Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Alles was Lerntechniken und Lernstrategien betrifft, insbesondere aber nicht ausschließlich gehören hier auch die Anwendungen von Mnemotechnik herein.
Wie kann ich am besten für Prüfungen lernen, wie merke ich mir Namen, wie lerne ich Zahlen oder Formeln etc.

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Wodan
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Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Wodan »

Hallo!

Ich bin jetzt kurz davor, mir einen fiktiven Gedächtnispalast zu bauen. Jetzt habe ich in letzter Zeit oft darüber nachgedacht und dabei hat sich eine Frage immer mehr aufgedrängt: Ist ein Gedächtnispalast wirklich praktikabel?

Ich denke hier vor allem an die Kurve des Vergessens. Man muss ja ständig wiederholen, um den Palast mit den ganzen Informationen zu behalten.
Wenn der Palast aber eine bestimmte Größe erreicht hat, wird es wohl zu Problemen kommen, auch wenn man den Stoff und die Routen im Palast regelmäßig wiederholt. Hört man auf, die Routen für ein paar Wochen/Monate zu wiederholen, muss man von vorne anfangen. Ich glaube, dass das früher oder später jeder Person mit Gedächtnispalast einmal passiert.

Hat irgendjemand praktische Erfahrungen damit? Zahlt es sich überhaupt aus, einen Gedächtnispalast anzulegen oder ist das Aufwand/Nutzen-Verhältnis einfach zu schlecht?

Danke.
MUNDUS VULT DECIPI
Frederica
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Re: Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Frederica »

Ehrlich gesagt, habe ich den Vorteil eines Gedächtnispalastes noch nicht so richtig verstanden. Die Route ist ja eigentlich dazu da, dass man Inhalte an bekannten Informationen, die man nicht vergisst, aufhängen kann, eben dem bekannten Weg, der einem immer wieder einfällt.
Beim Gedächtnispalast habe ich nun zwei Risiken: Die zu merkende Info und den unterstützenden Routenpunkt zu vergessen!

Daher wäre ich dafür erst mal in seiner bekannten Umgebung ca. 300 Routenpunkte - die ja angeblich erst mal ausreichen sollen - zu suchen.

Normalerweise wird man ohne Schwierigkeiten in seiner bekannten Umgebung ausreichend Routenpunkte finden, wenn man alles dazu nimmt, was man kennt: Eigene Wohnung, Elternhaus, Wohnung des besten Freundes/ der besten Freunde, Stammkneipe, Fitness-Studio, Verein, Supermarkt, bekannte Straße, die man jeden Tag geht, Büro, Weg zur Arbeit, Weg zum Bäcker/ -Supermarkt etc., ggf. frühere Wohnung oder WG, Wege in einem anderen Ort, in dem man früher gewohnt hat, Wege durch Geschäfte, die man öfter besucht usw.
Das sollte reichen.

Ich habe mir ein paar Ikea-Zimmer genommen (also in dem Möbelladen).
Man darf dort soger fotografieren (ich hatte mal Aufnahmen von der Familie dort gemacht aus Spaß und bei der Gelegenheit gefragt - mit dicker DSLR ist es von Mitarbeiterseite aus kein Problem, Fotos zu machen, also kann man sich zur Sicherheit auch ein paar Zimmer aufnehmen, die man memorieren möchte).
Da die Ausstellung jedes Jahr wechselt, und man in der Möbelausstellung einmal rundum gehen kann, kann man von Zimmer zu Zimmer dort problemlos einen "Gedächtnispalast", eine längere, zusammenhängende Strecke mit Zimmern bauen.
Das sollte erst mal reichen und notfalls hätte man dann die Zimmer von den Folgefjahren, also eigentlich eine unerschöpfliche Quelle.
Das geht bei anderen Möbelhäusern auch, bei Ikea aber mMn am besten, da es einen vorgegebenen Weg und einzelne Zimmer an der Strecke gibt, die alle anders aussehen und sich oft auch farblich (Wände, Grundfarbe) unterscheiden, so dass man sie leicht benennen kann ("gelbe Wohnung, weißes Wohnzimmer, grüne Küche" usw.).
Dann sind da oft noch Dekostücke drin, so dass man auch nicht immer die gleichen Routenpunkte hat, nicht "Couch, Tisch, Sessel", sondern "Couch mit Teddybär, Tisch mit Vase und Rosenstrauß, Sessel mit großem, geblümten Kissen", so dass man sich leichter daran erinnern kann und auch nicht am Ende 15 "Sessel" hat, sondern wirklich verschiedene, unterschiedlicher Farben mit unterschiedlicher Deko.

Zur Übung könnte man auch erst mal Zimmer aus dem Katalog nehmen, die man erst mal immer wieder nachschauen kann, und daraus einen halb-fiktiven Gedächtnispalast bauen. In dem ist auf jeden Fall etwas, das man öfter nachschauen konnte und an das man sich dann evtl. besser erinnert.
Mir ging es mit Routen in Arztpraxen schon so, dass ich beim Üben zu einem Punkt gar kein Bild gesehen habe. Da hatte ich dann "weiße Heizung, rote Heizung" und die rote konnte ich gar nicht mehr visualisieren.

LG
Frederica
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Wodan
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Re: Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Wodan »

Ich hab eigentlich eh 600 Routenpunkte. Die nehme ich immer zum Lernen für Prüfungen, etc. Da ich diese aber regelmäßig neu belege, eignen sie sich nicht so gut, um mir Infos langfristig zu merken.
Dafür wollte ich mir eben einen Gedächtnispalast anlegen.

Ich bin mir aber eben nicht sicher, ob sich der Aufwand lohnt.
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Zarathustra
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Re: Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Zarathustra »

Interessante Frage die mich ebenfalls beschäftigt. Es wäre schön wenn jemand der einen Gedächtnispalast besitzt einmal berichten könnte wie oft er wiederholen muss, was alles abgespeichert wurde und welchen Umfang der Palast besitzt. Die Einschätzung was für einen Mehrwert ein Palast darstellt wäre auch schön zu wissen.

Lieben Gruß! :)
Captain Basil
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Re: Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Captain Basil »

Die Vorstellung wäre also, dass man alles, was man langfristig abspeichern möchte, ständig wiederholen muss, um es zu behalten. Das erscheint mir merkwürdig. Wie viele Fakten hat man denn so im Gedächtnis? Das müssen bei normalen Menschen doch etliche Tausend sein? Und die soll man ständig entlang wandern?
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Boris
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Re: Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Boris »

Hi,

die Frage ist doch dann eher, was ist "ständig"?

Ich würde dem klar zustimmen, dass gewisse Wiederholungen notwendig sind. Aber wenn die ersten Wiederholungen zeitnah erfolgten, ist das danach ja in größer-werdenden Abständen möglich.

In meinen Vorträgen empfehle ich immer als stark vereinfachten Ansatz zunächst fünf Wiederholungen zu probieren: 1 Stunde, 1 Tag, 1 Woche, 1 Monat und 1/2 Jahr. Dann sollte man es auch in einem Jahr noch wissen. Danach jedes halbe Jahr eine Wiederholung, dauerhaft - wobei jeder Abruf, wenn ich Informationen erinnere um Sie zu benutzen, ja auch eine Wiederholung ist. Dieser Rhytmus hängt natürlich im Inhalt ab. Wenn ich sehr komplexe Dinge lerne, muss es evtl. etwas öfter sein. Das Tool "Anki" (kostenfrei) kann hier eine gute Richtschnur liefern, da man mit der Einschätzung wie stark eine Erinnerung war die Zeit bis zur nächsten Wiederholung beeinflust.

Bei Bildern auf Routen setzt dies natürlich zunächst eine gute Kenntnis der Route voraus. Das ist bei einem fiktiven Gedächtnispalast dann auch nicht anders. Wenn ich einen solchen "baue", würde ich also in den ersten Tagen diesen "überlernen", also täglich mehfach wiederholen - und erst danach belegen. Ich persönlich mag aber "reale Routen" immer noch lieber.

Was ich nicht ganz nachvollziehen kann ist etwa dein Kommentar Wodan, dass du mit den Routen nichts langfristig lernen kannst.
Ich habe viele Routen, auf denen ich langfristig Inhalte abgelegt habe und über Jahre weiß. Und zwar mehrere Sets. Und zusätzlich setze ich diese trotzdem noch beim Gedächtnissport ein. Das geht!
Intereferenz ist vor allem beim Lernen ein Problem. Entscheide ich eine Route mit etwas langfristigem zu belegen, muss ich die ersten Wiederholungen (z.B. bis zu einem Monat) machen, bis ich den Weg ohne Interferenz neu belegen kann. Also zwei Listen parallel oder innerhalb weniger Tage auf der gleichen Route lernen geht nicht. Langfristig aber schon.

(Das lässt sich auch neuropsychologisch erklären: Nach einiger Zeit, das können ein paar Wochen und einige Wiederholungen sein, ist der Abruf der Inhalte nicht mehr hippocampus abhängig, erfolgt etwas vereinfacht gesagt also direkt aus dem Langzeitgedächtnis. Ab da, kann eine neue Liste mit den gleichen Wegpunkten verbunden werden, was wiederum der Hippocampus moderiert. Vorher nicht.)
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Re: Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Captain Basil »

Hi Boris, was meinst du denn mit mehreren "Sets"? Dass du z.B. fünf Listen hast, die du entlang der gleichen Route abgelegt hast? Ich als Anfänger verstehe nicht ganz, wie das technisch gehen soll, denn ich gehe entlang meiner Route sagen wir vom Kleiderschrank zum Sicherungskasten und eigentlich soll es doch dann so sein, dass ich da das nächste Ding "sehe", das ich mir gemerkt habe?
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Re: Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Boris »

Hi,

ja, unterschiedliche Inhalte.

Wenn ich eine Route vom Kleiderschrank zum Sicherheitskasten nehe, lege ich da meine Bilder drauf. Die muss ich dann einige Male wiederholen damit ich sie auch langfristig sicher weiß.
Nach einigen Wochen und ein paar Wiederholungen kann ich die Bilder problemlos an den Wegpunkten ablesen ohne großen Aufwand.

Wenn ich jetzt etwas anderes lernen will, lege ich das erste Bild auch wieder in den Kleiderschrank. Dass da ja jetzt schon ein Bild ist, stört nicht. Ich konzentriere mich einfach auf das neue. Danach kann ich beide Listen problemlos getrennt voneinander durchgehen. Wenn ich die alte Liste haben will, denke ich da an das erste Bild und mir fallen auf den nächsten Wegpunkte die folgende Elemente ein. Denke ich an die neue Liste, kann ich aber auf die gänzlich anderen Bilder zugreifen, ohne dass die alte Liste stört.

Wie gesagt geht das aber erst dann, wenn sowohl die Routenpunkte selbst als auch die vorherige Belegung sicher im Langzeitgedächtnis konsolidiert sind.
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Re: Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Philodoof »

@Boris: Ich habe auch schon probiert eine Route mehrfach zu belegen und hatte damit tierische Probleme. Aber ich habe nie abgewartet, bis das erste Set sicher im Langzeitgedächtnis war. Doch wenn du das funktionieren an diese Bedingung knüpfst, dann wäre es definitiv mal einen Versuch wert, das nochmal zu testen und diesmal über einen längeren Zeitraum anstatt innerhalb von 2 aufeinanderfolgenden Tagen. :) Ich dachte bisher, dass das bei mir wohl nicht gut funktioniert, aber womöglich lag es ja bloß an einem Fehler in der Vorgehensweise.

Was bei mir allerdings Fragen aufwirft, ist, dass ich von dir weiß, dass du z.B. eine Merkgeschichte für die Bundespräsidenten hast. Von daher hatte ich bisher angenommen, dass du dir Sets von Dingen via Merkgeschichten merkst. Das tust du ja nun offenbar doch nicht, oder zumindest nicht immer, so scheint es. Oder legst du die Merkgeschichten etwa peu a peu auf Routenpunkten ab? Ansonsten könnte es vielleicht sein, dass du konkrete Kriterien hast, nach denen du entscheidest, ob du eine Merkgeschichte anwendest, oder die Routenmethode? Wenn ja, welche?

Ich bin auf jeden Fall nicht so wirklich zufrieden mit meiner Merkgeschichtenmethode, weil ich da doch recht oft Fehler mache, was meistens bedeutet, dass ich zwischendrin mal Elemente vergesse bzw. überspringe, und die Merkgeschichten dann im Wiederholungszyklus wieder zurückstufen muss. Deswegen habe ich bisher auch "erst" 51 davon. Wenn das etablieren bisheriger so viel Zeit in Anspruch nimmt, weil ich sie eben immer wieder im Wiederholungszyklus zurückstufen muss, dann fehlt die Zeit an anderer Stelle um neue Sets zusammenzustellen und einzuüben.
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Wodan
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Re: Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Wodan »

@ Boris: Das ist ja super. Das wusste ich nicht. Ich dachte immer, dass man eine Route nur einmal belegen kann.
In diesem Fall braucht man also eigentlich gar keinen eigenen Palast zu bauen, da man, hat man genügend Routen, diese immer wieder belegen kann (den richtigen zeitlichen Abstand vorausgesetzt).
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Re: Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Boris »

Hi,

ich benutze Merkgeschichten und Routenmethode, manchmal sogar beides ;)

Für kleinere Einheiten mit klarer Abfolge wie die Bundespräsidenten habe ich Geschichten, wenn ich für eine Prüfung gelernt habe, eher Routen.
Dabei habe ich dann zum Teil aber wieder ganze Geschichten die an einem Routenpunkt abspielen benutzt, etwa um einen Prozess mit mehreren Schritten oder einen Algorithmus zu behalten.
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Wodan
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Re: Praktische Anwendbarkeit Gedächtnispalast

Beitrag von Wodan »

Boris: Bei Bildern auf Routen setzt dies natürlich zunächst eine gute Kenntnis der Route voraus. Das ist bei einem fiktiven Gedächtnispalast dann auch nicht anders. Wenn ich einen solchen "baue", würde ich also in den ersten Tagen diesen "überlernen", also täglich mehfach wiederholen - und erst danach belegen. Ich persönlich mag aber "reale Routen" immer noch lieber.
Das heißt, wenn ich dich richtig verstehe, dass reale und fiktive Routen im Grunde etwa gleich viel Aufwand darstellen. Schließlich muss ich ja eine reale Route auch erste zusammenstellen und lernen, bevor ich sie belegen kann.
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