Chinesen & Mnemotechnik

Hierein gehört alles was die Geschichte und Methoden der Mnemotechnik betrifft. Z.B. Was ist die Geschichtenmethode? Was sind Routen? Des Weiteren geht es auch um die historische Betrachtung und Analyse der Mnemotechnik.


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Sinologe
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Beitrag von Sinologe »

[quote]Die Chinesen nicht, weil ihnen das Grundprinzip der Mnemotechnik fremd ist.

Guten Tag

Ich bin neu in diesem Forum und war bisher sehr erfreut über viele Beitrage.Besonders der Beitrag über die 5000(100000) Stellen von pi von Herr Vogt ist wunderbar und sehr lesenswert. Es gibt mir aber zu denken,wenn so etwas behauptet wird. Da nicht alle Chinesen ein "fotographisches Gedächnis haben und viele mehr als 10000 Schriftzeichen beherrschen, die oft aus mehr als 15 Strichen bestehen, ist es vielmehr so, dass viele Chinesen die Memotechnik ganz natürlich und automatisch verwenden. Sie gehen dabei nicht immer so systematisch vor wie Herr Vogt. Mit etwa dreißig Radikalen lassen sich aber z.B. mehr als 90% der klassischen Vokabeln schnell ermitteln, und zumindest diese dreißig kennen viele Chinesen auch mit Radikalnummer auswendig. Bei denn anderen müssen sie dann leider ein paar Sekunden suchen, und wie sie mathemathisch sicher erkannt haben liegt hier eine Menge "Zeit" herum, die zu sparen wäre, wenn man das ganze Leben eines Chinesen (oder Sinologen :wink: )betrachtet.
Loci- und Geschichten-Methoden kennt und benutzt fast jeder Chinese der schreiben kann, nur würde man es in China nicht so nennen. Man darf hierbei nicht vergessen, dass die chinesische Malerei und Literatur(Schrift) vollkommen gleichberechtigt in der Kalligraphie vereint sind.
Allein über die Umwandlung von Zahlen in Wörter konnte ich aus chinesischer Richtung noch nichts in Erfahrung bringen und ich sehe ein, dass dies ein wichtiger Faktor für die Systematisierung und Wissensausweitung ist. Er ist aber nicht der einzige mnemotechnische Faktor. Mehr als 10000 chinesische Zeichen schreiben zu können ist eine Leistung die sich viele Abendländer nicht einmal vorstellen können, da sie fast immer nicht mal ein einziges kennen. Wieviel Allgemeinbildung diese 10000 kleinen "mindmaps"(Ich weiß, es sind noch nicht vollständig aufgemalte aber zumindest oft krätig imaginierte mindmaps) nach sich ziehe, ist vielleicht der hier am meisten unterschätzte Faktor. Die meisten gebildeten Chinesen sind der englischen Schrift zumindest in einem gringem Umfange mächtig. Wer ist hier eigentlich ignorant, die westliche oder die chinesische Welt?
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Ulrich Voigt
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Beitrag von Ulrich Voigt »

Voigt hat geschrieben:Die Chinesen nicht, weil ihnen das Grundprinzip der Mnemotechnik fremd ist.
Ich gebe zu, daß derart verallgemeinernde Aussagen heikel sind. Ich hoffe, man wird mich dafür nicht gleich als China-Verächter abstempeln wollen...
Sinologe hat geschrieben:ist es vielmehr so, dass viele Chinesen die Memotechnik ganz natürlich und automatisch verwenden.
Das ist wahr. Es ist aber ein weiter Weg von "diesem" zu "jenem". In Esels Welt S. 66-67 findet man dazu unter den Überschriften Gewohnheiten und Natürliche Mnemotechnik eine grundsätzliche Überlegung.
Sinologe hat geschrieben:und zumindest diese dreißig kennen viele Chinesen auch mit Radikalnummer auswendig
Das möchte ich bestreiten. Es würde mein Urteil in der Tat auf der Stelle widerlegen.
Da die Radikale sehr ungleichmäßig verteilt sind, hätte es tatsächlich keinen besonderen Wert, sich nur einen Teil ihrer Nummern zu merken. Lexikonerfahrene Chinesen und Sinologen gehen meines Erachtens so vor: Sie wissen aus Erfahrung ziemlich genau, wo sie ungefähr aufschlagen müssen, um z. B. zum Radikal Nr. 75 = Holz hinzukommen. Dann kennen sie die relative Reihenfolge der Radikale, wissen also sofort, in welche Richtung sie weiterblättern müssen. Und schon sind sie da. Das geht schnell. Allerdings nicht so schnell wie das Aufschlagen einer bestimmten Zahl (falls man alle Nummern ohne Nachdenken beherrscht).
Sinologe hat geschrieben:Mehr als 10000 chinesische Zeichen schreiben zu können ist eine Leistung die sich viele Abendländer nicht einmal vorstellen können.
Ja. Aber: Wie viele Chinesen mag es geben, die 10.000 Zeichen beherrschen? Ich habe mal gelesen, daß man, um sämtliche chinesischen Bücher zu drucken, keine 7.000 Zeichen benötigt. Der Rest, von dem hier die Rede ist, lebt also nur als Lexikonwissen. Ich glaube, daß ein Chinese, der tatsächlich 5.000 Zeichen beherrscht, schon zu einer ziemlich kleinen Minderheit gehören dürfte.
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Sinologe
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Beitrag von Sinologe »

[quote]Wie viele Chinesen mag es geben die zehntausend Zeichen behrrschen?

Gute Frage. Die genaue Antwort dürfte nicht ohne weiteres zu ermitteln sein. Leider sind die chinesischen Zahlen zu diesem THema nicht immer vertrauenswürdig. Außerdem ist die Grundlage einer solchen Schätzung etwas schwierig.
1. Man muß zuerst einmal zwischen Kurz und Langzeichen unterscheiden.
Wer Langzeichen gelernt hat kann meißtens auch Kurzzeichen schreiben.
Die jeweiligen Kurz und Langzeichen sind zu guten Teilen so unterschiedlich , daß man sie als eigene Zeichen klassifizieren kann(aber nicht muß ,was die Rechnung zumindest offen läßt) obwohl sie häufig systematisch voneinander ableitbar sind.
2. Die Unterscheidung zwischen klassischem und Hochinesisch ist ebenfalls erforderlich. Die Zeichen haben im klassischen Chinesisch(Langzeichen) oft abweichende oder gänzlich verschiedene Bedeutungen.
Der Vergleich mit Latein und Deutsch trifft es nicht wirklich, mag aber hier erwähnt werden.

Es darf also behauptet werden, dass jemand der Langzeichen und klassisches Chinesisch gelernt hat auf über 10000 Vokabeln kommen kann. Wir sprechen hier also von den gebildetenen, die zumindest das "chinesische Abitur" haben.
Ich gebe allerdings zu ,dass dies wohl nicht die Normalität darstellt und dass man mit 4000-7000 aktiven Zeichen schon sehr gut schreiben kann.


Eine weitere Frage stellt sich bezüglich der Unterscheidung von Zeichen und Wörtern:

Wörterbücher haben oft mehr als 40000 Wörter (Wörter d.h. 1 oder mehrere Zeichen).

Das beliebteste Zeichenbuch für chinesische Schüler(die guten haben es gerne in der Tasche) hat deutlich mehr als 7000 Zeichen (Zeichen d.h. jeweils nur eines).

Ich gehe davon aus dass wir hier von Zeichen reden, da der Aufwand vom Zeichen zum Wort relativ gering ist.(Mnemotechnik; zwei Zeichen verbinden).

Für die chinesisch Interessierten möchte ich noch sagen das die Zeichen aus etwa 600-700 verschiedennen Komponenten zusamengesetzt sind.Hier ist der Punkt an dem die Mnemotechnik ansetzten sollte.
Die Komponenten zu ermiitteln ist ein mitunter abenteuerliches Unterfangen für den Anfänger, der ja gerne sprechen lernen möchte, da diese Komponenten oft kein chinesisches Wort sind, oder ein in der Umgangssprache gänzlich unbedeutendes Wort .Systematik hilft hier enorm .Sie ist aber aus einigen nicht unerheblichen Gründen nicht so schnell zu erreichen. Genau hier liegt ein weites Forschungsfeld offen, da die Werke die ich kenne und die sich auf solche Fragen beziehen selten sind, und mir in der Qualität(Systematik) so noch nicht gefallen.


Letzter Punkt:

Zugegeben, diese dreißig betstimmten Radikale, die aus den 214 entnommen werden, kennen nur sehr wenige mit Nummer, obwohl das sehr hilfreich ist. Man kann z.B. über 90% der klassischen Vokabeln mit diesen 30 Radikalen im Wörterbuch finden.




Übrigens würde ich sie nie für einen China Verächter halten, immerhin bin ich auch durch ihre Hilfe auf die "interessante Dame" gestoßen die sich mir jetzt systematisch und Stück für Stüch offenbart. 25 Gardroben und 100 Häuser, dass wird wohl dauern.Tolles System!

Zitat:"Das China der Sinologen ist häufig nicht das China der Chinesen"
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