Bei wem hält das Schnelllesen (>300WpM) schon lange an?

Wie funktioniert Schnelllesen? Welche Techniken gibt es? Wie kann man es erlernen?

Moderatoren: Hannes, Boris

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DocTiger
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Beitrag von DocTiger »

Für viele Anwendungen sehe ich den "Flaschenhals" nicht darin, den Text schnell zu lesen als vielmehr den Text einzusortieren und zu behalten. Meistens will ich ja Routenpunkte sparen oder einen Algorithmus verstehen oder die Implikationen für spätere Verwendung zwischenspeichern.
Ich habe mal ein Buch über Speedreading gelesen, und ich glaube es hat mir geholfen meine Lesegeschwindigkeit/Fähigkeit zu verbessern. Dieser Effekt ist aber (bei mir zumindest) nicht astronomisch, und viele der Maßnahmen werden sicher von vielen "intelligenten" Menschen schon von Natur aus benutzt.
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Mindman
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Beitrag von Mindman »

Boris hat geschrieben:Hi Simon,

ich habe seit deren Gründung die deutsche Gesellschaft für schnelles Lesen verfolgt, die definitiv seriös ist und vor allem die wissenschaftliche Forschung über das schnelle Lesen vorantreiben möchte und vernünftige Untersuchungen macht.

Ergebnis ist da schon recht eindeutig, dass 2.000 bis 3.000 WPM bei gleichen Verständnis möglich sind. Vorhandene Untersuchungen zeigen sogar, das bei der ersten Verbesserung am Anfang meist auch das Verständnis noch zu nimmt, wegen größerer Konzentration.

Auch Anne Jones, die in London immer die Schnelllese-WM gewonnen hat, wurde hier mal interviewt und das klang für mich auch sehr glaubwürdig.
Hast du dazu auch Nachweise bzw. Beweise, d. h. Veröffentlichungen in seriösen Zeitschriften oder ein seriös durchgeführter Test mit unbekannten Texten? Von welchem "Ergebnis" sprichst du genau?
Haben wir eine Gedächtnisförderung?
Und wenn ja - warum nicht?
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Boris
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Beitrag von Boris »

http://www.schnell-leser.de/publikationen.html

Prof. Musch von der Universität Düsseldorf hat sich dem aktuell angenommen, eine neue Publikation gibt es noch nicht, aber ein Review der vorhandenen Arbeiten ist so weit ich weiß vorbereitet im Konferenzband der MinD Akademie und zu den laufenden Untersuchungen wird es dann künftig sicher auch eine Veröffentlichung geben.
Pat
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Beitrag von Pat »

Wenn man auf der ersten verlinkten Seite auf www.schnell-leser.de/trainings.html von Peter Rösler hört, dass er 15.000 bis 20.000 Euro für seine Seminare verlangt und in diesem Zusammenhang anführt, er habe zusammen mit dem genannten Prof. Musch sämtliche zum Speed Reading bestehende Literatur ausgewertet, dann könnten einige auf die Idee kommen, die Unabhängigkeit (besser: Objektivität) des besagten Prof. zumindest leicht in Zweifel zu ziehen (Ich tue das natürlich nicht :) ). Es spricht ja zumindest eine gewisse Vermutung dafür, dass er nichts dagegen hat, von einem gewerblichen Anbieter für dessen Werbezwecke zitiert zu werden.

Dass es dort nur (ergebnisoffen) heißt, er und der Prof. hätten die Literatur dazu ausgewertet, ist unerheblich, weil es letztlich doch ein Gutheißen der Methoden des Trainers (die ja wohl Destillat der Auswertung sein sollen) durch den Prof. insinuiert.
Chris_Emc2
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Beitrag von Chris_Emc2 »

Sprechen wir jetzt eigentlich beim "schnellen Lesen" vom herkömmlichen verbessertes subvokalisierndes Lesen oder vom optischen ("echtes") Schnell-Lesen ?
Also darüber sind wir uns jetzt aber schon einig, dass man beim "herkömmlichen" schnellen Lesen bis zu ca. 600 WpM kommen sollte, oder?

Interessant finde ich einen (Amazon)-Beitrag zum dem empfohlenen Buch "Effizient und schneller lesen von Michelmann" auf schneller-lesen.de:
Die Autoren geben sich außerdem viel Mühe, um die physiologischen Zusammenhänge rund um das Lesen gut nachvollziehbar darzustellen. Sie können hierzu auf ihre eigene langjährige Forschung und Erfahrung als Schnell-Lese-Trainer zurückgreifen. Das Ergebnis ist ernüchternd und dennoch spektakulär: Das innere Mitsprechen, das von Schnell-Lese-Gurus wie Buzan als schädlich bezeichnet wird und unterdrückt werden sollte, stellt aus Sicht der Michelmanns sicher, daß man überhaupt lesen kann. Die Lesegeschwindigkeit langsam zu steigern und dabei zu versuchen, das innere Mitsprechen zu unterdrücken, kann die Fähigkeit zu lesen zerstören und dauerhaften Schaden anrichten.
Also sollte das "innere Mitsprechen" doch nicht unterdrückt werden - es sei sogar schädlich !?
Ja was denn nun?

Und ich kann kaum glauben, dass es zu diesem Thema keine eindeutigen
Beweise gibt, dass schnelles Lesen möglich ist!
Wo ist das Problem, einem oder mehreren schnell-Lesern einen Text vorzulegen, die Zeit zu stoppen und gezielte Fragen an den Text zu stellen?

Gruß,
Chris_emc²
Pat
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Beitrag von Pat »

Ganz so dramatisch würde ich es nicht sehen (einmal erlernte Fähigkeiten, die unbewusst funktionieren, können nicht so leicht "zerstört" oder "verlernt" werden, dazu sind sie in ihrer Struktur zu tief im Gehirn verwurzelt). Ich bin aber davon überzeugt, dass eine Unterdrückung des Subvokalisierens Unsinn ist.

Letztlich erfüllt diese vermeintliche Voraussetzung für schnelles Lesen doch einen guten Marketingzweck: Die "Schüler" können sich nicht vorstellen, wie Lesen ohne Subvokalisieren funktionieren sollte (es funktioniert nicht) und sind damit empfänglicher für das Gefühl der "Uneingeweihtheit" und für weitere Suggestionen des "Lehrers", der im Besitz des Arcanums ist.
Bärline
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Beitrag von Bärline »

@ Boris: schön das Foto, sieht nach einem Bewerbungsfoto aus.
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Andi
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Beitrag von Andi »

@ Bärline
Bewerbung- und Werbefoto. Siehe: http://www.boriskonrad.de/

Sehr seriös. Daumen hoch :P.

Aber nicht so MERKwürdig als
die „Wetten, dass..?-Taucherbrille“ :wink:
„Die Leistungsfähigkeit des Hirns nimmt zu, je mehr man es in Anspruch nimmt.“
Alfred Herrhausen (1930-1989), dt. Bankier
Chris_Emc2
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Beitrag von Chris_Emc2 »

Nur so nebenbei: Gibt es eigentlich noch eine Aufzeichnung von dieser
Wetten, dass..??? Sendung im Netz?

Gruß,
Chris_emc²
Peter Rösler
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Beitrag von Peter Rösler »

Pat hat geschrieben:Ich bin gegenüber SpeedReading etc. sehr skeptisch und halte es, grob gesagt, für Selbstbetrug.
...
Simon
Hallo Simon,

Deine skeptischen Beiträge sind mir sehr sympathisch und ich glaube, Du wärst ein ideales Mitglied der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften). Deren Zeitschrift „Skeptiker“ lese ich seit Jahren und freue mich jedes Mal, wenn wieder der Selbstbetrug beim Wünschelrutengehen oder bei einem anderen obskuren Thema aufgedeckt wird. Das Thema „Schnell-Lesen“ sieht zugegebenermaßen auch ein bisschen so aus und es gibt auf dem Schnell-Lese-Markt auch meiner Meinung nach viel Selbstbetrug. Aber im Gegensatz zum Wünschelrutengehen, dem (vermutlich) kein realer Effekt zugrunde liegt, sehe ich die verschiedenen Schnell-Lese-Methoden eher so an wie eine Sammlung volksmedizinischer Ratschläge. Ratschläge, die die viel Unsinn enthalten, aber auch ein Fünkchen Wahrheit, beispielsweise weil eine Heilpflanze verwendet wird, die dieselben Inhaltsstoffe hat wie ein Medikament der evidenzbasierten Medizin. Analog glaube ich, dass es auch beim Schnell-Lesen einen realen Kern gibt.

Deine Behauptung „Niemand kann mit 700 Wörtern in der Minute und gleichem Textverständnis wie bei normaler Lesegeschwindigkeit lesen.“ trifft die Sache trotzdem ziemlich gut. Die Grenze würde ich eher bei 600 wpm ansetzen aufgrund der Forschungen von Carver (1990), (s.a. www.schnell-leser.de/Schnelllesen_24.04.2008.ppt , Folie 9). Carvers Fazit ist kurz gesagt: „Personen, die mit vollem Verständnis schneller als mit 600 wpm lesen, gibt es nicht (oder sind extrem selten).“ Wobei mit „vollem Verständnis“ nicht 100% gemeint sind, sondern das Textverständnis bei normaler Lesegeschwindigkeit.

Weil ich an die Existenz des rein optisches Schnell-Lesens / Lesen ohne Subvokalisieren glaube, würde ich so formulieren: „Niemand, der subvokalisierend liest, kann mit vollem Verständnis schneller als mit 600 wpm lesen.“ Ob es Lesen ohne Subvokalisieren gibt, diskutieren wir weiter unten. Der Erfahrung nach braucht es mindestens einen Monat Training, um das rein optische Schnell-Lesen mit ca. 2.000-3.000 wpm zu lernen. Die Schnell-Lese-Trainings der letzten 20 Jahre dauerten aber mit der Ausnahme Michelmann meist nur 1-2 Tage. Ich schätze, dass weniger als 1% der Kurteilnehmer der letzten 20 Jahre ein Training besucht hat, das länger als einen Monat gedauert hat. Daher stelle ich folgende Vermutung auf: „Mehr als 99% der Personen, die in den letzten 20 Jahren Schnell-Lese-Kurse besucht haben, können nicht mit vollem Verständnis schneller als mit 600 wpm lesen.“

Gibt es aber nun ein Lesen ohne Subvokalisieren? Ich will ein weiches und ein hartes Argument anführen.

1. Auf welche Art und Weise lesen Taubstumme, die das Lesen gelernt haben und seit Geburt an taubstumm sind? In welcher Sprache und mit welchen Lauten sollen sie denn subvokalisieren (wenn sie denn überhaupt subvokalisieren)? Man kommt hier in Erklärungsnöte, wenn man das Lesen ohne Subvokalisieren nicht als Möglichkeit in Betracht zieht.

2. Das härteste Argument sind natürlich wissenschaftliche Publikationen (siehe www.schnell-leser.de/publikationen.html). Brown et al. (1981) und Cranney et al. (1982) haben in methodisch sehr guten Forschungen gezeigt, dass fünf Schnell-Leser mit 1.200 bis 3.000 wpm denselben Verständnisgrad erreichen konnten, wie die Leser aus zwei Kontrollgruppen, die langsamer als 500 wpm lasen (s.a. www.schnell-leser.de/Schnelllesen_24.04.2008.ppt , Folie 57).

Viele Grüße
Peter

Literatur:

Brown, B. L., Inouye, D. K., Barrus, K. B., & Hansen, D. M. (1981). An analysis of the rapid reading controversy. In J. R. Edwards (Ed.), The Social Psychology of Reading. Language and Literacy Monograph Series (pp. 29-50). Silver Spring: Institute of Modern Languages.

Carver, R.P. (1990). Reading rate: a review of research and theory. San Diego, California: Academic Press.

Cranney, G., Brown, B. L., Hansen, D. M. & Inouye D. K. (1982). Rate and reading dynamics reconsidered. Journal of Reading, 25, 526-533.
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Der_Molch
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Beitrag von Der_Molch »

Interessanter Beitrag!

Zur Definition kommt bei mir da die Frage auf, wenn Subvokalisieren die Geschwindigkeit hemmt, ob es sich darum dreht, dass damit die motorische Bremse gemeint ist, also, dass die Informationen in meinem Gehirn motorisch mitgespielt werden müssen (Sprechapparat-Simulation) oder alleine nur schon der Klang der Wörter vor dem inneren Ohr zum Ausbremsen ausreicht. Lassen sich die zwei Vorgänge überhaupt entkoppeln?

Ich habe, was die Sprachformung angeht jetzt nicht so starkes Hintergrundwissen, aber mir fiele experimentell zur Lösung des Problems nur die Idee ein, dass man elektromagnetisch das Broca-Zentrum (Sprech-Ausgangs Zentrum; keine Impulse mehr an den Motokortex und Verlust der gedanklichen Spracherzeugung) für einige Stunden lahm legt und diese Probanden lesen lässt. Diese können die Impulse für den Sprechapparat nicht mehr Formulieren und würden somit auch keine Bremse darstellen, auch das Repetieren vor dem inneren Ohr würde wegfallen.
Gleichzeitig müsste natürlich ein Experiment gemacht werden, bei dem nur die motorischen Areale ausgeschaltet werden und das Broca-Zentrum intakt bleibt, um die Problemstellung aus meinem ersten Absatz differenzieren zu können.

Wenn die Probanden aus beiden oder einem der experimentellen Ansätze schneller lesen als die der unbehandelte Kontrollgruppe, dann ab zur Anmeldung für den Antisubvokalisierungs-Kurs.

@Peter Rösler:
sie haben doch sicher engen wissenschaftlichen Kontakt mit dem richtigen Ressort, wäre das nicht eine neue Herausforderung für die Wissenschaft? Ich hoffe meine Idee entspricht nicht nur träumerischem Dilettantismus.
DivineTraube
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Beitrag von DivineTraube »

Der_Molch hat geschrieben:mir fiele experimentell zur Lösung des Problems nur die Idee ein, dass man elektromagnetisch das Broca-Zentrum (Sprech-Ausgangs Zentrum; keine Impulse mehr an den Motokortex und Verlust der gedanklichen Spracherzeugung) für einige Stunden lahm legt und diese Probanden lesen lässt. Diese können die Impulse für den Sprechapparat nicht mehr Formulieren und würden somit auch keine Bremse darstellen, auch das Repetieren vor dem inneren Ohr würde wegfallen.
Ich denke nicht, dass ein solches Expirment zum Erkenntnisgewinn bezüglich der Funktion des Broca-Areals beim Sprachverstädnis zwingend notwendig ist. Der pathologische Fall einer Broca-Aphasie spiegelt genau den langfristigen Effekt einer solchen Inaktivierung wieder, die Ergebnise dazu sind bekannt (Forschungen von Walter Huber und Klaus Poeck, Diagnoseverfahren: Aachener Aphasie-Test (AAT)):
Das Sprachverständnis bei einer Broca-Aphasie ist für syntaktisch komplexe Satzgefüge eingeschränkt.

Deshalb geht man davon aus, dass die Rolle des Broca-Areals für die Grammatik bei Produktion und Verständnis eine große Rolle spielt.

Die Frage, ob ein Abtrainieren des Subvokalisierens auch eine Einschränkung der grammatikalischen Kompetenz nach sich zieht ist damit noch nicht beantwortet, ich halte es jedoch für wahrscheinlich. Die Konsequenz wäre gerade eine, die ich beim Speed-Reading ohnehin vermutet hatte: einfache und sehr simpel formulierte Zusammenhänge können auch durch schnelles Lesen verstanden werden, da hier das Vertändnis stichwortbasiert abläuft. Ist der Sprachduktus also parataktisch (in Hauptsätzen) könnte ein annährend gleichwertiges Sprachvertändnis erzielt werden. Sobald der Sprachstil jedoch hypotaktisch (d.h. verschachtelt und nebensatzlastig) ist, verschwindet das Sprachvertändnis. So zumindest meine Erfahrung mit Speed-Reading. Die Implikationen meiner Vermutung wären:
1. Das abgestellte Subvokalisieren, so es denn eine dauerhafte Umgewöhnung ist, schwächt das Verständnis für hypotaktische, komplexe und detaillierte Sprache und schmälert die Fähigkeiten zur grammatikalisch validen Sprachproduktion
2. Ein erhöhtes Vertändnis für anspruchsvolle Literatur kann durch die erworbene Unterdrückung der Subvokalisation nicht erreicht werden
Phexx
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Beitrag von Phexx »

Das ist ja auch ein definitiver vorteil von klarer, verständlicher Sprache. Diese ist auch mit oder ohne Speedreading dann häufig eindeutiger in ihrer Wirkung.
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DocTiger
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Beitrag von DocTiger »

Wenn sich der größte Teil der geistigen Leistung im Kopf abspielt, auf geistigen Bühnen um den Stoff einzuordnen und zu verarbeiten, welchen Sinn macht dann eine Verbesserung von 300 auf 600 Wpm? Müssen wir dann schneller denken?
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DivineTraube
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Beitrag von DivineTraube »

Überzeugte Speed-Reader würden vermutlich antworten, dass die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns problemlos einen vearbeitenden Durchsatz von 600 wpm erlaubt.
Ich denke, dass eine Verifikation dieser These seitens der Speed-Reader noch aussteht und zwar in Form einer Studie die auch unterschiedliche Schwierigkeitsgerade des Materials berücksichtigt und sich nicht auf Zeitungsartikel und ähnliches beschränkt.
Und dann, davon bin ich überzeugt, werden sie zu dem Ergebnis kommen, dass sich zwar Trivialliteratur mit erhöhter Geschwindigkeit verarbeiten und lesen lässt (geringe Informationsdichte, wenig Tiefe und Anspruch) aber die Hoch- und Fachliteratur sich unter keinen Umständen in dieser Geschwindigkeit abfertigen lässt.
Pat
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Beitrag von Pat »

Weil ich an die Existenz des rein optisches Schnell-Lesens / Lesen ohne Subvokalisieren glaube
Handelt es sich dabei um eine Glaubensfrage? :)

In Ihren Kursen wird ja angeboten, die Leute das Lesen in dieser Geschwindigkeit (2000 - 3000 Wörter in der Minute) zu lehren. Ich gehe davon aus, dass Sie als Anbieter zumindest subjektiv überzeugt sind, diese Fähigkeit zu beherrschen.

Wieso dann nicht: "Ich weiß ja selbst, dass es funktioniert, weil ich es kann." ?

Das wäre zumindest meine erste Reaktion, wenn jemand die Effektivität der Loci-Technik anzweifeln würde.

Gibt es aber nun ein Lesen ohne Subvokalisieren? Ich will ein weiches und ein hartes Argument anführen.

1. Auf welche Art und Weise lesen Taubstumme, die das Lesen gelernt haben und seit Geburt an taubstumm sind? In welcher Sprache und mit welchen Lauten sollen sie denn subvokalisieren (wenn sie denn überhaupt subvokalisieren)? Man kommt hier in Erklärungsnöte, wenn man das Lesen ohne Subvokalisieren nicht als Möglichkeit in Betracht zieht.

2. Das härteste Argument sind natürlich wissenschaftliche Publikationen (siehe www.schnell-leser.de/publikationen.html). Brown et al. (1981) und Cranney et al. (1982) haben in methodisch sehr guten Forschungen gezeigt, dass fünf Schnell-Leser mit 1.200 bis 3.000 wpm denselben Verständnisgrad erreichen konnten, wie die Leser aus zwei Kontrollgruppen, die langsamer als 500 wpm lasen (s.a. www.schnell-leser.de/Schnelllesen_24.04.2008.ppt , Folie 57).
Die zweite Reaktion wäre keine Argumentation, sondern eine Demonstration der Fähigkeiten.
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DocTiger
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Beitrag von DocTiger »

Ich muss wohl einsehen, dass Speedreading in der Tat funktioniert. Dann muss ich wohl die Locitechnik an den Nagel hängen. Da wir ja alles verstehen und behalten was wir mit Speed Reading lesen würden. Speedreading ist endlich der Durchbruch, sich von den Gesetzen der Wiederholung, der Vergessenskurve, der Ähnlichkeitshemmung und dieser sinnlosen Fixierung auf Eselsbrücken zu befreien!

Auch faszinierend, wenn in Marketingmaterial von "methodisch sehr guten" Studien die Rede ist. Irgendwie interessieren mich Studien auf diesem Gebiet nicht so wirklich. Die Artikel behaupten meistens nichtmal etwas weltbewegendes, werden aber bis zur Unkenntlichkeit aufgebauscht und interpretiert. Viele der genannten Studien befassen sich mit einem Ist-Zustand von "natürlich gewachsenen" Lesern. Sorry, aber die Aussage "Nur wenn ein optischer Speedreader unter den Versuchspersonen war, ließ sich ein signifikanter Effekt nachweisen" scheint alles andere als erwiesen, dafür aber umso praktischer. Ich fühle mich ein wenig an unsere TM Diskussion erinnert.

Jeder der sich in Statistik einigermaßen auskennt weiß, dass es sowas wie Normalverteilungen gibt, die sich in der Regel aus ganz vielen kleinen Effekten zusammensetzen. Ebenfalls sollte man wissen dass nicht alle Studien veröffentlicht werden. Die ohne signifikantes Ergebnis werden öfter nicht publiziert, als die mit einem ordentlichen Ergebnis. Das ist so, dass meinen die Autoren nicht einmal böse.
Ich halte Speedreading für experimentell sehr schwer zu erfassen. Das beginnt bei Placeboeffekten und hört bei geringen Fallzahlen nicht auf. Darüber täuschen auch hübsche Diagramme nicht hinweg.

Und natürlich ist "optisches" Speedreading ein völlig anderes Verfahren als alle anderen, deshalb auch viel wirksamer und verdient ein eigenes Trademark. Außerdem ist es unmöglich sowas aus einem Buch für 9,90€ zu erlernen, der Preis von über 10.000€ (kein Witz, ich habe auch gestaunt!!!) ist dank des 1000fach größeren Nutzens absolut gerechtfertigt.

Ich denke mal Peter Rösler leistet im Prinzip gute Arbeit, denn die meisten seiner Ideen scheinen recht herkömmlich und sollten auch mindestens leichte Effekte haben, wie alle anderen Techniken, aber ob der Preis gerechtfertigt ist? Ich gönne es ihm, wenn er wirklich Menschen findet, die solche Preise bezahlen. Ich kann es aber nach bisheriger Datenlage niemandem empfehlen und fast jedem Studenten davon abraten, eben aufgrund des Preises.
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Pat
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Beitrag von Pat »

Du gehst das viel zu logisch an. Versuch doch mal, einen ein bißchen emotionaleren Blickwinkel einzunehmen.

Zu schwer? Hilfe findest Du hier:

http://en.wikipedia.org/wiki/Leap_of_faith
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Boris
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Beitrag von Boris »

Ich finde es sehr gut, dass Herr Rösler ausführlich und sachlich geantwortet hat und verstehe die anschließende teils unsachliche Kritik nicht.

Bei dem Schlagwort "optisches Schnelllesen" geht es doch genau um das, was hier im Forum meist einfach "ohne subvokalisieren" genannt wird. Für mich ergibt sich hier eine klare Teilung der Angebote:

- klassisches Schnelllesen durch Fixierung etc.: Erreichbares Tempo bis ca. 600 WPM. Recht schnell im Training erlernbar, das was in den meisten Büchern und seriösen Seminaren zu dem Thema angeboten wird. Hier zu kritisieren, dass das ja "zu leicht" ist, finde ich genauso komisch, wie Kritik an Lerntechniken, dass es nur Tricks sind. Die meisten lesen ohne Training nicht schneller als 300 WPM. Und eine Verdopplung ist da doch ein tolles Ergebnis, gerade wenn es so leicht erreichbar ist.

- "ohne Subvokalisieren". Tempo erreichbar: 2000 WPM, ggf. etwas mehr. Meiner Wahrnehmung nach ist es bewiesen, dass es das gibt und es auch erlernbar ist. Der Aufwand ist aber immens höher als beim klassischen Schnelllesen. Gerade Herr Rösler gibt dies doch auch offen zu und diskutiert selber darüber mit. Dies einfach abzukanzeln ist weder sachlich noch inhaltlich korrekt. Ob es einem der sehr hohe Aufwand wert ist, muss halt jeder selbst wissen. Ich habe es bisher nicht versucht, da mit die 600 WPM reichen. Aber zu behaupten, dass es das nicht gibt, ist auch falsch.

- Turbo-/Foto-/Superduper-Schnelllesen mit gerne 10.000 WPM oder mehr. Dies mag ein Training der Konzentration und Aufmerksamkeitsspanne sein. Belege, dass man damit Inhalte wirklich in dem gleichen Maße aufnimmt, gibt es anders als bei der zweiten Kategorie keine.


Dann noch das, was du ironisch schreibst als
Ich muss wohl einsehen, dass Speedreading in der Tat funktioniert. Dann muss ich wohl die Locitechnik an den Nagel hängen. Da wir ja alles verstehen und behalten was wir mit Speed Reading lesen würden. Speedreading ist endlich der Durchbruch, sich von den Gesetzen der Wiederholung, der Vergessenskurve, der Ähnlichkeitshemmung und dieser sinnlosen Fixierung auf Eselsbrücken zu befreien!
Ich habe solche Behauptungen bei keinem seriösen Schnelllesetrainer gefunden. Die Aussage ist, dass man mit Schnelllesen der Kategorien 1 und 2 die gleiche Wissensaufnahme des Texts erreicht, wie bei normalem Lesen. Was ich normal lese muss ich auch wiederholen oder zusätzlich auswendig lernen, gerne mit Mnemotechniken. Das gilt beim Schnelllesen genauso. Aber man nimmt eben beim seriösen Schnelllesen dennoch erstmal genauso viel Inhalt auf, wie beim langsamen lesen. Das ist die Aussage, die ich auch für plausibel und belegt halte.

Das Marketingübertreibungen genutzt werden, ist halt normal. Tun Gedächtnistrainer ja auch, und trotzdem funktionieren Mnemotechniken (aber auch nur mit der nötigen Wiederholung).
Pat
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Beitrag von Pat »

Ich denke, es ist nicht zu viel verlangt, wenn bei einer behaupteten Erhöhung der Geschwindigkeit um 1.000 % nicht sofort geglaubt wird, dass es das gibt.
Bei solchen weit erhöhten Werten gibt es eben keinen "benefit of the doubt", sondern eine klare Bringschuld der behauptenden Seite, um mich zu überzeugen.

Ich nehme den Standpunkt ein, dass bis zu einer stringenten, multi-kategoriellen (wie von DivT angesprochen), also verschiedene Arten von Texten erfassenden Abgleichung des Textverständnisses und einer klar festgelegten Definition, was das überhaupt sein soll (prozentuale Verteilung der Wichtigkeit von grundlegender Handlungsstruktur, Detailinformationen, Tiefenverständnis, "Nacherzählbarkeit") davon ausgegangen werden muss, dass diese Behauptungen nicht zutreffen.

Damit trete ich hoffentlich keinem Lehrenden zu nahe.

Seltsam finde ich nur, dass (wenigstens meines Wissens) bis jetzt kein einziger Schnelllese-Trainer bereit war, seine Fähigkeit (sei es in einem Kurs oder unter wissenschaftlichen Bedingungen) testen zu lassen. Es wäre doch so leicht: Hingehen, Fähigkeit anwenden, brillieren - die perfekte Werbung, wissenschaftlich abgesichert (Ja, ja, Universitätsstudien kommen nicht so leicht zustande. Dann eben irgendeine andere Art der Demonstration).

Z. B.: Ein längerer Text von mittlerer Komplexität mit recht vielen Einzelinformationen, aber auch einem handlungsbezogenen Überbau: 40 Seiten = ca. 10.000 Worte.

Zeit: 5 Minuten

Danach beliebige Fragen zum Text von einem Unbeteiligten.

Gegebenenfalls Abgleich mit einem Normalleser (der natürlich die selben Fragen erhält), der für denselben Text 50 Minuten Zeit hatte. Wenn man dies ein paar Mal durchführt (mit wechselnden Texten und Normallesern), sollten man doch recht schnell ein ungefähres Bild haben.

Dauer: Einen Tag.

Das Thema ist wegen seiner Bezüge zu Verständnis, Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung viel zu komplex, um es durch reines Denken zu lösen. Das Gehirn selbst hat nun einmal große Schwierigkeiten damit, sich selbst als Denkmodell abzubilden.

Deswegen ist diese Frage nicht theoretisch (durch Diskussionen und Argumente), sondern empirisch zu lösen.

Simon

P.S.: Präventiv: Bitte nicht auf bereits durchgeführte Studien verweisen als Argument dafür, es bedürfe keiner solchen Tests mehr. Wie gesagt: Dauer ein Tag. Wieso nicht?
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