Wörter sind d. Schlüssel z. mathemat. Verständnis

Hier wird über das Gedächtnis und Gehirn aus der Perspektive der Medizin und Wissenschaft diskutiert incl. Thematiken rund um Altersdemenz, Alzheimer aber auch Hochbegabung bei Kindern etc.

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Andi
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Wörter sind d. Schlüssel z. mathemat. Verständnis

Beitrag von Andi »

Sprachlos und zahllos

Wörter sind der Schlüssel zum mathematischen Verständnis
Das Verständnis von Mengen ist an die Sprache gekoppelt: Menschen, die keine herkömmliche Sprache beherrschen, können auch das Konzept von größeren Zahlen und Mengen nicht erfassen. Das haben US-Forscher bei der Arbeit mit taubstummen Menschen entdeckt, die keine offizielle Zeichensprache erlernt haben, sondern über selbstentwickelte Gesten mit ihren Mitmenschen kommunizieren. Obwohl die Probanden aus Nicaragua einer Kultur angehören, in der Zahlen und Mengen verwendet werden, bleibt ihnen das Verständnis dafür zumindest teilweise verschlossen. Die Ergebnisse legen nahe, dass das Zahlenverständnis keine angeborene Eigenschaft des Menschen ist, sondern sich gemeinsam mit sprachlichen Zahlenkonzepten entwickelt. So hilft das Erlernen des Wortes "sieben" beispielsweise dabei, zu begreifen, welche Menge diese Zahl verkörpert, erklären die Forscher.
Bereits in früheren Studien hatten Wissenschaftler Hinweise darauf gefunden, dass Sprache etwas mit der Entwicklung von Mengenkonzepten Menschen zu tun hat. Beispielsweise zeigen Naturvölker im Amazonasgebiet, die keine Bezeichnungen für Zahlen größer als fünf besitzen, auch kaum Verständnis für Mengen, die jenseits dieses Wertes liegen. Dabei blieb allerdings bislang unklar, ob dieser Effekt nicht eher ein kulturelles Phänomen ist - ob er nicht zum Beispiel deswegen entsteht, weil im Leben dieser die Naturvölker Zahlen und Mengen keine Rolle spielen. Mit ihrer Studie wollten die Forscher um Elizabet Spaepen diesen Faktor nun ausschließen, um genauer klären zu können, ob die Sprache der ausschlaggebende Punkt beim Mengenverständnis der Menschen ist.

Sie wählten für ihre Versuche deshalb sogenannte Home Signer aus der modernen Gesellschaft Nicaraguas. Es handelt sich dabei um vier taubstumme Probanden, die auf Grund ihrer Lebensumstände keine Möglichkeit hatten, die offizielle Zeichensprache zu erlernen und Schulbildung zu erhalten. Sie benutzen stattdessen selbstentwickelte Gesten, um sich mit vertrauten Menschen zu verständigen. Dabei gebrauchen sie durchaus auch ihre Finger, um Mengen zu verdeutlichen, wie die Forscher feststellten, können aber nicht im eigentlichen Sinne zählen. Die übrigen Fähigkeiten und Intelligenzleistungen der Testteilnehmer waren in einem normalen Bereich. Als Vergleichsprobanden dienten den Wissenschaftlern hörende Personen aus Nicaragua, die zählen können, jedoch keine Schulbildung besitzen, sowie Personen, die sich der hoch entwickelten Zeichensprache inklusive des Zahlensystems bedienen.

Bei den Tests sollten die Probanden beispielsweise den Inhalt einer animierten Bildergeschichte wiedergeben, die mit Zahlen und Mengen zu tun hatte. Bei anderen Aufgaben sollten sie bestimmte Mengen von Objekten auf einer Karte mit ihren Fingern wiedergeben. Diese Tests erfolgten auch unter Zeitdruck, um Aufschluss über die Geschwindigkeit der Informationsaufnahme zu gewinnen. Außerdem testeten die Forscher durch Versuche das Verständnis für den Wert von Geld.

Banknoten und Münzen konnten die Home Signer den Ergebnissen zufolge durchaus korrekt Werte zuordnen. Bei den anderen Tests zeigten sie dagegen im Vergleich zu den übrigen Probanden Defizite: Ab der Zahl Drei begannen bereits ihre Schwierigkeiten, die Informationen über ihre Finger korrekt wiederzugeben. Sie versuchten es zwar, aber sie machten dabei deutlich mehr Fehler als die Vergleichsprobanden. Die Forscher schließen aus diesen Ergebnissen, dass allein der kulturelle Hintergrund eines Menschen nicht zu der hochentwickelten Wahrnehmung von Mengen führt, sondern erst ein klares Zahlenkonzept in der Sprache.

Elizabet Spaepen (University of Chicago) et al: PNAS, ONline-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1073/pnas.1015975108

dapd/wissenschaft.de - Martin Vieweg
„Die Leistungsfähigkeit des Hirns nimmt zu, je mehr man es in Anspruch nimmt.“
Alfred Herrhausen (1930-1989), dt. Bankier
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