DocTiger hat geschrieben:
Das Dilemma ist, dass im Medizin/Tiermedizinstudium nur wenige Fächer gibt, in der man freiwillig ausreichend Stoff auswendig lernt. Ein wenig Disziplin ist immer dabei, egal wie intrinsisch die Motivation sein mag. Und meistens ist die Motivation überhaupt nicht intrinsisch, zum Beispiel bei mir in Chemie, Botanik oder Futtermittel...
Das kann man vergleichen mit einem guten Buch. Natürlich liest man es gerne. Aber wenn man haarklein die komplette Handlung nacherzählen soll, dann wird selbst dieses Lernen schnell öde. Und jetzt stellt euch mal vor ihr macht sowas Fach für Fach für Fach!
Und nochmal: Es gibt bislang keine nachgewiesene Methode, die ohne diese Stoffüberforderung brauchbare Ärzte hervorbringt. Krankenpfleger (die auch einen sehr wichtigen Beitrag leisten) lernen weniger intensiv. Und das ist meiner Meinung nach einer der Unterschiede zwischen Krankenpflegern und Ärzten, selbst wenn ihre Aufgaben sich teilweise überschneiden: Ein Krankenpfleger wäre mit ärztlicher Fortbildung überfordert, er wäre Pharmareferenten hilflos ausgeliefert, und mit den rechtlichen Aspekten der Praxis erst Recht.
Wovor ich warnen will, ist, dass wenn man solche Methoden in der Schule komplett vernachlässigt - und soweit sind wir bereits - dann bilden wir nicht mehr die jungen Gehirne heran, die für eine Karriere in der Medizin notwendig sind. Natürlich sollte man versuchen, mehr Spaß in die Sache zu bringen, aber möglichst nicht zum Preis der Unterforderung.
Ich glaube Latein und andere Sprachen außer Englisch sind die einzigen Fächer, in denen das Auswendiglernen noch trainiert wird. Die meisten anderen Fächer, auch Geschichte oder Biologie/Chemie (außer vielleicht LK Niveau), setzen nahezu komplett aufs Verstehen. Ich will nicht sagen, dass das schlecht ist, aber diese Entwicklung senkt natürlich auch das Niveau der Universität, wenn die Studenten keine Toleranz für Detailwissen haben.
Hallo DocTiger,
ich habe in der Schule die komplett gegenteilige Erfahrung gemacht:
Bis zur 11. Klasse habe ich nicht gelernt, weil mir gar nicht bewusst war, wie das gehen sollte und meist nur auswendig gewusstes in den Klassenarbeiten geschrieben (mit dem Erfolg, von der Realschule auf ein Fachgymnasium wechseln zu können, also eingiermaßen guten Noten).
In der Oberstufe habe ich zum ersten Mal Stoff verstanden.
Dieser Stoff ist mir zum Großteil heute noch gegenwärtig, wenigstens in seinen Grundzügen und einigen Details, während ich schon nach den Sommerferien fast alle Details vergessen hatte, die ich in der RS gelernt hatte.
Beispeil:
Wir haben im 2. Hbj. der 10. KLasse in Bio Zellbio durchgenommen, Mendelregeln, Grundzüge des Zellbaus usw.
Ich hatte eine 2.
Nach den Sommerferien fragte also der neue Biolehrer, was man denn im letzten Jahr gemacht hätte - öhm...
Und was man denn so über den Bau der Zelle wisse - hm....
Nach 6 Wochen (sagen wir 8 ) hatte ich
sämtliche Details, die ich vorher für Klassenarbeiten wiedergeben konnte, so weit vergessen, dass sie mir
ohne Stichworte gar nicht mehr ins Bewusstesein gekommen wären.
Dagegen weiß ich heute noch recht genau, was ich in welchen Halbjahren der Oberstufe so gelernt habe und kann dazu auch noch einige Details wiedergeben.
Aus meiner Sicht liegt das am Unterschied der Unterrichtsweise und der Klassenarbeiten:
In der RS ging es um Fakten, einzelne Fakten und in den KA um Merksätze und wieder einzelne Fakten; in der Oberstufe ging es größtenteils ums Verstehen, Transferieren, Durchdenken des Stoffes und die Fakten waren dazu nötig (zu wissen).
Dies wurde auch immer schön betont: Nicht für die Arbeit lernen, sondern den Stoff verstehen.
Dadurch lernt man zwar auch die Fakten, aber mit dem Blick auf deren Anwendung, also mit einem Ziel (vs. Bulimielernen ohne Ziel) und mit der Überlegung, wie sie zusammenhängen (verstehen).
Erst in der Oberstufe wurde mir klar, WAS ich eigentlich vorher in der RS "gerlernt" hatte (nichts

) - ich hatte von der RS zwar Fakten behalten, aber größtenteils komplett unverstanden oder auch nicht durchdacht oder hinterfragt.
Mein Lielingsbeispiel ist Chemieunterricht 8. Klasse.
Ich hatte eine 1 in einer Arbeit über die Kurbelwelle, ohne zu wissen, was das ist oder wofür man es braucht, aber mit allen "Fakten", die im Unterricht dazu durchgenommen wurden und ohne, dass mir dies je bewusst geworden wäre (so kam ich die ganze Unterrichtseinheit nicht auf die Idee, mal nachzufragen, was denn eine Kurbelwelle genau wäre und wozu man die braucht).
Mit dieser Haltung verstand ich in der Oberstufe als erstes, dass ich nichts von Chemie verstand, wie meine Klassenkameraden aus der RS.
Viele aus dem Chemiekurs hatten sich für Schulen oder Ausbildungen mit Schwerpunkt Chemie beworben, und viele, die ich später traf, haben dort versagt oder gewechselt.
ich selbst hatte in den ersten KA der Oberstufe, in denen chem. Wissen relevant war (Ernährugnslehre etc.) 4en und 5en; als mir der Unterschied der Lernweise bewusst wurde, 1en und 2en.
Letztere, weil mir bewusst geworden war, was eigentlich da verlangt wurde und wie man sich darauf vorbereiten musste bzw. auf welche Weise man sich
mit dem Stoff auseinandersetzen musste.
Das hatte ich vorher NIE getan, es wurden ja nur einzelne Fakten abgefragt.
Von daher würde ich sagen:
Bulimielernen, NUR Memo = Stoff ohne Tiefe, ohne Verständnis, einzelne Definitionen etc. ohne dass man überhaupt wissen muss, welche Bedeutung das Thema hat, womit es zusammenhängt und wer es wozu braucht.
Verstehen = Fakten und Detailwissen sind auch notwenig, oder Grundvoraussetzung, aber man setzt sich damit auseinander, wer den Stoff wann wofür braucht, welche Themen zusammenhägnen und was man damit erklären oder anders durchdenken kann.
Ich nehme stark an, dass eine Student, der NUR Bulimielernen betrieben hat, und so auch durch die Klausuren kam, im Beruf arge Probleme hat, weil dort gefordert wird, dass er den Stoff versteht, gerade als Arzt auch überlegen kann, wann welcher Stoff nach laienhafter Beschreibung der Patienten relevant ist und wie er ihn (zur Therapie) anwendet - was nur mit Bulimielernen ohne Verständnis schwierig sein dürfte.
Bulimielernen in Reinform ist für mich eher eine Art der vagen Assoziationen - "ich hab das mal gehört, der Begriff tauchte auch auf, also passen die zusammen - ohne dass ich weiß, was einer davon bedeutet".
Auf die Weise kann man etwa eine Anatomiezeichnung beschriften, ohne zu wissen, wie die Organe zusammenarbeiten oder was sie genau machen.
LG
Frederica