Tiffi hat geschrieben:Ich würde mir ein Sachbuch wünschen, das Mnemonik als Kulturgut von den Anfängen bis heute ausführlich darstellt.
Yates und ihre Nachfolger in der wissenschaftlichen Geschichtsforschung versuchen das ja! Das Problem ist nur, dass sie durch die Bank von der Technik zu wenig verstehen. Sie lassen sich auf ernsthafte Experimente nicht ein und haben daher Defizite im Sachurteil. Ein sicheres Gefühl für die Solidität und Tragweite einer Methode erlangt man aber nur dadurch, dass man lange und intensiv genug innerhalb der Technik gelebt hat.
Frances Yates insbesondere, die ja die Galionsfigur einer Forschung ist, war sich nicht einmal sicher, ob Mnemotechnik überhaupt funktioniert. "Sie interessierte sich Schiffe, aber nur für untergegangene", sagte mal jemand. Tatsächlich vermochte Yates überhaupt nicht zu unterscheiden zwischen Schiffen, die als Wrack auf dem Meeresboden liegen und Schiffen, die wunderbar seetüchtig sind und ohne weiteres auf große Reise geschickt werden können. In der Folge verwechselten Historiker immer wieder - ich möchte auch hier sagen: durch die Bank - Fortschritt und Rückschritt in der Geschichte der Mnemotechnik.
Das habe ich in
Esels Welt geschrieben und sehe es immer noch so. Ein renommierter Vertreter universitärer Mnemotechnik-Forschung (dessen Namen ich aus Höflichkeit nicht nennen will) schrieb mir damals (2001): "Wenn Sie sich so über uns lustig machen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn wir (!) Sie nicht kennen wollen." Ich habe mich dann auch nicht wirklich darüber gewundert, dass keine einzige Zeitung bereit war,
Esels Welt (geschweige denn
Das Jahr im Kopf) zu rezensieren. Ich habe mich aber geärgert und kann mich nur mit dem Gedanken trösten, dass ich wenigstens niemandem hinterher oder gar hinten rein gekrochen bin.
Nun bin ich aber selbst ein wissenschaftlicher Historiker. Mir sind die erheblichen Schwierigkeiten, historisches Material aufzuarbeiten, nur zu bewusst. Nur deshalb, weil ich sah, in welcher Konfusion sich all die mir bekannten mnemotechnischen Autoren des 20. Jahrhunderts befanden, wenn es um so etwas wie historische Einordnung geht, habe ich mich damals entschlossen, das Buch
Esels Welt, das eigentlich nur eine mnemotechnische Abhandlung hätte sein sollen, mit historischer Forschung zu verbinden. Meines Wissens bin ich der erste Mnemotechniker seit Aretin (1810), der einen solchen Spagat versucht hat. Während aber Aretin die historische Abhandlung und das systematische Lehrwerk streng trennte, habe ich im Gegenteil versucht, beides zu vernetzen.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich rede von historischer Forschung, die selbstverständlich von den Quellen ausgeht und die Sekundärliteratur berücksichtigt, ich rede nicht von einer Einbeziehung historischer Hintergründe, wie sie jedermann mit Google recherchieren und dann irgendwie "gestalten" kann.