Handy-Nummern sind für das Gehirn gleichzeitig Wörter

Hier wird über das Gedächtnis und Gehirn aus der Perspektive der Medizin und Wissenschaft diskutiert incl. Thematiken rund um Altersdemenz, Alzheimer aber auch Hochbegabung bei Kindern etc.

Moderatoren: Hannes, Boris

Antworten
Benutzeravatar
Andi
Superbrain
Beiträge: 651
Registriert: Do 28. Aug 2008, 19:19
Wohnort: Tübingen

Handy-Nummern sind für das Gehirn gleichzeitig Wörter

Beitrag von Andi »

Sehr interessant - Mnemonik per Handy … :lol:

Wer häufig Kurznachrichten auf dem Handy schreibt, verknüpft unbewusst die Ziffern und die Buchstaben auf einer Taste zu einer Einheit. Dadurch entsteht beim Wählen einer Telefonnummer immer gleichzeitig auch eine Buchstabenkombination im Kopf, hat ein Würzburger Psychologe entdeckt. Offenbar speichert das Gehirn demnach Zahl und Buchstabe für jede Taste gemeinsam ab und aktiviert auch dann beide Konzepte gleichzeitig, wenn nur eines von beiden abgerufen wird. Diese Verknüpfung scheint sich zudem nicht nur auf die Buchstaben, sondern auch auf die daraus entstehenden Wörter und sogar deren emotionale Bedeutung zu erstrecken. So bevorzugen Menschen offenbar Telefonnummern, die positive Wörter wie LIEBE oder TRAUM ergeben. Bemerkt wird die Verknüpfung im Allgemeinen nicht: Keiner der Teilnehmer hatte bewusst die entsprechenden Wörter vor Augen, berichtet Sascha Topolinski. Er glaubt, dass die Studienergebnisse nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch für das Marketing und die Wirtschaft von Interesse sein könnten, schreibt er.
Der Psychologe rekrutierte insgesamt 198 Freiwillige für seine Tests. Zuerst prüfte er, ob das Gehirn beim Eintippen von Telefonnummern überhaupt eine Verbindung zu den normalerweise ebenfalls auf den Tasten angebrachten Buchstaben herstellt. Dazu diktierte er seinen Probanden Nummern, die sie in ein Handy ohne Buchstaben auf den Tasten oder in eine Computertastatur eingeben sollten. Einige davon waren so gewählt, dass sich mit der gleichen Tastenfolge ein Wort erzeugen ließ - zum Beispiel die Folge 72528, die auch das Wort "SALAT" ergibt, andere waren willkürlich zusammengesetzt. Anschließend sollten die Teilnehmer möglichst schnell auf einem Monitor aufblitzende Wörter erkennen. Ergebnis: Die Probanden aus der Handy-Gruppe waren bei Wörtern, die sie zuvor als Ziffernfolge getippt hatten, schneller als bei solchen, die nicht vorgekommen waren. In der Computer-Gruppe ließ sich ein solcher Effekt dagegen nicht nachweisen.

In einer zweiten Stufe testete der Psychologe, ob das Tippen parallel zu den Wörtern auch die dazugehörige Bedeutung im Gehirn aktiviert. Dazu ließ er die Probanden wiederum Nummern in Handys eintippen, deren zugehörige Wörter mit einem positiven oder negativen Gefühl verknüpft waren, etwa FREUND, STRAND, ANGST oder LEICHE. Die Teilnehmer sollten anschließend - vorgeblich für eine ergonomische Studie - angeben, wie angenehm sich die verschiedenen Nummern getippt hatten. Ergebnis: Die Nummern mit der positiven Verknüpfung bekamen durchgehend bessere Bewertungen als die mit der negativen.

Im letzten Teil der Studie verwendete der Psychologe schließlich fiktive Firmen, bei denen das von den Nummern kodierte Wort entweder zur Natur des Unternehmens passte - LIEBE für eine Partnervermittlung, LEICHE für einen Bestatter – oder willkürlich gewählt war. Topolinski fand auch hier einen ähnlichen Effekt wie bei den anderen Tests: Stimmten Nummer und Unternehmensfeld überein, bekam es im Schnitt eine höhere Punktzahl, als wenn die Nummer nichts mit der Tätigkeit der Firma zu tun hatte.

Das Eintippen von Nummern in Handys scheint demnach für das Gehirn eine sehr vielschichtige Sache zu sein, resümiert Topolinski: Es aktiviert gleichzeitig diverse Konzepte - die Bewegung, die Zahl, den Buchstaben, das Wort sowie die zugehörigen Bilder und Gefühle. Möglicherweise simuliert das Gehirn auf diese Weise alle möglichen Folgen der momentanen Tätigkeit und stellt sich so schon vorsorglich auf die jeweils erforderliche Reaktion ein, spekuliert der Psychologe.

Sascha Topolinski: Psychological Science, doi: 10.1177/0956797610397668

dapd/wissenschaft.de - Ilka Lehnen-Beyel
„Die Leistungsfähigkeit des Hirns nimmt zu, je mehr man es in Anspruch nimmt.“
Alfred Herrhausen (1930-1989), dt. Bankier
Antworten