Draco hat geschrieben:Ich lerne gerade Geschichtsdaten nach folgender Methode: [...] Hat das mal wer gemacht und hat noch Tips?
Ich habe ein System, das darauf abzielt, "aus jedem Jahr etwas zu wissen". Mein Wunsch wäre, mich von Bild zu Bild (= Jahr zu Jahr) von heute aus rückwärts bewegen zu können, so daß ich gewissermaßen ein Gefühl erhalte für "mit Ereignissen belegte Zeit". Der Wunsch wäre gleichzeitig der, mich in jedem Jahr "ein bißchen auszukennen".
Um dieses Ziel zu erreichen habe ich mir zunächst eine Chronik zusammengestellt. Das war schon eine ziemlich lange und mühevolle Arbeit, bei der schwerwiegende Probleme auftauchten. Problem Nr. 1: Ab dem 14. Jahrhundert wird es zunehmend schwierig, zu jedem Jahr ein konkretes Ereignis zu finden. 1313 etwa und 1293 sind bei mir immer noch leer. Irgendwann wird das katastrophal, nämlich vor dem Jahr 1000. Problem Nr. 2: Irgendwann werden die Zahlen unsicher. Scheinbar zuverlässige Quellen wie Der Große Brockhaus und der Geschichtsploetz widersprechen sich. Sterns Kulturfahrplan fand ich sehr fehlerbehaftet. Gut, habe ich mir gesagt, lassen wir die Zeiten vor dem Jahr 1000 beiseite, benutzen wir Sterns Kulturfahrplan nur nach doppelter Kontrolle und bauen wir eine Mnemotechnik für A.D. 1000 - heute. Das wäre doch mal ein Anfang!
Um das nun zu erreichen, investiere ich zunächst einmal in eine Museumsanlage wie folgt:
Ich setze 100 Gebäude, die sich als Museen eignen. Natürlich habe ich eine bequeme Route, immer 10 zusammen in einem Distrikt, und natürlich weiß ich die Hausnummern direkt per Mnemotechnik. In ESELS WELT S.229-230 findet man diese Technik unter der Überschrift "Personen als Hausnummern" ausführlich beschrieben.
Jetzt stelle ich mir vor, daß von den Ereignissen eines Jahres jeweils ein "Fundstück" in meinem Museum gelandet ist.
"1867":
In diesem Jahr ist viel passiert und noch gut bekannt. Ich habe die Qual der Wahl. Ausgewählt habe ich das Gemälde von Edouard Manet, > Die Exekution des Kaisers Maximilian in Mexiko<; - das hängt jetzt also in meinem Museum Nr. 67. Es war nicht ganz billig, macht sich aber gut.
Sozusagen hätte ich damit schon was auf dem Tisch, natürlich nicht nur das Bild, sondern auch die Kenntnis einer Tatsache aus der mexikanischen Geschichte, der arme Max wurde nämlich eben in jenem Jahr erschossen.
Was ist jetzt mit weiteren Ereignissen aus jenem Jahr?
Z.B. "Kauf Alaskas durch die Vereinigten Staaten".
Ich stelle jetzt eine Verbindung her zu meinem Museumsstück: Der amerikanische Aussenminister William Seward zum russischen Gesandten Edouard de Stoeckel: "Wenn Sie nicht einwilligen, so wird es Ihnen grad so ergehen wie dem armen Max im fernen Mex, sehen Sie nur dies instruktive Bild von Edouard Manet!"
Oder "Karl Marx veröffentlicht DAS KAPITAL Bd. 1 in Hamburg":
Marx beeilte sich jetzt, das längst überfällige Werk zu veröffentlichen, da die spektakuläre Erschießung des Kapitalisten Max eine lang ersehnte Illustration zu seiner Kernthese vom notwendigen Untergang des Kapitalismus gebracht hatte.
usw.
Es bildet sich hier ein diffuser Klumpen von Tatsachen, die sich auch untereinander verknüpfen lassen. Marxens KAPITAL könnte auch einen Bezug zu dem kapitalistischen Großdeal um Alaska beinhalten usw. Je mehr solcher Verbindungen, desto stabiler der Klumpen. Ins Museum nehme ich aber keine weiteren Objekte auf. Die Erstausgabe von DAS KAPITAL, die man mir einmal anbot, mußte ich ablehnen, denn ich habe nicht vor, mich von dem schaurig-schönen Manet zu trennen.
Für das 19. Jahrhundert habe ich das einmal durchgeführt und verinnerlicht. Dann verließ mich die Muße. Irgendwie kam die Zahl Pi dazwischen. Gelegentlich soll es aber folgendermaßen fortgesetzt werden:
"1767":
Mein Museumsstück ist ein etwas vergilbtes Programm der Uraufführung von Lessings MINNA VON BARNHELM aus dem Nationaltheater in Hamburg.
Damit weiß ich auch gleich, daß dieses Theaterstück in jenem Jahr zuerst gedruckt wurde und daß Lessing die hamburgische Dramaturgie begann. Damit kann ich mir aber auch noch gut merken, daß Gluck in diesem Jahr die Oper Alceste herausbrachte, die einen neuen Opernstil initiiert, in dem die Dramatik des Werkes gegenüber dem Auftritt des Stars betont wird und sozusagen ein Schritt in Richtung Wagnerscher Theater-Dramatik glückt. Ich brauche mir ja nur noch auszumalen, wie Gluck, als er der Uraufführung des Lessingschen Schauspiels beiwohnte, auf eben diese neuartige Idee kam.
Oder die Vertreibung der Jesuiten aus Spanien in eben diesem Jahr: Stelle ich mir doch vor, wie ein spanischer Jesuit, der damals in Hamburg der Uraufführung der MINNA beiwohnte, in der Pause die üble Nachricht erhielt. Steht nicht auf meinem vergilbten Museumsstück ein frommes spanisches Schimpfwort?
18. / 19. Jahrhundert: Jetzt hätte ich in meinem Museum Nr. 67 zwei Objekte. Ich benötige keinerlei zusätzliche mnemonische Mittel, um sie voneinander zu unterscheiden und ihren Jahrhunderten richtig zuzuordnen.
Das ist ja mein Grundprinzip: Wenn ich ein Ereignis nicht ohne weiteres seinem Jahrundert zuordnen kann, sehe ich keinen Grund, es lernen zu wollen.
Ich hoffe, das Prinzip ist klar geworden. Am Ende hätte ich 100 Museen mit jeweils 10 Objekten. Die meisten Objekte wären Zentrum weitergehender Informationen über "ihr" Jahr.
Ein einziger Durchgang durch 100 Örter würde mir genügen, um Ereignisse aus 1000 Jahren zu rekapitulieren.
Im Vergleich: Um 5.000 Stellen von pi zu rekapitulieren, muß ich 100 Örter durchgehen, auf denen jeweils 25 Informationen sitzen. Damit käme ich in meinem historischen Modell bis zum Jahr 2.500 v.Chr. Bedenkt man noch, wie wenig Konkretes aus der antiken Geschichte bekannt ist, so hört sich das fast an wie ein Kinderspiel. Die schwierige Arbeit besteht nicht im Lernen, Memorieren und Rekapitulieren, sondern im Aufbau der einzelnen Klumpen. Die müssen nämlich historisch stimmig sein und andererseits doch nicht zu stimmig, damit ich nicht etwa am Ende meine eigene Verknüpfungsphantasie für bare Münze nehme. Zum Beispiel "1867": Maximilian wurde im Juni erschossen, der Alaska-Deal fand bereits im März statt. Die Informationen meines Systems setzen alle Ereignisse eines Jahres zeitlich gleich. Wollte ich das verhindern, so müßte ich ihnen zusätzliche mnemonische Attribute beifügen. Das wäre möglich, ich habe es aber dehalb nicht angefangen, weil die Eruierung der Monats- (oder gar Tagesangaben) der meisten Daten sehr aufwendig ist. Sterns Kulturfahrplan z.B. verzichtet durchgehend auf Tagesdaten.
U.V.