
22.12.2010 - Hirnforschung
Nicht nur negativ
Stress verbessert das Gedächtnis
Stress scheint das Erinnerungsvermögen zu aktivieren: Wer gerade eine stressige Situation hinter sich gebracht hat, erinnert sich offenbar besser an zuvor Gelerntes. Diesen Schluss legen die Ergebnisse einer Studie nahe, die tschechische und US-amerikanische Wissenschaftler mit Mäusen durchgeführt haben. Die Forscher wollen nun den Einfluss von Stress auf das Gedächtnis genauer untersuchen, vor allem im Hinblick auf Angststörungen wie die Posttraumatische Belastungsstörung, bei der negative Erlebnisse unbewusst mit eigentlich harmlosen Situationen verknüpft werden. Der Schlüsselfaktor könnte auch hier der Stress sein, vermuten die Wissenschaftler. Ein besseres Verständnis der Verknüpfungsvorgänge trage daher möglicherweise zu effektiveren Therapien bei, hoffen die Forscher um André Fenton von der New York University.
Für ihre Studie ließen die Wissenschaftler zunächst Mäuse ein T-förmiges Labyrinth erkunden. Anschließend setzten sie die Hälfte der Tiere einer Stresssituation aus, indem sie sie durch einen Wasserbehälter schwimmen ließen. Die andere Hälfte der Mäuse wurde ebenfalls in einen Behälter mit Wasser gesetzt, allerdings mit so niedrigem Wasserstand, dass die Tiere problemlos hindurchwaten konnten. Anschließend wurden die Nager erneut mit dem Labyrinth konfrontiert - mit eindeutigem Ergebnis: Die Mäuse, die zuvor Stress erfahren hatten, erinnerten sich deutlich besser an den Weg durch den Irrgarten als die Kontrolltiere. "Unsere Resultate zeigen, dass Stress das Gedächtnis aktivieren kann, selbst wenn die Erinnerungen nicht mit der Stresssituation in Verbindung stehen", erklärt André Fenton.
Die Ergebnisse könnten auch helfen, Angststörungen wie die Posttraumatische Belastungsstörung besser zu verstehen, glauben die Forscher. Unter dieser Bezeichnung werden körperliche und psychische Symptome zusammengefasst, die infolge eines traumatischen Erlebnisses wie etwa eines schweren Unfalls oder einer Vergewaltigung auftreten. Neben häufigen Symptomen wie Depressionen, Angstzuständen, Selbstverletzungen und Schlafstörungen verbindet eine weitere Auffälligkeit viele Trauma-Opfer: Sie vermeiden Orte, Menschen und Aktivitäten, die die Erinnerungen an das schlimme Erlebnis wachrufen könnten. Die gemiedenen Situationen sind dabei oft an und für sich völlig harmlos und eigentlich nicht mit dem Ereignis verknüpft. Teil vieler Therapien ist es, die trotzdem empfundene Verbindung mit dem traumatischen Ereignis zu lösen. Dies könnte umso effektiver gelingen, je besser verstanden ist, wie diese Verknüpfung bei den Betroffenen entsteht. Die neuen Ergebnisse legten nun nahe, dass das entscheidende Bindeglied auch hier der Stress sein könnte, sagen die Wissenschaftler. Denn auch bei den Mäusen habe sich offensichtlich nicht allein die Stresssituation ins Gedächtnis eingebrannt, sondern auch ein vorheriges Ereignis, nämlich der Gang durchs Labyrinth.
André Fenton (New York University's Center for Neural Science) et al.: PLoS Biology, Onlineveröffentlichung vom 22. Dezember
dadp/wissenschaft.de – Mascha Schacht