Wie ich an ein Buch aus dem Jahr 1707 gelange

Hier findet man Rezensionen über Bücher (und teilweise andere Medien), welche die Thematik des Boards betreffen.

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Klaus Horsten
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Wie ich an ein Buch aus dem Jahr 1707 gelange

Beitrag von Klaus Horsten »

Ich plaziere dieses Thema hier, weil die Frage hier immer wieder auftaucht und auftauchen wird:

Wie gelange ich an ein Buch, das es nicht mehr zu kaufen gibt?

Ich möchte es an einem Beispiel erläutern.

Es handelt sich um:

DÖBEL, Johann Heinrich.
Collegium mnemonicum oder: Gantz neu eröffnete Geheimnisse der Gedächtniss Kunst darinn Vermöge der in Kupfer gestochenen Gedächtniss Stube.
Hamburg, S. Heyll & J. G. Liebezeit, 1707.
(Bilder: http://www.unirsm.sm/young/dobel.htm)

* Zuerst habe ich im Internet gesucht. Nirgends gefunden.
* Dann habe ich in der Österreichischen Nationalbibliothek gesucht. Dort gibt es das Buch nicht.
* Hier: http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html gebe ich unter Autor: "DÖBEL", unter Titel "Collegium mnemonicum" ein und setze den Haken bei "StaBi Berlin" und finde sofort das Buch.
* Nun habe ich mir diesen Fund ausgesdruckt und bin zur Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, und zwar zur Fernleihe-Stelle gegangen. Alles, was man hier braucht, ist: einen Lichtbildausweis und einen Meldezettel.
* Nun habe ich das Buch bestellt. Genauer: Man sagte mir, dass es das Buch vielleicht auf Microfiche gibt oder es wäre auch möglich, Kopien anzufordern. Ich wählte Letzteres, wollte aber einen Kostenvoranschlag. Statt des Konstenvoranschlags, kam gleich das ganze Buch in kopierter Form. Ich sah es mir an, zahlte 81 EUR (das leiste ich mir!) und voilà: da hatte ich die lang ersehnte Schrift.

Notae:
* Beachte, dass die Kopierpreise an den verschiedenen Bibliotheken sehr verschieden sind. Berlin scheint sehr günstig zu sein, Wien - Nationalbibliothek eher teuer. Wenn ich also: Aretin in Wien finde, dann werde ich gleichwohl eine Anfrage an die Staatsbibliothek zu Berlin senden/zu senden versuchen (habe ich noch nicht gemacht, bitte mir Erfahrungen mitteilen), um eine günstigere Kopie des Werks zu erstehen.(Ich sehe mir also Aretin in Wien an, entscheide, ob ich das Buch haben will, kontaktiere dann Berlin.)

Bitte hier Erfahrungen mitteilen, wie ihr Bücher bekommen hat, welche Kopier-Preise verlangt werden, ob es klappt, welche Bibliotheken am günstigsten sind, wie die Algorithmen des Bücherfindens gehen, ob es Antiquariate gibt, welche die Bücher zu affordablen Preisen anbieten etc.

Herzlichen Dank!
alo
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Beitrag von alo »

Hallo Klaus,

danke für den Tip, ist das Buch interessant?
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Ulrich Voigt
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Re: Wie ich an ein Buch aus dem Jahr 1707 gelange

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:81 EUR (das leiste ich mir!) und voilà: da hatte ich die lang ersehnte Schrift.
Ich gehe etwas anders vor. Ich kaufe mir eine Fahrkarte nach München, dort in der Staatsbibliothek legt man mir den Döbel (und wer weiß, was noch alles) im Original auf den Tisch.

U.V.
Martin
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Beitrag von Martin »

Die Thematik ist in der Tat äußerst relevant und interessant für alle, die an mnemonischem Buchmaterial interessiert sind. Ein großes Danke deshalb an Dich, Klaus, für Dein Posting!

Mnemotechnische Literatur und deren „Erwerb“ sei zunächst einmal in zwei Bereiche eingeteilt, die chronologisch aufeinanderfolgen:

1. Suche nach geeigneten Titeln

Dies habe ich bisher auf zwei Arten betrieben, nämlich zum einen die Suche anhand von Schlüsselwörtern via Internet, zum anderen das Durchforsten von Quellenverzeichnissen bereits vorliegender Werke. Im Internet gibt es ja eine Vielzahl von Suchmaschinen, online- Buchhändlern, unser brainboard ;-) etc., die in der Regel alle eine Recherche in entsprechenden Datenbanken erlauben. Mittels geeigneter keywords (Mnemonik, Mnemotechnik, mnemonics, Gedächtniskunst, memory, art of memory um ein paar Begriffe zu nennen) und (ggf.) zusätzlicher Einschränkung auf bestimmte Zeitperioden, Sprachen u.ä., erhält man ausreichendes Literaturmaterial, um das man sich im 2. Schritt (Beschaffung s.u.) dann entsprechend „kümmern“ kann.
Quellenverzeichnisse sind wie schon erwähnt der andere Ansatzpunkt meinerseits, wobei hier quasi ein „Dominoeffekt“ herbeigeführt wird, wenn man betreffende Verzeichnisse nach und nach bearbeitet: Man findet einen Titel im Verzeichnis eines bestimmten Buches, dieser gefundene Titel listet wiederum im eigenen Literaturindex ein interessantes Buch auf und so geht es dann entsprechend weiter.
Speziell in puncto Mnemotechnik ist in meinen Augen das exzellente Literaturverzeichnis von Dr. Voigts „Esels Welt“ der Gold- Standard, der sicherlich das Spektrum relevanten mnemonischen Schrifttums hinreichend abdeckt. Darüberhinaus habe ich vor ein paar Jahren „Bibliography of MEMORY“ eines Morris N. Young bei einem US-Buchhändler erworben, welches 1961 erschienen ist, dabei eine Fülle von Autoren von Antike bis zum besagten Erscheinungsjahr mitsamt deren memory- relevanten Buchüberschriften lexikalisch auflistet, die ebendiese zum Themenkomplex Gedächtnis, Erinnerung (Mnemotechnik inbegriffen, neben Psychologie, u.a.) verfasst haben. So sind alle mnemonischen Titel z.B. eines Freiherrn von Aretin in der Originalausgabensprache (hier also in Deutsch, nicht in Englisch!) gelistet. Eine Fundgrube, wie ich meine, der ich mich leider noch nicht ausreichend widmen konnte.

2. Beschaffung eines konkreten Titels

Es gilt grundsätzlich zu unterscheiden, wie man das betreffende Buch gerne vorliegen haben möchte. Demzufolge sind der Kauf einer Originalausgabe, der Erwerb in digitalisierter/kopierter Form oder lediglich die vorübergehende Einsicht via Bibliotheksleihe zu differenzieren.
Zur erstgenannten Variante gilt, zumindest für Titel des 19. Jahrhunderts und früherer Epochen, dass selbige i.d.R. zu Preisen in drei-, vier oder gar fünfstelliger Größenordnung gehandelt werden, je nach Zustand und Marktverfügbarkeit. Wer also nicht solventer und fanatischer Sammler, sondern explizit am Sachthema an sich interessiert ist, wird sich den beiden letzteren Möglichkeiten zuwenden. Hier kann ich nur auf Klaus‘ obige Ausführungen und Ulrichs gerade gegebenen Kommentar verweisen und würde mich ebenfalls über Erfahrungsberichte anderer „brainboarder“ bzgl. Fernleihe, Kopiergebühren etc. freuen.

Viele Grüße,
Martin
Zuletzt geändert von Martin am So 14. Jan 2007, 21:26, insgesamt 2-mal geändert.
Klaus Horsten
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Beitrag von Klaus Horsten »

Ich unterstreiche immer. Akkurat mit Lineal.

Mache Randbemerkungen, Verweispfeile, Kreuze, Dreiecke, Kreise mit einem Punkt drinnen für "Definition",
eckige Klammern [...] für: das ist das Thema des Absatzes,
Schrägsriche /.../ für: das ist seine/ihre Methode, Fußnoten für Wörtern, die ich nicht verstehe etc. etc.

Kurz: ich verwurstle und zerknittere das ganze Buch, bis es kein anderer mehr lesen will = es so richtig persönlich MEINES geworden ist.


:wink:
Klaus Horsten
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Beitrag von Klaus Horsten »

Ich leihe mir in der Österreichischen Nationalbibliothek ALLES aus, was es zu Mnemotechnik gibt.

Schaue es kurz an, gebe es wieder zurück, wenn es mich nicht interessiert oder das Thema etwas anderes ist, als ich mir vorgestellt habe. Da einige Bücher immer auch verliehen sind, ist das gar nicht so viel. Aber mir begegnen immer wieder neue tolle Dinge ...

... wie zum Beispiel das letzte Mal:

Steindl, Michael: Musikalisches Chunking bei Profi- und Laienmusikern, Diss, 2005, in dem es darum geht, wie sich Musiker die Noten merken, vom Blatt spielen, improvisieren ... - das hat mir Klarheit verschafft, weil ich selber Jazz-Klavier spiele.
Klaus Horsten
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Beitrag von Klaus Horsten »

alo hat geschrieben:ist das Buch interessant?
Ja. sehr.

Ist es übertrieben, wenn ich sage, zu den wichtigsten Büchern gehören:

17xx: Döbel
18xx: Aretin

?
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Ich leihe mir in der Österreichischen Nationalbibliothek ALLES aus, was es zu Mnemotechnik gibt.
Ein ausgezeichnetes Verfahren, das ich in München angewendet habe, ich verbrachte damit dort 1994 meine "Sommerferien".

Warum München?

In München war unser Aretin Hofbibliothekar und als solcher anlässlich der Säkularisierung der süddeutschen Klöster zuständig für die Requirierung der Klosterbibliotheken. Er nahm nur das, was er für hinreichend interessant hielt. D.h. er schmiss sehr viel kirchlich-religiöses weg und behielt alles, was nach ars memoriae roch. Aretin daß also, was die frühneuzeitlichen Mnemotechnik betrifft, buchstäblich an der Quelle.

U.V.
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