Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Alles was Lerntechniken und Lernstrategien betrifft, insbesondere aber nicht ausschließlich gehören hier auch die Anwendungen von Mnemotechnik herein.
Wie kann ich am besten für Prüfungen lernen, wie merke ich mir Namen, wie lerne ich Zahlen oder Formeln etc.

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Ulrich Voigt
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Samuel Wells Williams: Easy lessons in Chinese (1842)
Danke für den Hinweis. Das Zitat von S. 38 bezieht sich auf Zeichen mit identischem Phonetikum, wozu Wieger 858 "Phonetical Series" bietet.
Hier findet sich übrigens das vollständige Buch:http://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=u ... =1up;seq=7 .
Klaus Horsten hat geschrieben:die Internationale Lautschrift (Standard in allen Wörterbüchern, das ist die Lautangabe in eckigen Klammern).
Na ja, in ganz neuen Lexika, die ich leider nicht besitze! Über Google hab ich nur Hinweise gefunden, z.B. soll x (Pinyin) = ß (Internat. Lautschrift) sein.
Klaus Horsten hat geschrieben:Keine Umschrift ist exakt. Einzig und allein ist es die Internationale Lautschrift.
Die internationale Lautschrift ist auch nicht exakt. Ihren Zweck, die Laute zu beschreiben, erfüllt sie approximativ.
Der Zweck einer Umschrift für den allgemeinen Gebrauch ist aber gar nicht die Beschreibung der Laute, sondern ihre Bezeichnung. Leider war das manchen Schöpfern von Lautschriften nicht klar, sie versuchten also zugleich, die Laute möglichst genau zu "treffen", wodurch wahre Scheusale an Lautschriften entstanden.
Als Bezeichnungssysteme der Laute sind die Umschriften allerdings mehr oder weniger intelligent. Wade-Giles schufen eine intelligent aufgebaute Schrift, denn sie berücksichtigten die für das Chinesische äußerst wichtige Beziehung "stimmhaft - stimmlos" und versuchten außerdem, mit einem Minimum an lateinischen Buchstaben auszukommen.
Der Nachteil ihres Systems ist der Nachteil aller Romanisierungen: Es zerlegt die Laute in Buchstaben, also in Konsonanten und Vokale. Den chinesischen Lauten angemessen ist aber eine Silbenschrift, die Zerlegung nämlich in Anlaut, Auslaut und Zwischenlaut. Zum Beispiel ist gang (Pinyin) nicht g + a + n + g, sondern g + ang, wobei ang eine nicht weiter analysierbare Einheit darstellt. Dementsprechend ist das Bopomofo (bzw. 注音) System besser geeignet, das zu bezeichnen, was gemeint ist, also gang (Pinyin) = ㄍㄤ (= Anlaut + Auslaut). Wenn man das weiß, so verschwindet der Unterschied zwischen Bopomofo und Pinyin, denn bei gang (Pinyin) ist ang als Einheit zu verstehen.
Allerdings bleibt dabei die Beziehung "stimmhaft - stimmlos" auf der Strecke. Ich würde also das Bopomofo entsprechend ändern:
Jetzt ist gang (Pinyin) = kang (Wade-Giles) = ㄍㄤ(Bopomofo) / kang (Pinyin) = k`ang (Wade-Giles) = ㄎㄤ (Bopomofo).
Wade-Giles, die sich immer an den stimmlosen Lauten orientierten, hätten ㄎ statt ㄍ und ㄎ`statt ㄎ gesetzt, also kang (Pinyin) = k`ang (Wade-Giles) = ㄎ`ㄤ ("Bopomofo").
Wenn man sich für eine Mnemotechnik der chinesischen Laute interessiert, benötigt man eine optimale Lautschrift. Das bedeutet im Endeffekt, dass man keine der bestehenden Lautschriften ohne Änderung übernehmen kann. Ich habe zu dem Zweck ein halbes Dutzend von Lautschriften analysiert und halte im Ergebnis ein leicht verbessertes Wade-Giles System für das Optimum.
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Klaus Horsten »

Wade-Giles:

nicht-aspiriert - aspiriert (nicht "stimmhaft - stimmlos")
k - k’
p - p’
t - t’
ts - ts’
ch - ch’
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Ulrich Voigt
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Wade-Giles:
k - k’
p - p’
t - t’
ts - ts’
ch - ch’
Wenn man alle damit betroffenen Laute zusammenzählt, so kommt man auf mehr als 50 % der Lautmenge.
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Ulrich Voigt
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Dr Yip Swee Chooi

Ein Wörterbuch auswendig zu lernen ist insofern fragwürdig, als die alphabetische Reihenfolge keine Hilfe gibt für das Verstehen der Sprache und kaum eine Hilfe für das Auswendiglernen. Die Frage ist also, ob man Lexika so ordnen könne, dass das Unternehmen "Dr Yip Swee Chooi" sinnvoll wird.
Für das chinesische Zeichenlexikon hatte ich die Fassung nach Wade-Giles empfohlen, denn sie führt mehr als die Hälfte aller Laute sinnvoll zusammen. Während jetzt (Pinyin) jiu und chiu ziemlich weit auseinander liegen, sind sie bei Wade-Giles (als chiu und ch`iu) Nachbarn.
Zum Beispiel liegen bei Wade-Giles 究 jiū (ernsthaft studieren) und 鼽 qiú (verstopfte Nase) in derselben Lautgruppe chiu / ch´iu. Beide haben den Lautgeber 九 jiǔ (9) gemeinsam.

Es gibt noch eine weitere Möglichkeit. Wir sind es gewohnt, die Wörter von vorn nach hinten (bzw. von links nach rechts) zu buchstabieren. Ein Laut wie mao = m + ao = Anlaut + Auslaut kann aber auch als ao + m = Auslaut + Anlaut verstanden werden. Tatsächlich entsprechen die chinesischen Schriftzeichen eher dieser Idee, nach der sich die Laute nämlich reimen. Da die Entwicklung von (lateinischen) Lautschriften und die Erstellung entsprechender Wörterbücher zunächst eine Sache der Europäer war, erschien es selbstverständlich, die Laute "von vorn" zu lesen. Ich kenne überhaupt kein Wörterbuch, das umgekehrt geordnet wäre, abgesehen von dem, das ich mir selbst einmal hergestellt habe. Der Effekt ist der, dass noch einmal viele Zeichen, die von ihrer Struktur her zusammengehören, näher zusammenrücken.
Zum Beispiel wären dann 吵 chǎo (Pinyin) (laut sein) 杪 miǎo (Zweigspitze) in derselben Auslautgruppe ao zu finden. Beide haben den Lautgeber 少 shǎo (wenig) gemeinsam.
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Ulrich Voigt
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Zum Beispiel wären dann 吵 chǎo (Pinyin) (laut sein) 杪 miǎo (Zweigspitze) in derselben Auslautgruppe ao zu finden. Beide haben den Lautgeber 少 shǎo (wenig) gemeinsam.
Um diesen Vorteil - der nicht ohne Ausnahme greift - zur Geltung zu bringen, empfielt es sich, die Auslaute nicht einfach alphabetisch zu ordnen, sondern strukturell.
Zum Beispiel wären 伯 bà (Hegemon) und 泊 bó (ankern), beide unter dem Anlaut b, Pinyin, und mit Lautgeber 白 bái (weiß), auch bei einer Ordnung nach den Auslauten noch nahe beieinander, wenn man die Auslaute a e i o u als eine Gruppe zusammen lässt und nicht mit Endungen wie ai, an oder ang mischt.
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Klaus Horsten »

Ich würde unterteilen:
1. Tailbare: sh-ao 少, ch-ao 吵, mi-ao 杪
2. Ganze: bai 白, bo 伯 (nicht ba, ist zwar möglich, aber zu selten)
Im zweiten Fall muss man die Aussprache als Ganze nehmen, nicht in Anlaut und Auslaut trennen.
Wenn ich ein unbekannte Zeichen sehe mit 白 als Lautgeber, dann bin ich mit bai/pai, bo/po (also weich/hart, nicht-aspiriert/aspiriert) nahe am Erraten der richtigen Aussprach, oft, nicht immer.
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Ulrich Voigt
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Wade-Giles:

nicht-aspiriert - aspiriert (nicht "stimmhaft - stimmlos")
k - k’
p - p’
t - t’
ts - ts’
ch - ch’
Ist denn der Unterschied zwischen b p (Deutsch) und b p (Pinyin) so groß?
Diese Bezeichnungen darf man ohnehin nicht wörtlich nehmen, denn nicht-aspiriert bekämen wir kein b aus dem Mund heraus und stimmlos wäre kein p hörbar. Es handelt sich doch nur um bequeme und übliche Sprechregelungen.
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Ulrich Voigt
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Ich würde unterteilen:
1. Teilbare: sh-ao 少, ch-ao 吵, mi-ao 杪
2. Ganze: bai 白, bo 伯 (nicht ba, ist zwar möglich, aber zu selten)
Im zweiten Fall muss man die Aussprache als Ganze nehmen, nicht in Anlaut und Auslaut trennen.
Warum sollen bai und bo unteilbare Laute sein?
Das "National Phonetic" (bopomofo) teilt sie in ㄅㄞ = b + ai und ㄅㄛ = b + o. Ebenso hat man es in China doch immer schon gehalten.

Die Frage ist, wie man die teilbaren Laute grundsätzlich teilen soll.
Solange sie noch nicht unter europäischen Einfluss gerieten, teilten die Chinesen die teilbaren Laute immer in zwei Teile, also einen Anlaut und einen Auslaut. Das Bopomofo teilt aber in maximal drei Teile, es kennt also Anlaut, Auslaut und Zwischenlaut. Z.B. zhuang (Pinyin) = ㄓㄨㄤ (= zh + u + ang). Das hat den Vorteil, dass sich die Laute übersichtlicher ordnen lassen. Daher habe ich diesen Ansatz übernommen und lese mein vereinfachtes Wade-Giles entsprechend.
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Klaus Horsten »

Die einfachste Art, eine Aussprache anzugeben, ist zu sagen "Das Zeichen wird genauso ausgesprochen wie das Zeichen für ..., das du schon kennst" (Ganze).

Oder man teilt in Anlaut und Auslaut - oder andere Segmente (Teilbare).

Die Unterteilung bei mir ist aber rein mnemotechnisch gemeint.

Fǎnqiè 反切 heißt die Methode, wie Chinesen die Aussprache beschrieben haben (etwa im Shuowen jiezi):

https://de.wikipedia.org/wiki/Fanqie
https://zh.wikipedia.org/zh/%E5%8F%8D%E5%88%87
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Ulrich Voigt
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Dies ist nur eine Testantwort.
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Fǎnqiè 反切
Hier ein Beispiel für die Verwendung der Fanqie-Methode aus dem großen imperialen Wörterbuch des Kangxi, dem 康熙字典 (frühes 18. Jahrhundert):

= rang (Pinyin).

Kangxi schreibt: 汝羊切 sowie 如陽切 und 音穰.
Die Lautung „rang“ für das Zeichen wird damit folgendermaßen erklärt:
Nach Anlaut und Endung zerteilt () in und oder in und ergibt sich für die Lautung () von .
Es ist nämlich = ru und = yang, sowie = ru und = yang.
Und es ist = rang.
Die Lautung von ist damit mehrfach bestimmt, zweimal durch Fanqie und einmal durch den Vergleich mit .
Es werden hier also zwei von einander unabhängige Methoden zur Bestimmung der Lautung simultan verwendet.

Das sind die beiden chinesischen Methoden, Laute zu beschreiben. Für Nicht-Chinesen sind sie schwerer Tobak, denn sie setzen eine gediegene Kenntnis der chinesischen Schriftzeichen bereits voraus. Aber auch für Chinesen sind diese Methoden nicht wirklich befriedigend, denn sie lassen die Laute abgesehen von ihrer Zerschneidung in Anlaut und Schlusslaut vollkommen ohne Analyse.

In einer Dissertation Berlin 2009 (Nam-See Kim, Grammatologie der Schrift des Fremden. Eine kulturwissenschaftliche Untersuchung westlicher Rezeption chinesischer Schrift) macht sich der koreanische Autor über die Fanqie-Methode lustig, denn er hält sie für eine skurrile Erfindung des italienischen Jesuiten Matteo Ricci (1552–1610), und seine Dissertation dient der Absicht, den europäischen Möchtegern-Experten ganz allgemein und im Detail nachzuweisen, dass sie sich in der für sie nun einmal abgrundtief fremden asiatischen Welt nicht auskennen und mit ihren voreiligen Verallgemeinerungen vor allem Unsinn verbreiteten und verbreiten. Ein hübsches Beispiel dafür, wie leicht man mit Kulturrassismus auf die Nase fallen kann!

Tatsächlich war Matteo Ricci zusammen mit seinem Freund Michele Ruggieri (1543–1607) ganz im Gegenteil der erste, der eine Lautschrift mit lateinischen Buchstaben für das Chinesische entwickelt hat, was aber, wie man am obigen Beispiel sehen kann, in China durchaus nicht als nachahmenswerte Sensation empfunden wurde. Erst das kommunistische China hat in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit „Pinyin“ eine Lautschrift mittels lateinischer Buchstaben in China durchgesetzt.
Andererseits befasste sich Matteo Ricci durchaus mit der Fanqie-Methode (die zu seiner Zeit bereits anderthalb Jahrtausende auf dem Buckel hatte). Er sah hier eine weitere Möglichkeit, chinesische Schriftzeichen durch Bilder darzustellen.

Aber hören ihn dazu selbst: „Es gibt noch eine weitere Methode: man verbindet zwei Bilder zu einer Einheit, indem man die vordere Hälfte zum Anlaut, die hintere Hälfte zum Auslaut macht. Mit dieser Methode der Verbindung des Anlautes der ersten Silbe mit dem Schlußlaut der zweiten erkennt man die Bilder durch Teilung – als wenn es sich etwa um einen menschlichen Kopf und einen Tierleib, oder einen Insektenkopf und einen Vogelleib handelte, bzw. um einen Menschen im Verein mit Vögeln, Vierfüßlern und Insekten.
Hat man einmal eine Pflanze, ein Tier und dergleichen Form besitzende Dinge zerschnitten (), dann fügt man die jeweiligen Körper wieder zusammen: dem Bild des vorderen Abschnitts der ersten Hälfte entspricht der Anlaut, das Bild des hinteren Abschnitts der zweiten Hälfte ist der Auslaut. Nach dieser Methode werden die Schriftzeichen erstellt. Merkt man sich das Bild, dann erinnert man sich der Zerschneidung, erinnert man sich dieser, so erinnert man sich des Schriftzeichens. Je mehr dieses Prinzip am wesentlichen Kern orientiert ist, desto leichter fällt es, sich etwas zu merken.
Nimmt man einen „Menschen“ ( ren) als Kopf, ein „Schaf“ ( yang) als Leib, so wird durch „Zerschneidung“ r/en – y/ang zu rang (), „greifen“.“ Michael Lackner, Das vergessene Gedächtnis. Die jesuitische mnemotechnische Anhandlung XIGUO JIFA. Übersetzung und Kommentar, Stuttgart 1986, 45 f.

Der Vergleich mit der oben aus dem Kangxi entnommenen Zerlegung von rang in 汝羊 sowie 如陽 ist instruktiv.
Erstens verzichtete Ricci darauf, noch ein Vergleichszeichen wie = rang heranzuziehen und blieb ganz einfach beim Fanqie, denn damit ist der zur Diskussion stehende Laut vollständig beschrieben.
Zweitens wählte Ricci für „vorn“ und „hinten“ Schriftzeichen mit anschaulicher Bedeutung. Dies spielte für die Chinesen keine Rolle, wie man an (= obwohl) und (= als ob) ablesen kann.
Matteo Ricci substituierte also anschauliche Bedeutungen der Zeichen für ihre Form und setzte im übrigen die ganze Breite chinesischer Zeichenkenntnis genau so voraus wie es von der Fanqie-Methode nun einmal verlangt wird. Wenn er also schrieb, dass man sich hier = rang (greifen) „merken“ soll, so wendete er sich nicht an den Europäer, der dabei ist, chinesische Schriftzeichen zu lernen, sondern an den Chinesen, der sie schon kennt und nur noch eine Erinnerung an ihre Lautung benötigt, z.B. als Stichwort beim Memorieren eines Textes.

Meines Erachtens scheint aber durch, dass Matteo Ricci sich auf Fanqie nur einließ, weil diese Methode nun einmal dazugehörte, denn er schrieb für chinesische Leser. Ich glaube aber nicht, dass er davon viel gehalten hat, denn erstens ist dieser Abschnitt in seinem Text ganz isoliert und zweitens ist deutlich, dass er sich bei der Konstruktion keine große Mühe gegeben hat, denn es fehlt ja noch die Anbindung an die Bedeutung von = (greifen).

Ich erlaube mir daher, die riccianische Analyse zu verbessern: „Ein Schaf mit Menschenkopf greift sich dies und greift sich das, stielt dies und jenes, nimmt alles mögliche fort und entfernt es, manches schiebt es sich in den Ärmel, wie wir es aber vertreiben wollen oder gar greifen, entblößt es sich, um uns damit abzuweisen und uns selbst zu vertreiben und jedenfalls sehr zu verwirren.“
Das Bedeutungsfeld von ist nämlich laut Rüdenberg-Stange, Chinesisch-Deutsches Wörterbuch: stehlen, entwenden, fortnehmen, entblößen, abweisen, abwenden, vertreiben und laut MDBG: to push up one's sleeves / to reject or resist / to seize / to perturb / to steal.
„Greifen“ ist sehr allgemein und unspezifisch, es gibt viele Schriftzeichen mit dieser Bedeutung. Das gesamte Bedeutungsfeld ist hier aber ein Individuum. Wenn man also das Bedeutungsfeld von auch nur in etwa kennt, so hat man eine gute Chance, sich an das menschköpfige Schaf zu erinnern und kann damit die Lautung rang rekonstruieren.

Riccis Eingebung, mit Bedeutungen zu jonglieren wie mit Schriftzeichen, war allerdings neu und den Chinesen fremd. Sie wurde auch keineswegs etwa aufgenommen, sondern blieb bis zur Wiederentdeckung seiner mnemotechnischen Abhandlung im 20. Jahrhundert vergessen: „Vergessenes Gedächtnis“ ist ein von Michael Lackner mit Bedacht gewählter Buchtitel.
Klaus Horsten
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Klaus Horsten »

Ulrich Voigt hat geschrieben:stimmlos wäre kein p hörbar
Man mache einmal das folgende Experiment:
Ich greife mir an den Kehlkopf, flüstere, unterdrücke die Stimme vollkommen - der Kehlkopf darf nicht vibrieren, der Griff dient zur Überprüfung. Nun gehe ich das deutsche Abc durch, als ob ich ein Schüler wäre, der seinem Sitznachbarn einsagt und zwar so, dass es der Lehrer nicht hört. Aber nur die Laute für sich, also z.B. nicht "be" sondern "b", nicht "de", sondern "d". Welche Laute lassen sich so nicht aussprechen? Das sind jene, die stimmhaft sind, das heißt, man muss Stimme geben, um sie eindeutig hörbar zu machen.

f und w lassen sich zum Beispiel ohne Stimme nicht unterscheiden. f ist stimmlos, w ist stimmhaft. Sobald ich einem f Stimme gebe, wird es zu einem w; sobald ich von einem w die Stimme nehme, wird es zu einem f. Zum Beispiel "Fall" versus "Wall".

https://en.wikipedia.org/wiki/Wade%E2%8 ... and_finals
Die Tabelle zeigt, dass in der Wade-Giles Umschrift: p voiceless und unaspirated ist, p' voiceless und aspirated und so mit den anderen Lauten, die bei ihm mit dem Symbol ' unterschieden werden.
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Ulrich Voigt
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:f und w lassen sich zum Beispiel ohne Stimme nicht unterscheiden. f ist stimmlos, w ist stimmhaft. Sobald ich einem f Stimme gebe, wird es zu einem w; sobald ich von einem w die Stimme nehme, wird es zu einem f. Zum Beispiel "Fall" versus "Wall".
Demnach sind im Deutschen d, g, w, b stimmhaft und t, k, f, p stimmlos. Ich will das gerne einsehen. Ebenso ordnet z.B. http://pascal.kgw.tu-berlin.de/gnom/Leh ... nanten.pdf.
Klaus Horsten hat geschrieben:https://en.wikipedia.org/wiki/Wade%E2%8 ... and_finals
Die Tabelle zeigt, dass in der Wade-Giles Umschrift: p voiceless und unaspirated ist, p' voiceless und aspirated und so mit den anderen Lauten, die bei ihm mit dem Symbol ' unterschieden werden.
Demnach sind im Pinyin d, t, g, k, f, b, p stimmlos. Also wären d, g, w, b zugleich stimmhaft und stimmlos.

Den Anlaut w, den sowohl Wade-Giles wie auch Pinyin führt, finde ich in der Tabelle nicht. Das Zhuyin hat diesen Anlaut nicht.
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Wade-Giles: nicht-aspiriert - aspiriert (nicht "stimmhaft - stimmlos")
k - k’ / p - p’ / t - t’ / ts - ts’ / ch - ch’
Warum findet sich diese Unterscheidung nicht bei den "deutschen" Lauten? Siehe http://pascal.kgw.tu-berlin.de/gnom/Leh ... nanten.pdf.

Die (alten) Griechen hatten δ,τ, ϑ und β, π, φ, ebenso in Transkriptionen d, t, th und b, p, ph. Es sieht also so aus, als hätten die alten Griechen τ und π noch einmal behaucht. Jetzt weiß aber heute keiner mehr, wie sich das dann angehört hat und man denkt sich was aus, was "uns" einleuchtet. Die Linguisten mit ihrem Begriffsapparat wäre damit arg gefordert, denn sie müssten den Anhauch noch einmal anhauchen.

Was ich allerdings zu verstehen meine, ist die Aspiration von vokalischen Lauten. Wir beschreiben sie mit dem Buchstaben H, der nun allerdings weder "Vokal", noch "Konsonant" ist und nur willkürlich diesen zugeordnet wird. Die Griechen haben dafür ein Sonderzeichen, nämlich ‘; das könnte man auch für die chinesische Lautschrift vorschlagen.
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Klaus Horsten »

Diese Quelle sagt das Gleiche:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pinyin#Anlaute
Pinyin:
b [b̥] stimmloses b
p [pʰ] wie im Deutschen, behaucht
...
Die Unterscheidung stimmlos/stimmhaft ist eben strittig/uneindeutig. Deshalb würde ich sie vermeiden. Und mein Geld nur auf das Pferd Aspiration setzen (was Wade-Giles: ' anbetrifft). Da heißt es: "Im Hochdeutschen ist die Aspiration [bei gewissen Lauten] allerdings ein adjungiertes, kein distinktives Merkmal, mit anderen Worten: Sie ist nicht entscheidend, um den Laut von einem anderen zu unterscheiden." Fürs Chinesische gilt: Nicht-Aspiration/Aspiration ist ein distinktives Merkmal bei k - k’ / p - p’ / t - t’ / ts - ts’ / ch - ch’.
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:"Im Hochdeutschen ist die Aspiration [bei gewissen Lauten] allerdings ein adjungiertes, kein distinktives Merkmal, mit anderen Worten: Sie ist nicht entscheidend, um den Laut von einem anderen zu unterscheiden." Fürs Chinesische gilt: Nicht-Aspiration/Aspiration ist ein distinktives Merkmal bei k - k’ / p - p’ / t - t’ / ts - ts’ / ch - ch’.
Man postuliert da ohne Not einen Unterschied zwischen "chinesischen" und "deutschen" Anlauten. Begriffsverrenkungen, die mich nichts angehen!
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Ulrich Voigt hat geschrieben:„Vergessenes Gedächtnis“
In der Hand von Matteo Ricci wird das Fanqie so gesteuert, dass ein einleuchtendes Bild entsteht mit "vorn" und "hinten". Ich habe gezeigt, wie man das handhaben kann, so dass etwas einigermaßen Praktikables herauskommt. Die Grundlage ist "Bildmnemonik", also anschauliche Bilder, die in Szene gesetzt werden. Die chinesischen Schriftzeichen, die für Anlaut und Schlusslaut gebraucht werden, müssen also dementsprechend ausgesucht werden.
Man könnte sich nun fragen, ob vielleicht in der Handhabung des Fanqie seitens der Chinesen eine mnemotechnische Idee versteckt sei. Diese würde sich dann nicht auf "Bilder" beziehen, sondern auf Sätze.
In dem Beispiel "Lautung von = Anlaut von + Endlaut von " oder = "Anlaut von + Endlaut von " käme man etwa zu folgenden beiden "Sätzen":
"Obwohl (汝) das Schaf (羊) greift und stielt (攘)."
"Als ob (如) die Sonne (陽) greift und stielt (攘)."

Aber, wenn man sich eine Reihe von Fanqie Anwendungen im Kangxizidian anschaut, muss man diese Hoffnung wohl aufgeben. Von einem "vergessenen Gedächtnis" hinsichtlich des Fanqie kann man daher vermutlich auf chinesischer Seite nicht sprechen.
Wenn also Matteo Ricci den Chinesen vorschlug, das Fanqie mnemotechnisch zu gestalten, so trat er nicht in Konkurrenz mit einer bereits bestehenden mnemotechnischen Praxis, sondern betrat Neuland. Umso leichter war es für seine chinesischen Leser, über seine Botschaft einfach hinwegzugehen.
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Klaus Horsten »

Die chinesische Aussprache gehört zum Schwierigsten. Man mache ein Experiment: Man suche in irgendeinem Buch der letzten 100 Jahre den Namen Laozi (Richard Wilhelm: Laotse) und der Name des Werks, das ihm zugeschrieben wird, das Daodejing (Richard Wilhelm: Tao te king). Und nun lese man selber Autor und Werknamen vor und bitte dann einen Chinesen, sie auszusprechen. Es wird immer anders sein, aber nicht harmlos anders, sondern so anders, dass ein Chinese einen nicht oder kaum versteht. Der Chinese wird wahrscheinlich höflich sein, und sagen, es stimme. Die Wiedergabe des Chinesischen mit der Muttersprache des Deutschen scheitert immer. Weil wir ein anderes Lautsystem haben.
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Ulrich Voigt »

Klaus Horsten hat geschrieben:Die chinesische Aussprache gehört zum Schwierigsten.
Ich kann das nicht glauben. Vielmehr denke ich, dass es ein paar für uns Deutsche schwierige Laute gibt. Das ist aber in jeder anderen Sprache auch der Fall.
Klaus Horsten hat geschrieben: Man mache ein Experiment: Die Wiedergabe des Chinesischen mit der Muttersprache des Deutschen scheitert immer. Weil wir ein anderes Lautsystem haben.
Das gilt für jede andere Sprache doch auch!

Dass aber konsonantische Laute wie d und t, die im Chinesischen ebenso wie im Deutschen nur immer im Zusammenhang mit vokalischen Lauten und nie als selbständige Laute auftreten, sich in den beiden Sprachen fundamental unterscheiden sollen, so dass man andere Begriffe benötigt, um den Unterschied zwischen ihnen zu beschreiben, ist meines Erachtens wissenschaftlicher Hokuspokus, der niemand hilft.
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Re: Dr Yip Swee Chooi - Wörterbuchmethode - Fragen

Beitrag von Klaus Horsten »

Ulrich Voigt hat geschrieben:Dass aber konsonantische Laute wie d und t, die im Chinesischen ebenso wie im Deutschen ... sich in den beiden Sprachen fundamental unterscheiden sollen, ist ... wissenschaftlicher Hokuspokus
Ja.

Den Unterschied machen die Umschriften:
Pinyin: dao = Wade-Giles: tao - Wieso macht ihn Giles?

Nach dem Unterschied zwischen Pinyin d und t im Chinesischen gefragt, würdest Du sagen, "stimmhaft/stimmlos", ich "nicht-aspiriert/aspiriert". Oder ich habe Dich falsch verstanden. Und nach der Bedeutung bei Wade-Giles von ' gefragt, würde ich sagen, es bedeutet "aspiriert". Das ist alles.
Ulrich Voigt hat geschrieben:Für die mnemotechnische Behandlung ist aber die Wahl der Lautschrift überhaupt nicht nebensächlich ... Für meine eigenen Zwecke folge ich also Wade-Giles, das sich unter dem Gesichtspunkt der Mnemotechnik noch etwas verbessern lässt.
Vielleicht ist deshalb eine Klärung der Unterschiede nicht unerheblich.
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