Zwei Beispiele für Tipps zur Loci-Methode im Studium

Alles was Lerntechniken und Lernstrategien betrifft, insbesondere aber nicht ausschließlich gehören hier auch die Anwendungen von Mnemotechnik herein.
Wie kann ich am besten für Prüfungen lernen, wie merke ich mir Namen, wie lerne ich Zahlen oder Formeln etc.

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Boris
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Zwei Beispiele für Tipps zur Loci-Methode im Studium

Beitrag von Boris »

In einem anderen Forum für Studenten war ich letzte Woche als Gastexperte eingeladen. Eine Frage ging konkret zu meiner Anwendung der Routenmethode im Studium. Hier mal meine Antworten dazu, sind vielleicht auch für einige hier interessant:
Frage: Ein 300-Seiten Buch an einem Tag lernen?
Hallo,

in seinem lecturio-Vortrag über Speed Reading erzählt Zach Davis, Sie hätten an einem Sonntag für eine Prüfung ein 300-Seiten Buch gelesen und gelernt, und anschließend mit 1,0 bestanden, Herr Boris Nikolai Konrad.
Das ist wahrscheinlich der Traum von so manchen Studenten.

Stimmt das / geht so etwas? Ist das auch immer noch die Routenmethode, oder werden dazu weitere Gedächtnismethoden verwendet?
Wieviele Punkte braucht eine solche Route?

Im Grunde geht es mir darum: wie kann ich mir Sachen merken, die sich in mehr als nur 100 Wörter zusammenfassen lassen?
Muss ich dazu einfach so viele Routen anlegen, wie ich brauche? Aber sich bei 600 Punkte oder so zurechtzufinden ist dann wahrscheinlich auch schon eine Leistung an sich.
Wenn ich eine Definition in Jura lernen muss, dann reicht es nicht aus dass ich mit einem Stichwort weiß was gemeint ist, sondern ich muss innerhalb der Definition auch genau die richtigen Wörter kennen. Wenn in einer Definition 4 wichtige Wörter stecken die ich brauche, diese Wörter auch noch abstrakt sind und ich also im Durchschnitt zwei Bilder pro Wort brauche, dann brauche ich pro Definition 8-9 Bilder!
Antwort

Hallo,

Es stimmt - mit Einschränkungen.

Ich musste noch eine Prüfung im Nebenfach Wirtschaft ablegen und alle die Veranstaltungen die mich wirklich interessierten hatte ich bereits belegt. Von den zur Verfügung stehenden Alternativen war über eine bekannt, dass der Dozent freundlich gesagt mäßig an der Lehre interessiert ist. Dazu gehörte aber auch eine geringe Kreativität bei der Klausurenstellung und es hatte sich herumgesprochen, dass es stark auf auswendig lernen seines eigenen Buches ankäme, da zahlreiche Definitionen abgefragt würden. Die zweite Hälfte der Klausuren bestand aus erweiterten Rechenaufgaben, die ich dank Physik- und Informatikstudium als eher wenig herausfordernd ansah.

Ich habe mir das Buch tatsächlich Donnerstag gekauft, es Samstag ausgepackt und überflogen und dann Sonntag von sehr früh bis sehr spät sämtliche Definitionen und Listen in dem Buch mit Hilfe der Routenmethode auswendig gelernt. Wie viele Routenpunkte das exakt waren weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr, aber es waren schon einige. Ich vermute ca. 400 bis 500 Wegpunkte. Das ich dies in einem hohen Tempo durchziehen konnte lag natürlich an meinem Training im Gedächtnissport. Ich bin es daher eher wie eine Gedächtnismeisterschaft angegangen. Am Montag habe ich dann die Klausuren der Vorjahre durchgemacht und Dienstagfrüh bestanden.

Ich muss zugeben, dass ist mehr eine nette Anekdote, als dass dieses Beispiel zum Nachahmen hilft. Mir war bewusst, dass ich den Inhalt nicht langfristig brauche und mit der Methode ohne spätere Wiederholungen war es auch bald vergessen. Auch nutzte ich natürlich gezielt die wenig anspruchsvolle Klausurenstellung des Dozenten aus, in der Auswendiglernen und schnell Rechnen können übermäßig abgefragt wurden.

Wenn ich die Inhalte in meinen Hauptfächern gelernt hätte, hätte ich sicher weniger Wegpunkte verwendet und dafür mehr Inhalte zusammengefasst.

So wie du richtigerweise schreibst sind ja gerade bei Definitionen oft alle Begriffe wichtig. Da kann ich pro Definition auch mal 8 Bilder haben. Die würde ich dann aber eher auf einem Wegpunkt in Form einer Merkgeschichte ablegen. Zudem ist der Aufwand mit jeder weiteren Definition geringer, da sich innerhalb eines Faches ja Begriffe häufig wiederholen und ich für ein Fachwort fast immer bei einem Bild geblieben bin.

Für eine Vorlesung über ein Semester würde ich dann auch schon 300 Routenpunkte empfehlen. Das klingt viel, ist es aber nicht. Wenn man die Routenmethode einmal kann, lässt sich problemlos in einer halben Stunde eine Route mit 50 Punkten anlegen. Ich habe meine immer in 50 Punkte unterteilt und denen einen Namen gegeben. UniBib, Mensa, Physikgebäude, Uni außen, Audimax...

Nachdem die Methode selbst klar ist, eine Woche lang jeden Tag eine halbe Stunde Zeit für eine neue Route nehmen und du hast Freitags 250 Wegpunkte mehr, die ein paar mal innerlich wiederholt dauerhaft verwendbar sind und ja nach dem ein Semester einer Vorlesung komplett abdecken können - auch zur dauerhaften Speicherung beim richtigen Wiedehrolen. Im nächsten Semester bei der nächsten Veranstaltung kann man die gleichen Routen dann wiederverwenden.


Bei obiger Anekdote bin ich Kapitelweise vorgegangen: Ein Kapitel lernen. Gucken welche Routenpunkte klar sind und wo ich merke, da müsste jetzt noch ein Bild sein - die eine fehlende Information nachsehen.

Viel Erfolg!
Vielen Dank, das ist sehr hilfreich!

Ich verstehe besser, wie man die Methode auf einen Unterricht anwenden kann. Eine Merkgeschichte für eine Definition macht Sinn!

Eine weitere Frage: um das Gelernte auch zu Verstehen ist es meiner Erfahrung nach auch wichtig, zuerst die Struktur zu verstehen, um das Wissen richtig einordnen zu können, und somit auch im richtigen Zusammenhang anzuwenden. Und je besser ich die Struktur meiner Vorlesung verstehe, desto natürlicher prägen sich die Konzepte dann auch ein, weil vieles eben logisch ist.

Wie hilft mir diese Erkenntnis beim Lernen mit der Routenmethode? Die ist ja erstmal sozusagen verständnisunabhängig, sie ist besonders wirkungsvoll um eine Liste von Wörtern in einer bestimmten Reihenfolge ohne logischen Zusammenhang zu lernen.

Mein Problem ist also, dass in der Routenmethode alles auf einer Ebene, bildlich auf einer Linie steht.
Kann man da etwas machen? Oder muss ich alles in einer Linie lernen, und darauf vertrauen, dass ich mich an die Struktur, die ich bereits verstanden habe, dann auch errinern werde?

Hallo,

eine gute Frage! Zunächst: Die Aussage, dass die Loci-Methode verständnisunabhängig ist, würde ich nicht vollständig unterschreiben. So wie du es erklärst durchaus, ich kann einfach Begriffe auswendig lernen ohne Zusammenhang und Verständnis, das stimmt. Manche machen dann aber auch den Umkehrschluss und sagen: Deshalb verhindert die Routenmethode Verständnis und Struktur. Das ist falsch! Denn: Wenn ich für einen Begriff der sich in mehreren Definitionen wiederholt mit dem gleichen Merkbegriff arbeite, habe ich auch automatisch Verknüpfungen zwischen diesen Punkten, auch ohne extra Merkbild. Zudem lerne ich natürlich trotzdem auf Verständnis und die Merkbilder auf dem Routenpunkt sind auch damit fest assoziiert, so dass mir die Route auch beim Verständnisaufbau hilft.

Oder als etwas oberflächlicher Vergleich: Auch jedes Buch ist eine lineare Abfolge von Begriffen und ggf. noch Abbildungen. Trotzdem haben diese Struktur und helfen beim Verständnisaufbau.

Konkreter zu deinen Fragen:
- Struktur: Manchmal habe ich die Struktur zuerst gelernt, in dem ich etwa das Inhaltsverzeichnis des Lehrbuchs auf die ersten Routenpunkte gelegt habe und von dort aus jeweils eine Verbindung hergestellt habe zu dem Wegpunkt wo das Kapitel begann.

Fiktives Beispiel: Wenn mein dritter Wegpunkt das Schild Audimax ist und Unterkapitel drei wäre "Vorsteuerabzug im EU-Ausland", dann habe ich mir vielleicht vorgestellt, dass VOR dem Audimax Schild die EU-Sterne als Skulptur stehen, aber ein Steuerfahnder diese gerade "abzieht". Wenn ich dann später beim Lernen bei Punkt 27 - Brunnen angefangen habe die Inhalte dieses Kapitels abzulegen, habe ich das Bild bei Punkt drei so ergänzt, dass der Steuerfahnder die abgezogenen Sterne dann in den Brunnen geschmissen hat.

Ich muss aber sagen, dass ich das meistens nichts gemacht habe, da mir durch das Lernen an sich die Struktur meist auch so klar genug war. Ich musste dann auch ohne eine solche Hilfe nicht die Route durchgehen sondern musste durch die Wiederholungen vorher, dass das Thema ja ungefähr beim Brunnen liegt und ich maximal drei oder vier Routenpunkt vor oder zurück "suchen" muss.

- Aufbau der Veranstaltung: Wenn die Vorlesung diese drei Blöcke nacheinander hat, würde ich auch meine Route nacheinander so bestücken und mir vielleicht bewusst den Einstieg in die drei Blöcke merken, um nicht immer alles durchgehen zu müssen. Wenn in der Vorlesung bei jedem Thema immer dieser Dreiklang da ist, würde ich es trotzdem auf der Route nach und nach ablegen und mir kleine Extrabilder bauen um die drei Kategorien zu unterscheiden.

Weiteres konkretes Anwendungsbeispiel: Fällt mir hier gerade wieder ein: In einer Vorlesung habe ich zahlreiche Algorithmen gelernt. Diese waren sehr unterschiedlich lang und ich habe auch entsprechend mal sehr wenige und mal sehr viele Wegpunkte pro Algorithmus benutzt (als Struktur dabei alle Algorithmen einer Klasse nacheinander, also z.b. erst Suchalgorithmen, dann Sortieralgorithmen etc.). Angefangen habe ich aber jeden Algoirthmus mit einem Wegpunkt auf dem der Name, der Anwendungsbereich und die Laufzeit abgespeichert war. Ich wusste, dass in der Klausur vor allem diese Infos brauche und wollte sie daher schnell finden. Wenn ich den Namen eines Algorithmus genannt bekam, war das kein Problem (ich wusste ja welches Bild ich dafür hatte und darüber konnte ich sofort zum jeweiligen Routenpunkt gehen), aber die Aufgabe konnte auch sein Alternativen zu suchen. Beim Probeklausur lösen wollte ich an der Stelle schneller sein und habe daher nach dem ja eigentlich alles gelernt war als Bild in meiner Vorstellung einen Ball auf die jeweiligen Wegpunkte wo ein Algorithmus losging "geworfen". Mit nur zwei Wiederholungen ging das sehr schnell und hat extrem gut geklappt, so dass ich dann problemlos die Anfänge der Algorithmen abgehen konnte.

-Fazit: Die Sturktur kannst du auch auf der Route nachbauen, selbst wenn die Route linear ist. Wie genau wird sich je nach Thema unterscheiden.
Frederica
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Re: Zwei Beispiele für Tipps zur Loci-Methode im Studium

Beitrag von Frederica »

Vielen Dank für den Bericht!

Ein Schlüsselpunkt ist sicher das vorherige Üben. So eine Geschichte kann also Neulinge vielleicht eher zum regelmäßigen Üben motivieren! :D
Ein weiterer Schlüsselpunkt ist aber die Konzentration: Nicht jeder kann sich über 10 bis 15 Stunden - von morgens früh bis abends spät - so gut konzentrieren, dass er abends noch alle Inhalte wiederholen kann.

Hier würde ich noch die Bedeutung von Pausen und kleineren Lerneinheiten betonen - nach 100 Routenpunkten kann man mal eine Runde um den Block drehen und die Punkte entspannt Revue passieren lassen. Ein ganz großer Haken an der Geschichte für Neulinge, die so etwas noch nie gemacht haben, ist natürlich auch der Selbstzweifel - je später es wird, desto mehr wird man an sich zweifeln und Panik schieben, dass man nicht mehr rechtzeitig alles lernen kann. Dann wird man sich evtl. an die danach gelernten Punkte nicht mehr erinnern, weil die Angst die Konzentration überlagerte.

Grundsätzlich finde ich es aber sinnvoll, dass jeder mal so etwas lernt, weil es immer wieder Prüfungen der einen oder anderen Art (auch spontane Präsentation etc.) geben wird, für die man recht schnell recht viel lernen kann. Dann wäre natürlich etwas Übung darin und Selbstvertrauen, das packen zu können, von Vorteil. Auch fände ich es sinnvoll, dass man so etwas mal zum Spaß übt, um festzustellen, wie viel man denn im Extremfall in welcher Zeit lernen kann.

LG
Frederica
Tobs
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Re: Zwei Beispiele für Tipps zur Loci-Methode im Studium

Beitrag von Tobs »

300 Punkte für eine Vorlesung oder wirklich für alle Vorlesungen einer bestimmten Sorte für ein ganzes Semester?
Letzteres klingt zu schön um wahr zu sein!
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