Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Alles was Lerntechniken und Lernstrategien betrifft, insbesondere aber nicht ausschließlich gehören hier auch die Anwendungen von Mnemotechnik herein.
Wie kann ich am besten für Prüfungen lernen, wie merke ich mir Namen, wie lerne ich Zahlen oder Formeln etc.

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Horkas
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von Horkas »

DocTiger hat geschrieben:Vielleicht hilft es, diese Meditations/Entspannungs-Geschichten in Zusammenhang zu bringen mit anerkannten Problemen. Ein anerkanntes Problem, was zur Zeit schlichtweg keine Lösung hat, ist ADHDS, und verwandte Probleme bei Kindern, die sich vielleicht nicht optimal konzentrieren (was nicht auffällt weil sie vielleicht allgemein gut mirarbeiten können), wo man aber keine Diagnose stellen kann oder will. Ritalin hilft ansatzweise, hat aber Nebenwirkungen, und es ist definitiv keine Lösung wenn das Problem nicht so gravierend wirkt. Die einzigen Methoden die noch eine Chance haben sind Mindfulness-meditation, Neurofeedback und vewandte Techniken.
Was glaubst du, hat uns zum Einsatz von Entspannungsübungen im Unterricht veranlasst? Es waren natürlich diese Probleme mit ADS und ADHS, aber auch mit anderen Verhaltenserscheinungen unter Kindern, die den Unterricht schwer beeinträchtigten und uns zur Suche nach neuen Wegen veranlassten. Dazu kamen viele Fälle von „Schulgeschädigten“, die das Gymnasium verlassen mussten. Ich weiß zwar im Einzelnen nicht, was die Kolleginnen und Kollegen alles unternahmen, um mit manchen schwer beeinträchtigten Kindern so klar zu kommen, dass sie sich so positiv entwickelten. Aber es funktionierte . Ohne Ritalin! Ich sehe es immer als kleine Niederlage der Schule, wenn ein Kind sie nur mit Tabletten aushält.

Wir hatten Klassen, die vom fünften bis zum zehnten Schuljahr nicht nur keine einzige Nichtversetzung erlebten, sondern sogar noch mehrere schwierige Fälle integrierten, die von anderen Schulen oder aus Parallelklassen kamen. Dabei spielten neben Entspannungsübungen mit den Kindern auch die kommunikativen Fähigkeiten der die Klasse unterrichtenden Lehrer(innen) eine große Rolle sowie die enge Kooperation im jeweiligen Lehrerteam. Und die gute Unterrichtsqualität selbstverständlich.

Mit guten Vorschlägen zum Umgang mit ADS und ADHS half auch das kleine Buch „Keine Pillen für den Zappelphilipp“ des Familientherapeuten und systemischen Pädagogen Reinhard Voss, das uns gleichzeitig darin bestärkte, die Eltern zu ermutigen, vom schnellen Griff zur Pille abzulassen. Leider ist das Pillenbeinschmeißen viel bequemer, wenn auch oft schädlich, als die direkte Arbeit am Problem.

Der Einsatz der erwähnten technischen Hilfsmittel kann – wenn die Einsatzbedingungen stimmen und die Sorgfalt garantiert ist – im Einzelfall gewiss helfen. In Schulklassen ist das eher illusorisch, zumindest unter den herrschenden materiellen und personellen Vorausetzungen von heute. Außerdem: Technikgläubigkeit und Tablettengläubigkeit haben etwas Verwandtes. Der Mensch und sein Engagement sind aber unverzichtbar.
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DocTiger
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von DocTiger »

Diese "ideologische" und unsachliche Verteufelung von Pharmakologie und Technologie ist auch wenig hilfreich. Gerade als "Anschubförderung" ist Ritalin hilfreich, und wenn man jemanden vor schlimmeren Konsequenzen bewahren kann, sollte man nicht zweimal nachdenken. Ich kenn das von Katzen. Es ist meistens unmöglich, denen eine tief sitzende Angst zu nehmen. Da hilft dann auch noch so viel Geduld nicht mehr. Das einzige was dann hilft ist, die Katze mit Medikamenten auf ein Niveau zu bringen, wo sie nicht beim kleinsten Anlass explodiert, zum Beispiel mit Antidepressiva oder Beruhigungsmittel. Auch da kommt dann die rein ideologische Meinung der Besitzer "Ich geb meiner Katze doch keine Beruhigungspille!" und sie leben lieber weiter mit einer hoch aggressiven Katze die nicht selten Mordgelüste gegenüber gewissen Personen im Haushalt hegt... Stattdessen verkürzt man mit Antidepressiva bei Hund und Katze die notwendige Verhaltenstherapie des Patienten enorm, was im Lebenszeitraum dieser Tiere aufgrund der Lebensqualität durchaus einen Unterschied macht.

Das mit der Technologie kann ich nicht verstehen, aber das liegt wahrscheinlich daran dass Du die Technik nicht verstanden hast. Ich will es nicht einmal "nichtinvasives Verfahren" nennen, weil es noch zu medizinisch klingt. Es handelt sich wirklich nur um ein Computerspiel mit einem speziellen Eingabegerät, vergleichbar mit Nintendo Wii oder Microsoft Kinect, nur eben für Gehirnwellen und man trägt es wie Kopfhöhrer. In über dreißig Jahren hat es durch Neurofeedback keine Nebenwirkungen gegeben. Dafür ist das ganze schneller und unter Umständen leichter gegenüber Heranwachsenden zu verkaufen als jeden Tag eine Stunde Achtsamkeitsmeditation.

Ich denke mal Deine Ansätze sind positiv und nicht unerfolgreich, aber für mich klingt das so, als wärest Du extrem schlecht darin, deine Ideen zu verkaufen. Wenn Eltern überzeugt sind, sie müssen ihr Kind auf Ritalin setzen, ist das ihr Ding. Kein Lehrer hat eine ausreichende medizinische Ausbildung, um denen da ins Gewissen reden zu können. Letztlich zählt was die Eltern und das Kind wollen, unter Zuhilfenahme von Psychologen die davon etwas verstehen. Manchmal bildet sich ja geradezu ein "Feindbild" in Psychologen, was in Verschwörungsfantasien über Pharmabranche und Ärzten/Psychologen endet. Das hilft auch niemandem...

Besser ist, du schaust dir die wissenschaftlichen Studien (und einige Youtubevorträge) zum Thema "Mindfulness Meditation" an. Es gibt auch Studien zum Thema transzendentale Meditation. Mit denen muss man vorsichtig sein, weil sie stammen fast immer von der "Maharishi University" und haben zum Ziel ihre Meditation bei der man nur ein Mantra summt, aber bis zu 2000€ für diese Anweisung latzt, gegenüber anderen Meditationen zu erheben. Betrug konnte man ihnen nie so recht beweisen, aber ernst nimmt sie trotzdem fast niemand.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von Horkas »

DocTiger hat geschrieben:Diese "ideologische" und unsachliche Verteufelung von Pharmakologie und Technologie ist auch wenig hilfreich. Gerade als "Anschubförderung" ist Ritalin hilfreich, und wenn man jemanden vor schlimmeren Konsequenzen bewahren kann, sollte man nicht zweimal nachdenken.
Mit "ideologisch" hat das wenig zu tun, wenn der kritische Geist einen ganz normalen Bürger zu Zweifeln anregt angesichts des beinahe exponentiellen Wachstums der Ritalinverabreichung. Mir scheinen da verschiedene Faktoren eine Rolle zu spielen: das Geschäftsinteresse der Pharmaindustrie und die Bequemlichkeit (von wem auch immer), das Problem mit dem Medikament zu unterdrücken, statt sich mit den Wurzeln des Übels zu beschäftigen. Katzen kenne ich übrigens gut. Keine ist wie die andere! Und ich habe gelernt, dass sie mit Geduld (des K.-Freundes) manches lernen. Haben wir da schon wieder ein Kommunikationsproblem? Und wenn ja: Wer hat das Problem?

Was du Technikfeindlichkeit nennst, beruht auf einem weiteren Missverständnis. Ich bin überhaupt nicht technikfeindlich. Das Problem ist die Ausstattung der Schulen mit Geld und Personal. Es mangelt an allen Ecken und Enden. Das kann dir jeder Lehrer bestätigen. Deshalb sage ich: Der Mensch ist in diesen Zusammenhängen unersetzlich, wenn auch nicht immer kenntnisreich genug. Und das liegt nicht nur am fehlenden Geld für die Fortbildung, sondern manchmal gar an einem Mangel an Bereitschaft zur Eigeninitiative und fehlender Phantasie, von der bekanntlich schon Albert Einstein sagte, sie sei wichtiger als Wissen.

Im übrigen danke ich dir für die konstruktiven Hinweise. Ich gehe ihnen nach.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von DocTiger »

Das mit den Geschäftsinteressen ist meiner Meinung nach zu wenig nachgedacht. Es ist einfach, den "exponentiellen Wachstum" eines Medikamentes diesem Geschäftsinteresse in die Schuhe zu schieben. Viele Ärzte, und auch Forscher, fühlen sich zu Recht beleidigt, wenn sie mit viel Herzblut an einer Lösung für ein großes Problem arbeiten und ihnen letztlich Raffgier, Manipulation und Betrug vorgeworfen werden.

Die "exponentielle Wachstumskurve" ist übrigens ein Zeichen vorsichtigen Verschreibens. Sonst haben wir es nämlich wie bei den alljährlichen Grippeimpfungen, nämlich von einem Monat auf den anderen auf die höchste Absatzmenge, dann ein paar Monate später praktisch komplett auf 0. Ich bin nicht unbedingt für Ritalin, aber diese Entscheidung sollte den Psychologen vorbehalten bleiben, und auf keinen Fall dürfen Lehrer beteiligt werden. Das klingt vielleicht etwas rauh, aber die Lehrer haben keine Fachkompetenz dafür. Das einzige was sie beisteuern sollten ist "wie kurz vor zwölf" die Situation ist.

Bei den Katzen habe ich nicht von individuellen Macken geredet sondern von extrem Angst- und Aggressionspatienten, deren Verhaltensprobleme eben doch Schwierigkeiten bei der Haltung machen. Das klingt harmlos, aber wenn die Katze jede Woche irgendwo auf Stoff uriniert, bestimmte Besucher attackiert oder sich auf bestimmte Reize in die letzte Ecke verkriecht, dann ist das ein Problem für alle beteiligten, nicht zuletzt für die Katze. Das ist aber auch selten, und die Besitzer verharmlosen das unter "ist halt ne Katze...". Selbst versuchter Totschlag gegen Tierärzte halte ich nichtmal für ein Verhaltensproblem sondern das liegt meistens am Stress der Situation. Wenn das aber gegenüber Gästen auf dem Sofa passiert....
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von Horkas »

DocTiger hat geschrieben:Bei den Katzen habe ich nicht von individuellen Macken geredet sondern von extrem Angst- und Aggressionspatienten, deren Verhaltensprobleme eben doch Schwierigkeiten bei der Haltung machen. Das klingt harmlos, aber wenn die Katze jede Woche irgendwo auf Stoff uriniert, bestimmte Besucher attackiert oder sich auf bestimmte Reize in die letzte Ecke verkriecht, dann ist das ein Problem für alle beteiligten, nicht zuletzt für die Katze. Das ist aber auch selten, und die Besitzer verharmlosen das unter "ist halt ne Katze...". Selbst versuchter Totschlag gegen Tierärzte halte ich nichtmal für ein Verhaltensproblem sondern das liegt meistens am Stress der Situation. Wenn das aber gegenüber Gästen auf dem Sofa passiert....
Schon verstanden! Nur das mit dem „versuchten Totschlag gegen Tierärzte“ kapier ich nicht. Allerdings fallen mir dazu Orte wie Meissen oder Ahrensburg ein, Synonyme für zwei bedauernswerte Kolleginnen, die in den zurückliegenden Jahren von eigenen Schülern erstochen worden sind. Aus Hass wegen vorausgegangener Benachteiligungen bzw. Kränkungen. Wenn Situationen emotional eskalieren, können schlimme Sachen passieren. Auch in der Tierarztpraxis?

Grundsätzlich frage ich mich: Warum ist es möglich, dass der Mensch Haustiere bei und um sich halten kann? Die Hirn- und die Verhaltensforschung belegten ja, dass das Säugerhirn eine weitgehende Vergleichbarkeit in den älteren Hirnregionen zeigt, dass also Areale wie Hippocampus, Amygdala, Nucleus Accumbens usw. neurobiologisch ähnlich arbeiten bei Mensch und Säugetier, also eine vergleichbare stoffliche Basis haben.

Wir können ja bei unseren Katzen beispielsweise beobachten, welche Gefühle sie lenken: Freude, Angst, Zuneigung, Ablehnung, Futterneid oder Eifersucht. Die ganze Skala eben vom freudig erhobenen Schwanz bis zum verängstigten Verkriechen. Und so, wie es im menschlichen Verhalten Störungen gibt, werden sie ja auch bei Tieren beobachtet. Wer kennt nicht die Arbeit des amerikanischen Pferdeflüsterers Monty Roberts, der mit seinem Sachverstand auch hierzulande den Pferdefreunden zeigt, wie sie mit ihren Tieren gut zusammenarbeiten können. Die Tierverhaltenstherapeuten tun m.W. nichts anderes.

Ich will keine unangemessenen Vergleiche anstellen und dennoch auf Parallelen im zwischenmenschlichen Bereich hinweisen. Der Lehrer braucht im Umgang mit seiner Klasse vor allem Empathie, und diese muss stark genug sein, auch die Schwierigen, Aufsässigen oder wie auch immer als gestört Wirkenden unter den Schülern zu erreichen. Das aber ist leichter gesagt als getan. Es braucht auch wie beim Pferdeliebhaber ein gerüttelt Maß an Sachverstand im Blick auf das Verhalten. Da kommt dann das Team der Lehrer(innen) ins Spiel. In offener Kooperation können die Kenntnisse und Fähigkeiten zusammenwirken und ein „prima Klima“ des Zusammenarbeitens in der Klasse entsteht, aus dem niemand ausgeschlossen wird. Da wird dann Aufklärung und Überwindung von Ursachen möglich, werden symptomatische Behandlungen (auch mit Medikamenten) wenn nicht überflüssig, so doch zumindest reduzierbar. So jedenfalls haben wir das immer wieder erlebt. Da passieren dann immer wieder überraschend positive Effekte ...

Ein stark klimaförderndes Moment ist die wachsende Erfolgszuversicht in einer Klasse, ein emotional überaus positives Moment der guten Entwicklung. Diese wiederum kann durch die Vermittlung guter und effizienter Lernmethoden wie die Mnemotechniken rasch gesteigert werden. Daher wäre es gut, wir kämen so weit, dass diese breiten Eingang in die schulische Praxis aller Altersstufen finden.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von Hansolka »

Der Lehrer braucht im Umgang mit seiner Klasse vor allem Empathie, und diese muss stark genug sein, auch die Schwierigen, Aufsässigen oder wie auch immer als gestört Wirkenden unter den Schülern zu erreichen. Das aber ist leichter gesagt als getan.
... und der Lehrer muss diese Empathie auch anstreben. IMHO ist Horkas dabei wohl eher eine Ausnahme als die Regel. Schade, dass nicht alle Kinder solche Lehrer haben dürfen!
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von DocTiger »

Das mit dem versuchten Totschlag bezüglich Katzen will sagen die Katze würde mich umbringen wenn sie könnte ;-) Natürlich kann sie nicht... Aber eine sehr stressige Situation für alle Beteiligten.
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AndreasF
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von AndreasF »

Hansolka hat geschrieben:
Der Lehrer braucht im Umgang mit seiner Klasse vor allem Empathie, und diese muss stark genug sein, auch die Schwierigen, Aufsässigen oder wie auch immer als gestört Wirkenden unter den Schülern zu erreichen. Das aber ist leichter gesagt als getan.
... und der Lehrer muss diese Empathie auch anstreben. IMHO ist Horkas dabei wohl eher eine Ausnahme als die Regel. Schade, dass nicht alle Kinder solche Lehrer haben dürfen!
Die Mehrheit der LehrerInnen sind am Anfang ihrer Laufbahn in der Lage und auch Willens, Ihre Empathie bzw. ihre kompletten pädagogischen Fähigkeiten im Sinne der Kinder voll einzusetzen. Bei Klassenstärken mit mehr als 20 Kindern pro Klasse (und mehreren Klassen pro LehrerIn, die dann auch noch jährlich wechseln) ist es nach Jahren des "Aufreibens" für mich dann kein Wunder, dass LehrerInnen irgendwann resignieren. Man darf auch nicht vergessen, daß LehrerInnen neben dem eigentlichen Unterricht auch eine Menge anderen Krempel machen müssen. Damit meine ich nicht nur die Korrekturen von Klassenarbeiten.

Ich möchte diejenigen Lehrer, die Ihren Job vermeintlich nicht gut machen mit meinem Post ein wenig in Schutz nehmen. Im Grunde versuchen alle, das beste aus dem zu machen, was das Schulsystem zuläßt.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von Horkas »

AndreasF hat geschrieben:Die Mehrheit der LehrerInnen sind am Anfang ihrer Laufbahn in der Lage und auch Willens, Ihre Empathie bzw. ihre kompletten pädagogischen Fähigkeiten im Sinne der Kinder voll einzusetzen. Bei Klassenstärken mit mehr als 20 Kindern pro Klasse (und mehreren Klassen pro LehrerIn, die dann auch noch jährlich wechseln) ist es nach Jahren des "Aufreibens" für mich dann kein Wunder, dass LehrerInnen irgendwann resignieren. Man darf auch nicht vergessen, daß LehrerInnen neben dem eigentlichen Unterricht auch eine Menge anderen Krempel machen müssen. Damit meine ich nicht nur die Korrekturen von Klassenarbeiten.

Ich möchte diejenigen Lehrer, die Ihren Job vermeintlich nicht gut machen mit meinem Post ein wenig in Schutz nehmen. Im Grunde versuchen alle, das beste aus dem zu machen, was das Schulsystem zuläßt.
Ich sage nichts über Kolleginnen und Kollegen, die zur Resignation neigen. Es ist ja nach Feststellungen einer Studie von Professor Joachim Bauer von der Uniklinik Freiburg annähernd ein Drittel. Sie haben mein Verständnis und mein Mitgefühl. Meine Position ist vielmehr: Schulen haben als Organisationseinheit des Bildungswesens eine Menge an Handlungsmöglichkeiten. Manche Pobleme sind gewissermaßen hausgemacht.

1. Beispiel: Eine meiner ersten Maßnahmen, die ich als relativ junger Schulleiter getroffen habe, war, jedem Lehrer die Präferenz für die Wahl seiner Lehraufträge einzuräumen. Die Kollegen haben das selbstverständlich genutzt, sich untereinander zu verständigen, so dass am Ende (vor Beginn der großen Ferien) im Prinzip jeder das und die gewählt hatte, was und wen er am liebsten im neuen Schuljahr unterrichten wollte. Das war ein Schritt mit vielen positiven Nebenwirkungen. Heute ist das an den meisten Schulen im Land - soweit ich weiß - mehr oder weniger Standard. Damals (1971) war das neu.

2. Beispiel: Einige Jahre später gingen wir einen Schritt weiter. Zur Verbesserung der Personalkontinuität beschlossen die Gesamtlehrerkonferenz und die Schulkonferenz, die neuen 5. Klassen jeden Jahres mit Lehrerteams zu unterrichten, die mit dem Ziel starteten, möglichst wenig Lehrerwechsel vorzunehmen und im Idealfall die Klasse gemeinsam bis zum Ende von Klasse 10 zu unterrichten. Diese Teams wurden bereits Wochen vor Schuljahrende gebildet. Diese Maßnahme hat sehr zur Verstärkung der zwischenmenschlichen Beziehungen der Lehrer untereinander, aber auch zwischen Schülern und Lehrern und zu den Eltern beigetragen. Das hat viele Synergieeffekte ausgelöst.

3. Beispiel: 1988 erarbeitete sich das Kollegium ein pädagogisches Zehnpunkteprogramm, das fortan nicht nur der Arbeit mit den neuen fünften Klassen zu Grunde lag, sondern Leitschnur für die ganze Schule wurde.

Natürlich kann man mit solchen Maßnahmen nicht den ganzen Problemen begegnen, aber viele werden zumindest entschärft und neu auftretende trafen bei uns auf einen starken Problemlösungswillen und Ideen für deren Überwindung. Fast schon müßig zu erwähnen, dass wir auch großen Wert auf intensive Fortbildung gelegt haben und darauf, dass gute neue Ideen tatkräftig unterstützt werden. Das vielerorts allgegenwärtige Killerargument "Das geht nicht, weil ..." war verpönt.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von DocTiger »

Woher weiß man eigentlich, dass Lehrerwechsel schädlich sind? Ich habe schon oft von komplett unfähigen Lehrern gehört. Also nicht nur welche wo Eltern sich über die Noten beschweren und es den Lehrern zur Last legen, sondern auch dass mehr oder weniger wirklich nichts geleistet wird. Zusätzlich werden einzelne Lehrer ja verschiedene Stärken haben, verschiedene Tagesformen und sich allgemein in der Effektivität unterscheiden. Macht es da nicht Sinn, die Lehrer durchzutauschen bevor man beispielsweise eine ganze Klasse zu unterdurchschnittlicher Leistung in Mathematik verdonnert?

Die variable Lehrerform ist auch ein Vorteil der Khan Academy, wo ein überdurchschnittlicher Lehrer eine überdurchschnittliche Erklärung für jedes Thema auf Video aufnimmt. Zu hause sehen die Schüler das Video an, und in der Schule werden die Hausaufgaben gemacht, also die Aufgaben durchgerechnet. Dabei kann der Lehrer auf der menschlichen Ebene direkt einwirken oder Schüler sich gegenseitig helfen lassen.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von Horkas »

Vielleicht kann AndreasF dazu seine Meinung sagen. Würde mich (vielleicht auch andere Besucher) interessieren.

Es kam auch vor, dass Klassen andere Lehrer verlangt haben. Da muss man das Problem genau anschauen; denn Schematismus funktioniert gar nicht, ist der Tod jeder Reform.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von AndreasF »

Horkas hat geschrieben:Vielleicht kann AndreasF dazu seine Meinung sagen. Würde mich (vielleicht auch andere Besucher) interessieren.

Es kam auch vor, dass Klassen andere Lehrer verlangt haben. Da muss man das Problem genau anschauen; denn Schematismus funktioniert gar nicht, ist der Tod jeder Reform.
Ich bin mir nicht sicher, ob sich DocTiger mit seiner Frage:
DocTiger hat geschrieben:Woher weiß man eigentlich, dass Lehrerwechsel schädlich sind?
nicht eher auf deinen Punkt:
Horkas hat geschrieben:2. Beispiel: Einige Jahre später gingen wir einen Schritt weiter. Zur Verbesserung der Personalkontinuität beschlossen die Gesamtlehrerkonferenz und die Schulkonferenz, die neuen 5. Klassen jeden Jahres mit Lehrerteams zu unterrichten, die mit dem Ziel starteten, möglichst wenig Lehrerwechsel vorzunehmen und im Idealfall die Klasse gemeinsam bis zum Ende von Klasse 10 zu unterrichten.
bezieht. Mein Argument war: Die ständige "Rotation" ist (schädlicher/demotivierender) Streß für die Lehrerschaft. Ob sie (die Rotation) dem Schüler nützt oder schadet ist eine Frage, die ich in meinem Post nicht gestellt hatte.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von Horkas »

DocTiger hat geschrieben:Woher weiß man eigentlich, dass Lehrerwechsel schädlich sind?
Falls er notwendig sein sollte, wird er nicht schädlich, sondern vermutlich nützlich sein. Doch als wir aus guten Gründen das Prinzip Personalkontinuität einführten, waren (berechtigte) Klagen von Eltern über ständigen Lehrerwechsel (überall im Land) an der Tagesordnung. Außerdem kam es vor, dass viele Lehrer eine Klasse nur einzelne Stunden unterrichteten. Manche Lehrer hatten wegen der vielen Einzelstunden jedes Jahr viele neue Schüler. Schon die jährliche Einstellung auf viele neue Schüler (Personen, Namen, Profile etc.) brachte viele Reibungsverluste und Konflikte. Auch die Schüler, denen der ständige Personalwechsel Probleme bereitete, begrüßten die neuen Regeln. Bei Teambildung werden diese Probleme zumindest abgemildert.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von DocTiger »

Ich frage gerne "dumme" Fragen, weil eine Sache die mich so ein wenig an Pädagogik stört, ist, dass sehr schnell Schlüsse gezogen werden die einerseits offensichtlich scheinen aber hinterher gerne widerlegt werden. Zum Beispiel die Sache mit den verschiedenen Lernstilen, oder die Idee bei Karteikarten einzelne Karten wegzulegen oder zu verschieben. Einerseits wirkt Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung sehr abstrakt und spröde, andererseits will man vermeiden sich selbst zu vereiern, indem man Schlüsse aus Anekdoten ohne "statistische Power" zieht.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von Horkas »

DocTiger hat geschrieben:Ich frage gerne "dumme" Fragen, weil eine Sache die mich so ein wenig an Pädagogik stört, ist, dass sehr schnell Schlüsse gezogen werden die einerseits offensichtlich scheinen aber hinterher gerne widerlegt werden. Einerseits wirkt Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung sehr abstrakt und spröde, andererseits will man vermeiden sich selbst zu vereiern, indem man Schlüsse aus Anekdoten ohne "statistische Power" zieht.
Fragen sind bekanntlich nie "dumm", höchstens manche Antworten.
Du kritisierst sicher zu Recht die Einfachheit von Schlussfolgerungen, wie sie da und dort (nicht nur bei den Pädagogen) passieren. Um eine Situation richtig verstehen zu können, braucht es ja konkreter Phänomene, die sich beobachten und analysieren lassen und die kommen eben auch in "Anekdoten" daher. Dabei finde ich an denen nichts Schlechtes, höchstens am vereinfachten Blick darauf. Wenn du noch einmal zum Beispiel 1 vom Anfang unserer Diskussion (Fall Manuela) zurückgehst, so musst du sicher zugeben, dass in der beobachteten Entwicklung ein (wahrer) Effekt zu erkennen ist. Das Kind hat seine Befreiung von der Versagensangst bei Diktaten erlebt. Selbst wenn das ein singuläres Ereignis sein sollte, hat es seinen Wert und seine Aussagekraft. Bei der "Wirkung" von Lernmethoden ist es schwer zu gültigen Ergebnissen zu kommen. Zum Beispiel was die Arbeit mit Lernkarteien angeht, findest du hier im Board die unterschiedlichsten Erfahrungen. Was dem einen liegt, ist dem nächsten zuwider. Wer methodisch effektiv damit arbeitet, sich also dazu motivieren kann, wird positive Erfahrungen sammeln, wer das Kistchen füllt und in einer Ecke (oder im PC, je nachdem) verstauben lässt, wird es ablehnen. Das ist ganz normal.

Mit "statistischer Power" lässt sich eine Erkenntnis nur unterfüttern, wenn sich der Gegenstand der Beobachtung oder Untersuchung dazu eignet. Vor dem Zählen der Gartenvögel, wie sie immer wieder der NABU veranstaltet, steht die Unterscheidung der Arten. Und das ist ein Lerngegenstand für sich. In der Schule kann man zum Beispiel die Zahl der Sitzenbleiber pro Schuljahr statistisch erfassen, erfährt damit aber rein gar nichts darüber, weshalb und wie es dazu kam. Das Kultusministerium hat sich darum jahrzehntelang nicht gekümmert und damit die Erfassung eines wichtigen Kriteriums für die erfolgreiche oder erfolglose Arbeit einer Schule verpasst. Erst in den letzten Jahren vor meinem Ruhestand interessierte man sich dafür. Genauso verhielt es sich mit den Schülern, die - aus welchem Grund auch immer - ohne Abschluss die Schule verließen. Man interessierte sich für diese Fakten in der dafür zuständigen Verwaltung überhaupt erst, als die Opposition im Landtag darüber Auskunft verlangte. Da gab es plötzlich einmal mitten im Jahr eine Abfrage. Dabei waren die Klagen über das "Sitzenleiberelend" Legion. Seit Jahren!

Manchmal ist etwas statistisch nicht zu belegen, das belegbar wäre. Als 1993 das erste Taschenbuch von Heinz Leymann zum Thema Mobbing in der Arbeitswelt für Furore gesorgt hatte, erhielt ich (also mein alter ego) die Anfrage, ob ich mich mit diesem Thema mit Blick auf die Schule (Mobbing gegen Lehrer) beschäftigen könnte. Ich konnte und was ich zu Tage förderte, waren teils wahre Horrorgeschichten, von denen ich 33 als Beispielfälle im Buch "Mobbing in der Schule" darstellte. Anekdoten! Es war sehr schwer, weil man den teils traumatisierten Opfern der jahrelangen Schikanen schlicht nicht glaubte. Oft erlebten sie, dass man ihnen (oder den Personalräten, bei denen sie sich beschwerten) Leymanns Definition entgegenhielt und behauptete: Das ist gar kein Mobbing.

Anders war das mit dem Schülermobbing. Der SMOB-Fragebogen, den ich in Zusammenarbeit mit Heinz Leymann auf der Basis von dessen Erwachsenenfragebogen für den Einsatz in den Schulklassen entwickelte und selbst in zwei Studien in seiner Wirksamkeit erfolgreich testete (bereits im "wohlverdienten" Ruhestand), ergab, dass nur jede zehnte Klasse keinen Mobbingfall hatte und dass im Schnitt jeder sechste Schüler (Jungen wie Mädchen) die im Fragebogen erfassten feindseligen Handlungen mindestens einmal pro Woche und seit mindestens einem halben Jahr erlebte. Die Zahlen wurden inzwischen durch zahlreiche weitere Untersuchungen bestätigt. Da wirkte die "Statistik-Power".

Leider verschwinden aber mit der Erfassung der Daten die Pänomene nicht. Man kann aber die Fakten erfassen und darauf mit seinen pädagogischen Konzepten aufbauen. Zwei Möglichkeiten sind einmal das aus England stammende "No Blame Approach" (http://www.no-blame-approach.de), von Heike Blum und Detlef Becker verbreitet und Irene Heinzelmanns Freiburger Anti-Mobbing-Konzept (http://www.lessing-realschule-freiburg.de unter "Klassenklima"). Dabei werden die Schüler wiederholt befragt und man misst den von mir entwickelten Klassenindikator (zur Frequenz der Feindseligkeiten, dort Klassenklimawert genannt). Bei dieser Arbeit können die Schüler in der Klasse selbst täglich an der Verbesserung ihrer Zusammenarbeit feilen und bei der nächsten Befragung ihren Fortschritt messen. Ein deutlicher Effekt, der sich wiederum statistisch belegen lässt!
Zuletzt geändert von Horkas am Sa 11. Feb 2012, 15:19, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von DocTiger »

Ich kenne auch so eine Story wo ein Schüler einen Lehrer so lange ärgerte bis er zubiss. Ja, der Lehrer!

Das scheint mir auch so ein Problem zu sein in der Schule. Die jungen Lehrer werden mehr oder weniger ins kalte Wasser geworfen, weil sie vielleicht eine handvoll Klassen für kurze Zeit in der Ausbildung gesehen haben, aber eine von 10 oder 20 Klassen in den ersten Jahren hat warum auch immer was drauf was die ganzen Schüler vorher nicht drauf hatten. Und zumindest die Junglehrer mit denen ich bislang mal geredet hatte die haben nicht so wirklich in der Ausbildung Tips bekommen wie man damit umgehen kann. Es ist ja auch schwierig, denn man kann nicht von jedem Lehrer das menschliche Talent verlangen, eine Klasse mit Potential zur seelischen und körperlichen Grausamkeit in Musterschüler zu verwandeln.

Es klingt auch so ein bisschen nach Game Theory. Der Zustand "Alle folgen den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln" ist ein Nash-Gleichgewicht, in dem Sinne, dass wenn einer abweicht hat er Nachteile zu befürchten. Jetzt bricht aber einer mal aus (gerade jüngere Menschen handeln oft impulsiv), und merkt, dass der Lehrer aus Nachsicht, Angst, Faulheit oder was auch immer, keinen ausreichenden Nachteil aus der Tasche ziehen kann, jetzt ist das neue rationale Gleichgewicht "keiner folgt den Regeln" und die ganze Situation wird unbeherrschbar. In der Situation wo alle den Regeln folgen, braucht man keine taktische Berechnung oder Strategie. Da kann der Lehrer machen mehr oder weniger was er will, er kann nett sein zu den Schülern oder auch nicht. Aber wenn einer ausbricht, was dann? Ich denke nicht, dass drastische oder drakonische Maßnahmen helfen, aber es bringt dann auch nicht viel, die "darunterliegende" Ursache zu behandeln, weil das zu langsam geht. Ich höre dann so Meinungen wie dass die Lehrer die Versetzung der störenden Schüler nicht gefährden wollen oder dass sie sich bei härteren Maßnahmen selbst einer ganzen Batterie von Problemen und Angriffen von anderen Lehrern, der Schulleitung oder den Eltern gegenüber sehen. Ich denke auch dass der Wegfall körperlicher Züchtigung, obwohl zu begrüßen, eine ausreichend nachteilige Konsequenz war, die es dem Lehrer erleichtert hat. Dafür muss Ersatz gefunden werden.

Als Nicht-Lehrer, und ich weiß ich stell mir das zu einfach vor, denke ich man müsste unter Lehrern mit besonderem Blick auf Erfahrung, sozialer Struktur der Schüler und Schulform Erfahrungen und Strategien austauschen und in eine Art Handbuch oder Seminar packen was den Pädagogikstudenten vor dem Abschluss in die Hand gegeben wird. I
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von Horkas »

DocTiger hat geschrieben:Ich denke auch dass der Wegfall körperlicher Züchtigung, obwohl zu begrüßen, eine ausreichend nachteilige Konsequenz war, die es dem Lehrer erleichtert hat. Dafür muss Ersatz gefunden werden.
Die Schule hat schon gewisse Handlungsmöglichkeiten und Machtmittel bis hin zum zeitweiligen oder endgültigen Schulausschluss. Körperliche oder/und seelische Gewalt ist generell abzulehnen. Die Prügelstrafe wurde übrigens erst 1972 zur Regierungszeit von Willy Brandt verboten und das ist gut so. Aber das ist, um mit Theodor Fontane zu sprechen, ein weites Feld, in dem kaum positive Effekte zu erwarten sind, um die es uns hier doch geht.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von Horkas »

Nachdem nun klar scheint, dass man mit statistischen Methoden manches klären (vielleicht auch fördern) kann, vieles aber auch nicht, will ich versuchen, den Blick noch einmal auf das eigentliche Thema dieses (ich denke, ihr sagt dazu) „Threads“ (warum nicht einfach Abschnitts oder anders, jedenfalls deutsch?) mit dem gewissen Effekt zu lenken. Zur Wahrung einer positiven Grundstimmung will ich meinen Begriff dafür (vorläufig) nicht mehr nennen. Aber ihr wisst ja schon, was ich meine.

Mir fällt zum Beispiel die Berliner Rütli-Schule ein, an der vor Jahren (März 2006) die totale Verzweiflung der Lehrer ausbrach. Angesichts der für sie nicht mehr aushaltbaren Situation beantragten sie bei der Senatsverwaltung die Schließung und Auflösung der Schule. Der Fall hat damals für Wochen die bundesweiten Schlagzeilen beherrscht, war Thema in unzähligen Talk-Shows. Bezirksbürgermeister Buschkowski wurde beinahe zum Medienstar. Und inzwischen? Die Schule erfuhr damals Hilfe unter anderem von Theatermachern, die mit den Schülern Theater spielten und musizierten, kurz für eine Durchbrechung der Konfliktsituation sorgten. Es gab große Veränderungen. Unter anderem nahm umgehend ein neuer Schulleiter mit guten Ideen und entschlossen zum Handeln seine Arbeit auf. Heute ist die ehemalige Problemschule eine Modellschule, die 1. Berliner Gemeinschaftsschule. Ich denke, dass in der schlimmsten Zeit insbesondere das künstlerische Engagement der Theaterleute etwas bewirkt hat, das man rational kaum erklären kann.

Ich erinnere mich an ein Fernsehinterview mit dem bekannten Geiger Yehudi Menuhin (gest. 1999 in Berlin) im zeitlichen Zusammenhang mit einer schockierenden schulischen Gewalttat (ich denke, es war die Ermordung einer Lehrerin an einem Gymnasium in Meissen durch einen Schüler vor den Augen der Mitschüler). Auf die Frage, welche Idee er, der Gründer einer berühmten privaten Schule in London, hätte, die Gewalt in Schulen zu überwinden, erklärte er, er würde mit allen Schülern musizieren und garantiere, dass so die Neigung zur Gewalt in kürzester Zeit schwinden würde. Ich teile seine Auffassung, weil ich die segensreiche Wirkung gemeinsamen Musizierens mit unruhigen Schulklassen selbst oft genug erfahren habe.

Die Einführung mnemotechnischer Methoden des Lernens in der Schule braucht gewisse Bedingungen. Musisches Tun wie Musizieren, Theaterspielen, aber auch Bewegung, also Sport sind förderlich dafür. Warum das so ist? Schwer zu erklären und auf keinen Fall statistisch erfassbar. Dennoch ist da was! Ihr wisst schon …
Zuletzt geändert von Horkas am So 12. Feb 2012, 14:15, insgesamt 1-mal geändert.
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David Loye
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DocTiger
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von DocTiger »

Die Aussage, dass Mnemotechnik eine kreative Beschäftigung braucht wie Theater, Musik oder Kunst, verstehe ich nicht. Ich bin so ziemlich der Unbegabteste Künstler, kann Theater überhaupt nichts abgewinnen und Musizieren sowieso nicht. Trotzdem finde ich Mnemotechnik toll. Ich hab nichtmal den Zusammenhang zwischen dem Beispiel dieser Schule und Memotechnik nachvollziehen können.

Was Du beschreibst klingt immer mehr nach dem Umleiten von Energien.

Die andere Komponente ist, dass wenn man die Methoden auswechselt, verschwinden oft eine Menge Probleme. In der angesprochenen Berliner Schule konnte man wahrscheinlich nichts mehr schlimmer machen, und wenn doch dann hätte man diese Verschlimmerung kaum noch wahrnehmen können, weil 98% Versagen sieht nicht viel anders aus als 99% Versagen. Meine Interpretation ist, dass alleine der neue Schulleiter ein Bruch mit der alten Situation darstellte. Die einfachste Erklärung ist doch nicht, dass die neuen Methoden so toll sind, sondern eher dass es im alten Lehrkörper+Schulleiter Methoden/Tendenzen was auch immer gab die massiv schädlich waren und dank des Austausches dieser negative Effekt schlicht wegfällt.

Das Problem mit so etwas ist, dass man keine Schlüsse ziehen darf welche Methoden funktionieren. Ich muss wissen dass ich nichts weiß, sonst entwickle ich einen Wust aus Aberglauben und riskiere mich festzufahren auf einem Plateau. Es gibt zu viele Erklärungen die man sich aus den Fingern saugen kann, und meistens glaubt man für diese Erklärungen Beweise zu haben. Das ist die elementare Selbsttäuschung des Praktikers ohne die er nicht funktionieren kann, aber wenn solche Lösungen repliziert werden sollen, dann multipliziert sich auch die Selbsttäuschung.
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Re: Der Placeboeffekt im Bildungsprozess

Beitrag von Horkas »

DocTiger hat geschrieben:Die Aussage, dass Mnemotechnik eine kreative Beschäftigung braucht wie Theater, Musik oder Kunst, verstehe ich nicht.
Das habe ich auch nicht behauptet. Ich erinnere an das Thema dieses Unterforums, zu dem ich das Beispiel der Rütli-Schule und das mit Yehudi Menuhin erinnert habe, um zu belegen, dass künstlerisches Tun mit Schulklassen dem Klassenklima förderlich ist und habe aus eigener positiver Erfahrung damit zum Schluss erwähnt, dass die Einführung von Mnemotechniken (um die es uns hier ja generell geht) in Schulklassen günstige Bedingungen braucht. Jugendlichen einer Schulklasse, die Null Bock, Renitenz gar ausleben, sind dafür nicht zu gewinnen. Du magst ja völlig amusisch sein, geschenkt, wenn du willst, kannst du natürlich Mnemotechniken lernen. In der Schule gibt so etwas wie ein solchen Sache gegenüber offenes soziales Klima in der Klasse. Vielleicht braucht man dafür eine Ader, um es zu verstehen. Vera F. Birkenbihl, die kürzlich Verstorbene, hat einmal den Vorschlag gemacht, zwei, die sich partout nicht auf eine Sache verständigen, also einigen können, sollten sich (einem amerikanischen Brauch folgend) "zweinigen", es einfach bei der Feststellung des Unterschieds belassen und sich so nicht gegenseitig den Respekt versagen. Fand ich toll!
DocTiger hat geschrieben:Meine Interpretation ist, dass alleine der neue Schulleiter ein Bruch mit der alten Situation darstellte. Die einfachste Erklärung ist doch nicht, dass die neuen Methoden so toll sind, sondern eher dass es im alten Lehrkörper+Schulleiter Methoden/Tendenzen was auch immer gab die massiv schädlich waren und dank des Austausches dieser negative Effekt schlicht wegfällt.
Ich kann die Quelle nicht herbeizaubern, aber es gab mehrere Fernsehbeiträge über die Geschichten, die ich da erzählte. Sogar der Dirigent der berühmten Berliner Philharmoniker, Simon Rattle, hat sich damals, wenn ich mich richtig erinnere, mit eingeschaltet, um der Schule zu helfen. Die zuvor völlig frustrierten Schüler waren von den Theater- und Konzertmenschen begeistert. Du kannst es mir glauben, kannst natürlich auch eigene Phantasien entwickeln und darauf Interpretationen aufbauen. Meines Wissens sind die Berliner Kulturszenemenschen von sich aus auf die Schule zugekommen. Aber darum geht es ja gar nicht. Tatsache ist, dass ihr Wirken effektiv war.
DocTiger hat geschrieben:Das Problem mit so etwas ist, dass man keine Schlüsse ziehen darf welche Methoden funktionieren. Ich muss wissen dass ich nichts weiß, sonst entwickle ich einen Wust aus Aberglauben und riskiere mich festzufahren auf einem Plateau. Es gibt zu viele Erklärungen die man sich aus den Fingern saugen kann, und meistens glaubt man für diese Erklärungen Beweise zu haben. Das ist die elementare Selbsttäuschung des Praktikers ohne die er nicht funktionieren kann, aber wenn solche Lösungen repliziert werden sollen, dann multipliziert sich auch die Selbsttäuschung.
Du hast es hier nicht mit einem Vollidioten zu tun. Schau vielleicht einmal das folgende Beispiel an: http://www.brainboard.eu/phpbb/viewtopi ... 909#p21909. Mit gutem Einfühlungsvermögen kommst du einem gewissen Verständnis dessen vielleicht näher, was ich meine.
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