von Klaus Horsten »

Ich habe mir erlaubt, den Ignoranz-Quotienten zu erfinden. In
meinem Buch »Richtig Fehler machen!«.
(http://www.richtigfehlermachen.at/dasbuch.html)
Es geht darum, den Fehler der Ignoranz zu kultivieren.

Was ist der Ignoranz-Quotient? Zitat: »Der Ignoranz-Quotient
bestimmt, wer genauer weiß, welches Wissen er nicht benötigt. Die
Ignoranz ist genau, wenn sich später herausstellt, dass ein
bestimmtes Wissen tatsächlich nicht benötigt worden ist. Die
Ignoranz ist umso effektiver, je größer die ungebrauchte
Wissensmenge ist, die sie ausschließt. Wer bessere
Zukunftsprognosen abgibt und wer mehr unnötige Aufgaben im
Vorhinein vermeidet, der hat einen höheren Ignoranz-Quotienten
als seine Mitstreiter.« (S. 30)

Ein Student zum Beispiel, der genauer als seine Kollegen
vorhersagen kann, welches Wissen zu einer Prüfung nicht kommt und
welches Wissen er später nicht benötigt, hat einen höheren
Ignoranz-Quotienten.

Nun mag jemand einwenden, der Student sei nicht so gescheit, denn
er lerne ja für den Beruf und nicht für die Prüfungen.

Ja, wenn das nur so wäre! Wenn all das später Sinn machen würde.
Es gibt das sogenannte »Bulimie-Lernen«: Man lernt etwas für
die Prüfung, um es so schnell wie möglich wieder zu vergessen -
weil man keinen Sinn darin sieht. Das gehört eben zur
Ignoranz-Intelligenz dazu: Genau unterscheiden zu können, was
später benötigt wird und was nicht. Wenn es die Studenten nicht
können, dann müssen es die Institutionen tun, die mehr Möglichkeiten
haben, die Richtigkeit zu überprüfen.

Eine Firma, die genauer als andere weiß, welches Wissen sie nicht
benötigt, hat einen höheren Ignoranz-Quotienten als andere. Sie
setzt ihre Mitarbeiter nicht in Sitzungen, die sie nichts
angehen; sie schüttet ihre Manager nicht mit Reporting-Material
zu, das diese nicht verwerten können; sie überlegt in
Ignoranz-Sitzungen genau, welches Wissen sie benötigt und welches
nicht.

Ein Staat hat einen umso größeren Ignoranz-Quotienten, je genauer
er weiß, welches Wissen er gesetzlich nicht verlangt. Weil es
unnütz ist und später nicht gebraucht wird. Zum Beispiel in der
Gesetzgebung zum Lehrstoff.

Schulen, Fachhochschulen und Universitäten werden in Zukunft in
einem Ranking umso besser abschneiden, je größer und genauer das
unnütze Wissen ist, das sie nicht verlangen. Weil sie die
Energie ihrer Mitglieder sparen zur Bewältigung wichtigerer
Aufgaben. Was wichtig ist, hängt von den Zielen ab.

In der Mnemotechnik geht es darum, von vornherein Wissensmengen
auszuschließen, bevor man sich daran macht, etwas zu memorieren.
Also darum, zu entschlacken.

Es geht um Prognosefähigkeit: Ich sagte, intelligent im Sinn des
Ignoranz-Quotienten ist der, der genauer vorhersagen kann,
welches Wissen er nicht benötigt. Stellt sich später tatsächlich
heraus, dass man das Wissen nicht benötigt hat? Das lässt sich
überprüfen. Empirisch. Wissenschaftlich.

Wenn man das nicht tut, wenn man den Fehler der Ignoranz nicht
kultiviert, dann wird man zu einem »Informations-Messie«. Dann
bekommt man ein kunterbuntes Informationswissen, das nicht
fokussiert ist auf Ziele, auf berufliche nicht und auf
persönliche nicht.

Historisch/begrifflich. Das Gegenteil von Mnemotechnik ist nicht eine
»Vergessenskunst«, die einen lehrt, wie man vergisst, sondern
eine »Ignoranz-Kunst«, die von vornherein unnützes Wissens nicht
fordert und nicht beachtet. Würde ich eine Zeitreise machen, und
mich plötzlich in der Renaissance wiederfinden, dann würde ich
sagen, das Gegenteil der »ars memoriae« ist nicht die »ars
oblivionis«, die »Vergessenskunst«, die unmöglich ist, sondern
die »ars ignorantiae«.

Bisher prüfte der Intelligenz-Test, was einer kann und
weiß. Nun geht es darum, systematisch auszuschließen, was man
können und wissen soll.
Zuletzt geändert von Klaus Horsten am Mo 22. Sep 2014, 7:13, insgesamt 1-mal geändert.
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Philodoof
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Re: Der Ignoranz-Quotient

Beitrag von Philodoof »

Wäre schön, wenn die Bildungseinrichtungen in der Zukunft auch nach so etwas bewertet würden, denn ich könnte mir vorstellen, dass das etwas ist, was das Bildungssystem zumindest verbessern könnte. Davon abgesehen wird es immer wichtiger Wissen zu selektieren, weil es eben auch immer mehr zu wissen gibt. Und eine Bildungseinrichtung sollte schon versuchen derartigen Ansprüchen gerechtzuwerden. Sowas geht ja im allgemeinen am besten über Eigeninteresse. Und das könnte so Ranking ansprechen, sofern es sich gesellschaft in bedeutsamer Weise etabliert.
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