Schnell-Einführung in das Thema "Wissenschaftlichkeit&q

Hier wird über das Gedächtnis und Gehirn aus der Perspektive der Medizin und Wissenschaft diskutiert incl. Thematiken rund um Altersdemenz, Alzheimer aber auch Hochbegabung bei Kindern etc.

Moderatoren: Hannes, Boris

Antworten
Benutzeravatar
DocTiger
Superbrain
Beiträge: 1663
Registriert: Di 11. Sep 2007, 7:12
Kontaktdaten:

Schnell-Einführung in das Thema "Wissenschaftlichkeit&q

Beitrag von DocTiger »

Aus gegebenen Anlass beschreibe ich hier nochmal, was "Wissenschaftlichkeit", auch wenn das selbst eher aus dem Stammtischvokabular kommt, bedeutet.

In der Medizin reden wir von Evidenzbasierter Medizin. Dabei geht es um die Idee, nicht nur zu wissen was zu tun ist, sondern auch zu wissen warum man etwas weiß. Im Prinzip ist also nichts gegen medizinischen "Aberglauben" zu sagen, wir brauchen ihn um handlungsfähig zu bleiben, aber in den wichtigsten Fragen gibt es in der Regel eine Alternative, nämlich das Wissen was mit rigorosen Methoden gewonnen wurde.

Forscher veröffentlichen in Journalen, die in der Regel Einsendungen an einen Reviewer schicken, bevor sie sie veröffentlichen. Der Reviewer, ebenfalls ein Experte auf diesem Fach, arbeitet den Artikel durch und entscheidet sich ob die Methoden den Ansprüchen genügen oder nicht. Allerdings ist Journal nicht gleich Journal. Erstens gibt es kaum Mindestanforderungen um ein solches Journal zu errichten, und zweitens ist der Reviewprozess in Einzelfällen nicht ganz so rigoros, wie es ursprünglich geplant war.

Dann gibt es verschiedene Stufen Evidenzbasierter Medizin. Auf der niedrigsten Stufe ist Anekdoten-Wissen, auf der höchsten Stufe Doppelblind Studien mit hoher statistischer Power (große Studien, einfache Aussagen). Nicht immer ist es sinnvoll oder möglich, auf die höchste Stufe zu warten. Akkupunktur und Homöopathie zum Beispiel setzt sich so langsam auf die höchste Stufe durch, wobei man darüber streiten kann, zumindest handelt es sich um ein höchst effektives Placebomedium. Die Akupunkteure haben daran aber kein Interesse, weil die Patienten und Patientenbesitzer (von Haustieren) diese Behandlungen fordern, bezahlen und gut finden.

Wie kann man damit jetzt Schindluder treiben? Nehmen wir an jemand will Marketingmaterial für eine Technik oder Medikament sammeln. Er finanziert mehrere Studien bestimmte Thesen zu beweisen, mit möglichst vielen Ansätzen, die möglichst wenig nach Außen dringen. Akzeptierte Fehlerwahrscheinlichkeit ist 5%, wir brauchen also nicht viel mehr als 25 solcher Ansätze um eine Falsch-Positive Studie zu bekommen. Der Rest wird nicht veröffentlicht.

Als nächstes kann man jede Menge Studien geringer Qualität oder geringer Aussagekraft zusammenfassen, und sagen "Meine Technik ist die Beste wo gibt, hier die folgenden Studien beweisen es", und in der Tat, jemand der den obigen Mechanismus nicht kennt hat keine Chance, das zu durchschauen.

Warum machen "Pharmakonzerne" sowas nicht? In gewisser Weise tun sie es, aber eher in Grauzonen. Man "schönt" Zusammenfassungen indem einzelne Studien nicht veröffentlicht werden. Aber diese Kosmetik geht nur bis zu einem gewissen Grad.

In den wichtigen Themen, wenn viel Geld oder Menschenleben etc auf dem Spiel stehen, dann müssen die Ergebnisse repliziert werden, dass bedeutet andere Forscher versuchen die Aussagen zu widerlegen. Das passiert auch bei Medikamenten. Daher werden Medikamente nicht nur gegen "keine Behandlung" oder Placebos verglichen sondern auch mit anderen Behandlungsmethoden. Erst dann kann die Nützlichkeit eines Medikamentes gegenüber anderen Behandlungen angenommen werden, die einzige Aussage die letztlich zählt.

Wenn also jemand verbreitet, seine Technik wäre in hoch angesehenen peer-reviewed Journalen belegt, kann es sein, dass die Aussagen in diesen Artikeln den Marketingbotschaften etwas hinterherhinken, oder das einfach aufgrund von Bedeutungslosigkeit sich niemand bemüht, die Aussagen zu widerlegen und den "Publication Bias" aufzulösen.

Für jemanden der kaum Ahnung von Statistik oder der "wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung" hat, ist es aber nicht mehr nachzuvollziehen. Auch Politiker und Behörden kommen da manchmal nicht gegen an.

Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Evidenzbasierte_Medizin
Lerntechnik Praxis: http://bit.ly/8ONmbS
Antworten