Boris hat geschrieben:Wenn jemand einen Spiegelartikel mit 300 WPM lesen kann, wird er beim medizinischen Lehrbuch oder einem Journalartikel ja auch viel langsamer sein. Meinetwegen schafft er dann noch 100 WPM.
Der Schnellleser schafft beim Spiegelartikel dann evtl. 1500 und beim wissenschaftlichen Artikel 400. (KEINE gemessenen Zahlen, plakatives Beispiel) - ist damit aber immer noch besser.
Das dürfte wohl äußerst unwahrscheinlich sein. Denn es zeigt gerade die schier unerklärliche Fehleinschätzung, dass Speedreading andere kognitive Fähigkeiten im gleichen Maße anhebt wie die Lesegeschwindigkeit. Wenn jemand in der Lage ist einen Spiegelartikel mit 300 wpm zu lesen, dann zeigt das: er kann prinzipiell 300 wpm aufnehmen. Warum schafft er das bei seinem medizinischem Lehrbuch nicht?
1. Griechische, lateinische und deutsche Fachtermini erschweren das Lesen auf Basis von Wiedererkennung - diese Wörter tauchen nur selten auf und können deshalb weder schlagartig wiedererkannt, noch gar in übergeordneten Chunks von mehreren Wörter gelesen und verarbeitet werden
2. Eine komplexe Thematik erfordert das Mitdenken, das Einsortierten und in-Beziehung-Setzen von bereits Gelerntem und Neuem sowie das Visualisieren neuen und alten Wissens. Beispiel [Huppelberg, J.; Walter, K.:
Kurzlehrbuch Physiologie, 2. Aufl., S. 189]:
"Der proximale Tubulus [
Erinnerung: was ist das, wo lieget der?] umfasst das proximale Konvolut un den dicken absteigenden Teil der Henle-Schleife [
Visualisierung: wie passt es ins bisherige geistige Gesamtbild?]. Es spielt mengenmäßig die größte Rolle für die Rückresorption: ca. 2/3 der Wassers und des NaCl, 95% des Bikarbonats und praktisch 100% der filtrierten Glukose und Aminosäuren werden bereits hier isoosmotisch rückresorbiert [
Memorieren: Zahlen für Stoffe merken;
Verstehen: was bedeutet das, was impliziert hier isoosmotisch, etc.]"
Keine der vier kognitiven Leistungen die ich hier exemplarisch ergänzt habe, wird durch das Speedreading unterstützt, weder das Erinnern, das Visualisieren, das Memorieren noch das Verstehen. Die notwendige Konsequenz: können andere Texte auch noch so schnell gelesen werden, hier wird die Geschwindigkeit dennoch nicht die 100 wpm Marke überschreiten. Aber ich lasse mich auch gerne belehren, wie (und wenn ja, warum) kann das Speedreading eine der konkreten oben aufgeführten Leistungen unterstützen - für dieses konkrete Beispiel?