Vokabeln mit Gedächtnispalast: Ein Versuch

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Wie kann ich am besten für Prüfungen lernen, wie merke ich mir Namen, wie lerne ich Zahlen oder Formeln etc.

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Dard
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Vokabeln mit Gedächtnispalast: Ein Versuch

Beitrag von Dard »

Ich habe vor kurzem versucht, eine neue Sprache zu lernen. Bisher kann ich Englisch fließend, Latein so, wie man Latein halt nach fünf Jahren Schule so kann (Pizza bestellen geht nicht) und habe mehrere Jahre Japanisch gelernt.
Beim Japanisch bin ich in eine Sackgasse gelandet, weshalb ich das vorerst aufgegeben habe. Im Vokabeltrainer habe ich fast genauso viele Vokabeln vergessen wie ich wiederholen konnte. Wenn ich pro Tag kaum mehr drei neue Vokabeln lernen kann und sogar nach zehnfachem Wiederholen sie schon eine Stunde danach nicht mehr kann, dann ist es nur noch Quälerei. Also dachte ich mir, ich brauche eine ganz neue Methodik.

Nach längerer Abwägung habe ich versucht, mich in der Benutzung eines Gedächtnipalasts zu probieren. Aber ich stehe noch vor ein paar Problemen, auf die ich hier kurz mal eingehen will.

Zum einen scheint mir ein Gedächtnipalast für das Lernen von Vokabeln eher wenig geeignet zu sein. Er ist super, um sich Abläufe wie Geschichten oder Zahlen zu merken, oder für Assoziationen zwischen Gegenständen. Nur brauche ich in der Praxis beides nie. Deshalb hatte ich noch nie Grund, mich in Mnemotechniken zu üben. Aber leider beziehen sich 90 Prozent aller Beispiele auf genau so etwas. Und dennoch: Wenn über die Vorzüge von Gedächtnispalästen geschreiben wird, wird fast immer auch das Erlernen von Sprachen mit aufgeführt. Also muss doch was dran sein.

Meine weitere Recherche war sehr zäh. Kaum jemand scheibt etwas Konkretes zu Gedächtnispalästen zum Vokabellernen. Inzwischen bin ich so weit:
- Man soll sich einen Gedächtnispalast pro Vokal erstellen.
- Am besten soll man Orte benutzen, die man kennt. Die Pfade, die man benutzt sollen beliebig erweiterbar sein und sich nicht kreuzen.
- Vokabeln werden anhand ihrer Aussprache mit etwas assoziiert. Diese Assoziationen (Gegenstände, Bewegungen etc.) werden mit der Bedeutung an einen Ort plaziert.

Eigentlich ergeben sich automatisch ein paar Fragen, auf die in den Quellen komischerweise kaum eingegangen wird.
Zum einen, wird denn wirklich davon ausgegangen, dass man am Ende den gesamten Wortschatz in dem Palast unterbringt? Bevor man auch nur einfache Konversation in einer Sprache halten kann, braucht man tausend bis zweitausend Wörter. Die in etwa zwanzig Palästen unterzubringen scheint schwierig. Dass in den Beispielen für Vorlagen für Palästen Beispiele wie "Deine Wohnung" vorkommen, macht die Sache nicht glaubwürdiger. Mehr noch, weil oft "Orte" mit "Zimmer" gleichgesetzt wird. Eine Wohnung mit zweihundert Zimmern dürfte wohl kaum jemand besitzen oder sich vorstellen können. Ich habe in meiner Wohnung etwa vierzig Orte unterbringen können, bei insgesamt sieben Zimmern. Mal sehen wie ich dann weiter mache.
Dann ist die offensichtliche Frage, wozu man bei so etwas Ungeordnetem wie Vokabeln diese überhaupt mit Orten verbinden soll. Aus den Orten an sich kann man ja kaum zusätzliche Erkenntnisse holen. In einem Buch zu dem Thema hatte der Autor allen ernstes folgende Antwort: Man kann sich die Vokabeln nach dem Aphabet merken. Kein Scherz: Er lernt angeblich eine Sprache nach dem Wörtenbuch von A bis Z! Das hat die Glaubwürdigkeit des Autors doch etwas untergraben. Selbst wenn jemand dazu imstande ist, Ottonormallerner sicher nicht.
Bleibt nur eine weitere Erklärung, die ich irgendwo im Internet aufgeschnappt habe: Reine Wortassoziationen tendieren mit der Zeit, wenn sie zahlreich werden und länger in der Vergangenheit liegen, wie in einer Wolke im Gedächtnis herumzufliegen. Irgendwann mistet sie das Gehirn als unwichtig aus und sie werden genauso vergessen wie die Vokabeln, die man sich merken will. Indem man ihnen einen Fixpunkt an einem Ort gibt, der einem vertraut ist, wird die Assoziation gewissermaßen fixiert. Das Gehirn kann sie nicht mehr vergessen, ohne dass man den Ort gleich mit vergisst, was unwahrscheinlich ist.
Für mich ist diese Erklärung logisch. Sie deckt sich mit meinen Erfahrungen im Japanischlernen, als ich es ein paar mal mit Assoziationen probiert habe. Trotzdem würde ich gerne mal Erfahrungsberichte hören, was ich noch nicht habe.
Dennoch: Sich Begriffe merken zu können bedeutet noch nicht, sie bei Bedarf abrufen zu können. Der Gedächtnipalast kann anscheinend nicht dabei helfen, die Wörter aufzuspüren. Die mir gestellte Frage, wie er dann überhaupt helfen kann, eine Sprache zu lernen, ist sicher berechtigt. Ich bin noch nicht so weit hierauf eine praktische Antwort zu geben. Ich hoffe, dass die bloße Anwesenheit der Information im Palast schon ausreicht. Ich bin gespannt, ob das so ist.

Von den Unsicherheiten mal abgesehen, war ich bereit, mal die Probe auf's Exempel zu machen. Ich habe mir fast zwanzig Paläste bereitgestellt. Gar nicht leicht. Für so einen Buchautor, der viel rumkommt, mag es ja leicht zu sein, sich zwanzig Orte vorzustellen, aber für jemanden wie mich ist das nicht einfach.
Dann ist da die Frage, welche Sprache ich lernen möchte. Von Japanisch würde ich am meisten profitieren, aber um diese Technik auszuprobieren, will ich eine neue Sprache von Anfang an nehmen. Ich muß sie ja nicht zuende lernen. Außerdam hat Japanisch einige Eigenheiten, die die Palastmethode sowohl leichter als auch schwerer werden lassen. Ich nehme also erst mal eine Sprache, die mit unserer verwandt ist, aber nicht zu sehr: Irisch. Ja, ich weiß, sie ist kaum praktisch einsetzbar. Aber es gibt keine Sprache, die ich praktisch einsetzen könnte, die mich interessieren würde. Außerdem kenne ich niemanden, der gerade auch eine Sprache lernt und mit dem ich üben könnte. Ich bin auf mich alleine gestellt.

Ich habe also losgelegt. Und das Ergebnis nach ein paar Tagen war eher ernüchternd.
Um es kurz zu machen: Wenn es ein Minimum von fünf Minuten pro Vokabel dauert, eine Assoziation herzustellen, ist das auf Dauer nicht tragbar. Der Durchschnitt liegt sogar noch höher. Insgesamt brauche ich für 10 Vokabeln etwa eineinhalb Stunden. Und dann sind nur etwa ein Drittel der Assoziationen wirklich brauchbar. Bei etwa einem Viertel beiße ich mir die Zähne aus und gebe nach etwa 10 Minuten auf. So kann das nicht weitergehen!

Wo ist das Problem?
So wie ich es sehe, ist es vielschichtig.
Zum einen ist da die Komplexität des Vorgangs. Für jede Vokabel muss ich mehrere Schritte durchgehen.
1. Finden einer Assoziation, die die Aussprache der Vokabel wiedergibt.
2. Finden einer Assoziation, die die Bedeutung wiedergibt.
3. Integration beider Assoziationen in den Ort im Gedächtnispalast.
4. Nach einer Möglichkeit suchen festzulegen, welche Assoziation die Aussprache und welche die Bedeutung ist.
5. Geschlecht der Vokabel festlegen und in den Ort integrieren.

Mit Punkt 5 habe ich kaum Probleme. Hier mache ich mir zu Nutze, dass ich teilweise synesthetisch bin. Ich assoziiere den Ort mit einer Farbe, die das Geschlecht darstellt. So etwas fällt mir leicht. Schwieriger wird es, wenn noch andere grammtikalische Eigenheiten der Vokabel untergebracht werden müssen. Aber so weit bin ich in der Sprache noch nicht.
Punkt 4 ist für mich beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. Ich hoffe entweder darauf, dass sich das Problem auf längere Zeit nicht stellt oder ich irgendeinen Trick finde. Gerade bei Vokabeln, bei denen ich mir schwer tue, komme ich hier wirklich durcheinander.
Punkt 3 ist relativ einfach. Ich brauche selten länger als eine Minute und von wenigen Ausnahmen abgesehen scheine ich mir die auch recht gut merken zu können.
Wenn man den Büchern und Webseiten über Mnemotechniken glauben will, ist Punkt 2 ein recht einfacher Punkt. Man nimmt das, was man sich merken will und stellt es sich vor. In all den Beispielen, die sie geben, sieht das so einfach aus. Die Realität sieht leider anders aus. Bei Nomen geht es noch. Trotzdem wird es bei Unterscheidungen zwischen Wörtern wie "Feuchtigkeit" und "Nässe" schon schwieriger. Bei Verben wird es noch schwerer. Nicht alle Verben kann man sich leicht in einm Bild oder Ablauf vorstellen. Richtig grausam wird es bei Wörtern wie "hier", "keineswegs", "quasi" und "jedenfalls". Schade: In den Tutorals zu Wortassoziationen kommen solche Beispiel erstaunlich selten vor. Deshalb fällt es mir manchmal schwer zu glauben, dass die Autoren diese Hilfsmittel auch wirklich selber anwenden.
Und dann ist da noch Punkt 1. Ich habe ja den Vorteil, auch Englisch zu können, also muss ich mich nicht auf deutsche Wörter beschränken, wenn ich nach Umscheibungen für Aussprachen von Wörtern suche. Aber es ist immer noch nicht genug. Bei Wörtern mit zwei oder drei Silben geht es ja noch. Da nimmt man mehrere Begriffe mit den selben Anfangssilben und bringt sie in Beziehung. Nur geht bei der bildlichen Umsetzung leider oft die Reihenfolge verloren und sind auch sonst oft nicht ganz eindeutig. Trotzdem, dass ist nicht der schwierigste Punkt. Ich hoffe, dass meine Erinnerung so weit reicht, die Reihenfolge wieder herzustellen.
Nein, richtig problematisch wird es, wenn die Wörter nur aus eine Silbe bestehen oder diese Silben in unserer Sprache schlicht kaum vorkommen. Ich habe hier ein digitales Wörterbuch und durchsuche es nach Zeichenfolgen und werde erschreckend oft überhaupt nicht fündig.
Manche Beispiele, für die ich nichts gefunden habe:
- fuinneog (gespr: fwinn-iog): Fenster
- ceacht (gespr: kacht): Lektion
- anseo (gespr: ahscho): hier
- mian: Wunsch
- amach: außen, raus
Manchmal finde ich ja Wörter, aber ich kann sie nicht verwenden. Beispielsweise "amach". Das "mach" könnte ich als Aufforderung, etwas zu machen verstehen. Aber das ist ein abstraktes Wort. Das bildlich und dennoch eindeutig irgendwo einzubauen fällt mir schwer.
Schwer, aber nicht unmöglich.
Nur halt viel zu langwierig, um eine realistische Option zu sein.

Es ist so: Ich protokolliere alle Vokabeln mit den Orten und Assoziationen mit in einem Excel Sheet. Zum einen um die Gedächtnipalast Informationen aufzufrischen (man vergisst ja weniger, aber hin und wieder geht doch was verloren), zum anderen um die Daten in Anki zu exportieren. Ich bilde mir ein, dass die meisten, die so lernen, das zumindest eine Zeit lang ähnlich machen werden. Ich hatte gehofft, mir Anregungen geben lassen zu können, indem ich mir Assoziationslisten von anderen durchlese um mir Inspirationen geben zu lassen.
Aber bis auf jeweils einem halben Dutzend (meist erschreckend einfachen) Beispielen habe ich nirgendwo im Intenet etwas gefunden. Kann es wirklich sein, dass in der Ära Facebook Assoziationslisten so etwas persönliches ist, dass absolut niemand diese preisgeben würde?

Abschließend:
Es gibt viele Trainer, Autoren und Blogger, die über solche Mnemotechniken im Zusammenhang mit Vokabellernen schreiben und auch ihr Geld damit verdienen. Aber die Tatsache, dass sie alle ein paar zentrale Fragen nicht einmal ansprechen und die gegebenen Beispiel oft so einfach sind, dass sie kaum representativ sein können, lässt mich fragen, ob das nicht viel Geschwafel um wenig ist.
Dass ich im Internet eigentlich keine klaren Erfolgsgeschichten (von den Leuten abgesehen, die damit Geld verdienen und deren Versprechungen damit grundsätzlich in Zweifel zu ziehen sind) oder realistischere Beispiellisten finden kann, macht mich auch nicht optimistischer. Wenn es wirklich eine so erfolgversprechende Sache wäre, würde ich viel mehr erwarten, sei es in Youtube oder in Foren.

Allerdings bin ich noch nicht bereit aufzugeben. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass ich mich momentan einfach zu blöd anstelle. Dass es für die Knackpunkte, die ich sehe, tatsächlich Lösungen gibt. Aber es sieht noch nicht gut aus. Ich hatte gehofft, dass es mit der Übung einfacher wird. Bis jetzt aber noch nicht.

Für Anregungen, Links und insbesondere realistische Erfahrungsberichte (über das Anfängerstadium einer Sprachenerlernung hinaus) wäre ich dankbar.
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Hugin und Munin
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Re: Vokabeln mit Gedächtnispalast: Ein Versuch

Beitrag von Hugin und Munin »

Erst mal danke für deinen schönen langen Beitrag! Finde ich sehr schön, mal wieder etwas in der Richtung hier lesen zu dürfen. Besonders schön ist, dass du wirklich auch selbst experimentierst.

Für Assoziationslisten meine ich mich an einige Internetseiten erinnern zu können, die solche auf Englisch hatten. Kennst du schon Memrise? Ich glaube, da gab es so was. Und vielleicht auch bei Quizlet. Aber ich könnte mich auch irren.

Ich wundere mich auch etwas darüber, dass es zwar richtig gute Wörterbuch-Projekte gibt (dict.cc, zum Beispiel), aber dass diese leider einen mnemotechnischen Bereich entbehren. Aber vielleicht ließe sich ja auch mit den dict.cc-Leuten darüber reden. Ich sehe jedenfalls ein enormes Potential in den Nutzern. Die Zeit eines allwissenden Buchautors, der immer genau den richtigen kleinen Mnemotrick weiß, der wirklich jedem weiterhilft, ist meiner Meinung nach vorbei.

Also, mach bitte weiter! Ich bin gespannt.
Zunge
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Re: Vokabeln mit Gedächtnispalast: Ein Versuch

Beitrag von Zunge »

Den Palast halte ich für Vokabeln ungeeignet.

Ich habe mit Japanischen Vokabeln eigentlich am wenigsten Probleme, da ich fast immer ein Schlüsselwort (Sprachkenntnisse sind bei mir die Gleichen, wie bei dir) finde.

Ich gehe da so vor:

Wort (z.B: "Ringo" -> Apfel) Ich stelle mir vor, wie Ringo Starr einen Apfel isst.
Jetzt gehe ich die Denkemuster in beide Richtungen durch, wie ich von beiden Sprachen aus auf die Lösung komme.
Die am Tag gelernten Wörter abends noch mal aktiv ins Gedächtnis rufen, damit sie in der Nacht verarbeitet werden.

Nicht alle Wörter sind so einfach, aber man wird mit der Zeit kreativ:
"Denwa" -> Telefon: Ich stelle mir vor, wie ich mit meinem Zahn (lat. "dens") eine Nummer hle.
Dard
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Re: Vokabeln mit Gedächtnispalast: Ein Versuch

Beitrag von Dard »

Ich sehe den Hauptgrund, weshalb ich vorerst mit Japanisch aufgehört habe darin, dass die Wörter sich irgendwann zu ähnlich anhören, weil es ja nur eine beschränkte Zahl von Silben gibt. Das ist gleichzeitig der Grund, weshalb ich auch bei Assoziationen von japanischen Vokabeln Schwierigkeiten sehe: Zu wenig Silben kommen zu oft vor. Gerade die ON-Yomi Silben sind grauenhaft. Wie viele Wörter haben Silben wie "on" oder "chuu" drin? Auf der Gegenseite, wie viele deutsche Wörter gibt es? Besonders Wörter, die mit diesen Silben anfangen? Und immer die selben Wörter zu verwenden dürfte irgendwann auch eintönig werden, und das darf eine Assoziation nie werden.
Auf der eher positiven Seite sehe ich ein großes Potential darin, Kanjis zusammen mit ihren gängigsten Aussprachen zu lernen, indem man die Radikale assoziiert. Wenn ich mit meinem gegenwärtigen Experiment durch bin, werde ich das vielleicht mal probieren.
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