Klassiker

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isegrim
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Klassiker

Beitrag von isegrim »

Hallo allerseits,

vielleicht mal als Übungsmaterial einen Klassiker.

Der Amerikaner Harry Nelson Pillsbury war um die Jahrhundertwende (19./20. Jahrhundert) einer der stärksten Schachspieler der Welt. Er hielt lange Zeit den Rekord im Blindsimultanspielen, hatte ein außergewöhnliches Gedächtnis und gab auch Kostproben seines Könnens. So memorierte er bei einer Vorstellung binnen sehr kurzer Zeit folgende Wortliste und konnte sie vor- und rückwärts wiedergeben:

antiphlogistine, periosteum, takadiastase, plasmon, threlkeld, streptococcus, staphylococcus, micrococcus, plasmodium, Mississippi, Freiheit, Philadelphia, Cincinnati, athletics, no war, Etchenerg, American, Russian, philosophy, Piet Potgleter's Rost, Salmagundi, Oomisillecootsi, Bangmamvate, Schlecter's Neck, Manzinyama, theosophy, catechism, Madjesoomalops

Wer Lust hat, kann sich ja mal daran versuchen 8)

Pillsbury starb leider schon mit 33 Jahren. Über die Ursache gibt es verschiedene Quellen: Zum einen wird eine Syphilis-Erkrankung angegeben, zum anderen wurde behauptet, die Blindsimultanspiele hätten seine Psyche überfordert...
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Julius Jellinek
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Beitrag von Julius Jellinek »

zum anderen wurde behauptet, die Blindsimultanspiele hätten seine Psyche überfordert...
´

Davon habe ich auch schon einmal gehört. Es sollen 2 Schachspieler beim Blindsimultan spielen schizophren geworden sein, da sie in ihren Gedanken die Position des Gegners einnehmen mußten. Ob das nur ein Gerücht ist weiß ich nichts. Es hört sich aber interessant an, da Blindsimultanschach spielen seit dem verboten sein soll.

MfG
"Jeden Tag eine halbe Stunde das Gegenteil denken!"
"Spontanität will Gut überlegt sein."
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Boris
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Beitrag von Boris »

Mh...

In 5 Minuten und 30 Sekunden eingeprägt.


Aber 5 Memorierfehler (antiphlogestine statt gistine, theolophy statt theosophy, Etechnerg statt Etchenerg, palstodium statt plasmodium) + ca. 3 Tippfehler (threlkeld ohne h, Cincinatte mit Cincci..., Oomisillecootsi mit einem l und noch was?).

Naja, geht so :?
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isegrim
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Beitrag von isegrim »

Boris hat geschrieben:Mh...

In 5 Minuten und 30 Sekunden eingeprägt.


Aber 5 Memorierfehler (antiphlogestine statt gistine, theolophy statt theosophy, Etechnerg statt Etchenerg, palstodium statt plasmodium) + ca. 3 Tippfehler (threlkeld ohne h, Cincinatte mit Cincci..., Oomisillecootsi mit einem l und noch was?).

Naja, geht so :?
Cool! :D

Reife Leistung! Die Schwierigkeit besteht hier ja gerade darin, die ungewöhnlichen Schreibweisen abzuspeichern. Pillsbury hatte es außerdem leichter, weil die Wörter ja überwiegend in englischer Orthographie geschrieben waren, die ihm natürlich viel geläufiger war.
Außerdem waren Anspielungen vorhanden, die ihm bekannt waren (z. B. Schlecter's Neck); Carl Schlechter (allerdings mit sch) war ebenfalls ein bekannter Schachspieler.

isegrim
Mephisto
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Beitrag von Mephisto »

Isegrimm hat geschrieben:
"...zum anderen wurde behauptet, die Blindsimultanpartien hätten seine Psyche überfordert..."
Das habe ich als Grund für Pillsbury´s frühen Tod auch schon gelesen. Ich würde das allenfalls cum grano salis nehmen (siehe unten).

Julius Jellinek hat geschrieben:
...es sollen zwei Schachspieler beim Blindsimultanspielen schizophren geworden sein...
Na, ich weiß nicht. Ich meine, wenn man nicht eh schon schizophren ist, kann man sowieso nicht Blindsimultanspielen.

Ganz im Ernst: Die Begründung "...da sie in ihren Gedanken die Position des Gegners einnehmen mußten" ist verräterisch. Ich bitte Euch, was macht denn jeder gute Schachspieler die halbe Zeit jeder Partie? Er schlüpft in die Gedanken- und Gefühlswelt seines Gegners.

Unabhängig davon waren in Rußland tatsächlich viele Jahre sogar "bloße Blindpartien" (also one-on-one) für die Schachmeister verboten. Man hatte die Extravaganzen und den Abstieg Aljechins auf seine Vorliebe für und Meisterschaft bei Blindpartien zurückgeführt.
Psychiatrische oder wissenschaftliche Daten über den angeblichen Schaden von Simultanblindpartien sind mir hingegen nicht bekannt.

Der tschechische GM Wlastimil Hort spielt seit vielen Jahren immer wieder Simultanblindpartien im zweistelligen Bereich gegen starke Gegener und mit guten Ergebnissen - und - er hat seine Frohnatur und geistige Gesundheit augenscheinlich erhalten. Er bot (und bietet vielleicht noch) in seinem Portefoglio sogar Simultanblindpartien an.

Also, m.E. nach fraglos ein intellektueller, mentaler und psychischer Grenzbereich, doch kein Grund zur Mystifizierung.

Mephisto :)
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smithers
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Blindsimultan von Robert Hübner

Beitrag von smithers »

GM Robert Hübner hat im September 1999 gegen den Zweitligisten
SC Kreuzberg 6,5:1,5 im Blindsimultan gewonnen!!!!
Er gewann 5 Partien und remisierte dreimal. Eine sensationelle Leistung!
Die Partien dauerten alle zwischen acht und neun Stunden, insgesamt
haben ca. 400 Zuschauer das Geschehen verfolgt.
Ich habe mal gegen zwei Schachspieler blind gespielt und gewonnen,
immerhin ein Anfang. :)
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Flauwy
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Beitrag von Flauwy »

Wie merkt man sich beim Blindschachspielen die Aufstellung? Und wie macht man das bei mehrerern Spielen gleichzeitig??? :shock:
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smithers
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Beitrag von smithers »

Beim Blindschach habe ich keine konkrete Stellung vor meinen Augen.
Eher die potentiellen Möglichkeiten der Figuren......

Von Vorteil ist es, wenn man typische Stellungen und Manöver kennt (das Thema hatten wir schon mal). Das ermöglicht es, viele einzelne Figuren als ein "Thema" zu "sehen".

Eine Schachpartie entwickelt sich nach logischen Gesichtspunkten (man sollte jedenfalls versuchen, mit einer gewissen Logik vorzugehen). Wenn ich in der Eröffnung z. B. meinen Läufer von f1 nach c4 ziehe, weiss ich , dass ich damit Druck auf den Schwachpunkt f7 ausübe. Beim Blindschach "sehe" ich normalerweise nicht den Läufer auf c4, sondern bin mir der latenten Drohung gegen f7 bewusst. Da könnte der Läufer auch auf b3 oder a2 stehen. Im konkreten Fall, wenn der Gegner in der Nähe dieses Läufers zieht (Bauer b5 zum Beispiel), prüfe ich , ob mir etwas droht: Warum zieht er b5? Steht mein Läufer noch auf c4? Nein, den hatte ich vor ein paar Zügen nach b3 gezogen.

Bei mehreren Partien kann man die Stellungen aufgrund ihrer Charakteristika unterscheiden. Partie 1 Königsangriff, Partie 2 Schwächen am Damenflügel, Partie 3 bessere Entwicklung und Freibauer usw.....
Mephisto
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Beitrag von Mephisto »

Isegrimm hat geschrieben:
Reife Leistung! Die Schwierigkeit besteht hier ja gerade darin, die ungewöhnlichen Schreibweisen abzuspeichern. Pillsbury hatte es außerdem leichter, weil die Wörter ja überwiegend in englischer Orthographie geschrieben waren, die ihm natürlich viel geläufiger war.
Außerdem waren Anspielungen vorhanden, die ihm bekannt waren (z. B. Schlecter's Neck); Carl Schlechter (allerdings mit sch) war ebenfalls ein bekannter Schachspieler.
Ich gebe Dir völlig recht, daß Pillsbury sich "Schlechter´s Nek" wahrscheinlich über den Schachmeiseter Carl Schlechter gemerkt hat, zumal er mit ihm auch unmittelbar vorher im großen Turiner zu Hasting die Klingen gekreuzt hatte. Die Assoziation "jemandem im Nacken sitzen" bzw. das englische "pain in the neck" drängt sich geradezu auf.
Allerdings waren das ganz bestimmt keine Anspielungen, denn man wollte ihm das Leben so schwer wie möglich machen. Die wahre Wurzel für diesen Ausdruck ist die folgende:
Schlechter's Nek should be Slagtersnek, a settlement in the Cape Colony where the British put down a rebellion of Boers and hanged the leaders in 1815. It has nothing to do with the chess master Carl Schlechter. Slagter in Afrikaans means the same as schlaechter in German: butcher.
Da die Begründung nicht nur für diesen sondern auch die allermeisten der 29 Wörter und Ausdrücke in mehrerlei Hinsicht sehr schlüssig ist, dürfen wir das als gesichert betrachten.
Für alle, die sich schon immer gefragt haben, was diese Wörter nun bedeuten bzw. wie sich jemand solche Wortmonster :twisted: :mrgreen: ausdenken kann, hier eine gute Quelle:

Col. G. L. Sicherman´s homepage:
http://www.monmouth.com/~colonel/chess/pillsbury.html

(Titel: "Piet Potgelter, Where Are You?", Last revised 2002-04-19.)

Mephisto, :wink:
......................................................................................................................................................................................................................
Die Grenzen Deiner Sprache sind die Grenzen Deiner Welt.
Ludwig Wittgenstein
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